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Sibelius-Symphonic und Orgelspiel

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Das 2. Konzert im Symphoniker-Zyklus, den die Gesellschaft der Musikfreunde veranstaltete, gestaltete sich zufolge des Programms zu einer dreifachen virtuosen Paradevorführung: des Orchesters, seines Dirigenten Wolfgang Sawallisch und des Solisten Jorge Bolet. Nach der Ouvertüre solennelle „1812“ von Tschaikowskij spielte der gebürtige Kubaner Jorge Bolet das 1. Klavierkonzert von Tschaikowskij Was dieser freundliche Riese, den wir vor einem knappen Jahr beim Vortrag eines Liszt-Konzerts bewundern konnten, dem widerstandsfähigen Steinway an Tonstärke zumutet, ist ebenso erstaunlich wie was er ihm an lyrischer Feinheit abzugewinnen versteht. — Den 2. Teil des Programms bildete die 2. Symphonie von Jan Sibelius, dessen 100. Geburtstag in diesem Jahr gefeiert wird. Bereits 1901 geschrieben, gehört diese Symphonie zu jener Art Musik, die man, nach einem Wort Cocteau, „mit dem Kopf in den Händen“ hören mag: träumend, meditierend, den stets wechselnden Bildern und Stimmungen folgend, die der Komponist in zwangloser Folge aufgezeichnet hat. Es gibt, analog etwa zur deutsch-französischen Grenze, eine Bruckner-Sibelius-Linie: Die Länder, in denen Bruckner gespielt wird, kennen Sibelius kaum — und umgekehrt. Aber so vernachlässigen, wie man es bei uns tut, sollte man Sibelius trotzdem nicht. Wer in der Musik vor allem das Phantastische und Poetische sucht, wird bei Sibelius immer wieder auf seine Rechnung komme und dabei auch die beträchtlichen Längen mit in Kauf nehmen (seine 2. Symphonie dauert 45 Minuten, die Substanz reicht aber für nur maximal 30). Sawallisch dirigiert auch diese Musik souverän und läßt sich keinen Effekt und keine Feinheit entgehen, deren es in der Partitur genug gibt. Das Orchester der Wiener Symphoniker, das sich bereits bei der Begleitung des Tschaikowskij-Konzertes ausgezeichnet hatte, setzte sich auch hier voll ein und spielte mit Virtuosität und Einfühlung.

Auf der berühmten „Bruckner-Orgel“ der Basilika Maria-Treu (Anton Bruckner legte hier seine Meisterprüfung auf Orgel ab) spielte Mme. Blandine Mathon-Feest einige Wochen nach dem Fest Weih-riachtsmusik französischer Komponisten. Die „Noels“, dem Charakter nach am ehesten Präludien, von Daquin, Le Bigue und Dandrieu aus dem 17. und 18. Jahrhundert konnten aber weder die Klangschönheiten der Orgel ausschöpfen noch genügte ihre Aussage den differenzierten Ansprüchen, die wir in den barocken Werken der deutschen Orgelmusik erfüllt finden. Viel besser zur Geltung kamen Instrument und Künstlerin in den drei Stücken aus „La Nativite du Seigneur“ von Olivier Messian (geb. 1908) und in „Douze Variations sur un No'el“ von Marcel Dupre (geb. 1886), wobei die mechanische, schwer zu spielende Orgel manchmal in hörbare Bedrängnis geriet. Die Komponisten — in ihrer Heimat bekannte Organisten — überraschen in diesen Stücken mit orchestralen Effekten und originellen Harmonien.

Eine erfrischende Abwechslung in die harorkmusiküberfüllten Konzertpro.gramme brachte Ron Golan (Bratsche)mit seiner Klavierpartnerin Denise Du-port durch einen Abend zeitgenössischer Kammermusik. Von den vier Sonaten für Bratsche und Klavier waren zwei von Hindemith und je eine von Honegger und von Martinu. Honeggers Sonate. 1920 komponiert, demnach ein Jugendwerk, überrascht ebenso durch ihre Musizierlust wie durch ihren kunstvollen architektonischen Aufbau und beweist, wie dieser Komponist, darin Brahms ähnlich, seinen persönlichen Stil sich zunächst in der Kammermusik schuf. Hindemiths Bratschensonate op. 11/4 ist ebenfalls ein Jugendwerk und besteht im Grunde aus Variationen über ein volksliedartiges Thema. Auch hier ist unbekümmertes Musizieren mit konstruktivem Geist gepaart. Es ist, um es kurz zu sagen, sehr viel Musik in diesem Jugendwerk. Die reife Meisterschaft der Sonate von 1939 mit ihrem eindeutigen Personalstil und ihrer klaren Disponierung fehlt ihr. Diese klare Disponierung beruht auf der Hinneigung zur (scheinbaren) Monodie. Die Variationenform ist auch hier dominierend, strenger, aber auch dogmatischer als ihre musizierte Vorgängerin. Anscheinend am unbekümmertsten ist die Musik der Sonate von Bohuslav Martinu. Nichtsdestoweniger hat auch dieser Komponist sich seine Aufgabe gestellt und sie erfüllt: sich in musikalischen Werten auch gefühlsmäßig auszusprechen, der Musik zu geben, was der Musik ist, dabei seine Handschrift ohne ästhetisierende Schnörkel durchzusetzen. Die beiden Ausführenden waren bemüht, neben technischer Kunst auch die musikalische zu beweisen, was ihnen mit vollem Erfolg gelang, wie der stürmische Beifall der begeisterten Zuhörerschaft bewies.

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