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Eröffnung des Internationalen Bach-Festes

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Nicht ohne Stolz, aber ohne Übertreibung konnte der Präsident der Gesellschaft der Musikfreunde in seiner Begrüßungsansprache beim Festakt feststellen, daß es ein solches Bach-Fest — weder der Zahl der Aufführungen noch der Qualität der Ausführenden nach

— noch nie gegeben habe, noch wohl sobald wieder geben werde. Der repräsentative Charakter der Veranstaltung wurde auch dadurch unterstrichen, daß der Herr Bundespräsident die Eröffnungsansprache hielt. — Mancher ernste Muikfreund mag diesem ungewöhnlichen Aufwand von zehn Chören mit einem Dutzend Dirigenten, Instrumentalsolisten aus aller Welt und Sängern von sechs verschiedenen Opernhäusern nicht ohne Sorge entgegengesehen haben. Massen von Ausführenden mit berühmten Namen schienen sich aufzutürmen und vor den einen, bescheidenen, einsilbigen zu schieben, dem doch die Huldigung gebührt. Wenn der Eindruck von den ersten Konzerten auch durch die folgenden bestätigt werden sollte, kann gesagt werden, daß die zur Verfügung' stehenden Kräfte Vernünftig.eingesetzt wurden. Bezeichnend und erfreulich war auch, daß man im ganzen kleine Besetzungen und fast kammermusikalisches Musizieren bevorzugte.

In diesem Stil wurde — fast ein wenig allzu asketisch in Klang und Dynamik — das Zweite Brandenburgische Konzer t •jtjespielt, das Herbert von Karajan von einem' (nicht obligaten) zweiten Cembalo aus dirigierte. Vorzüglich war das aparte- Con-certino, bestehend aus Trompete, Flöte, Oboe und Violine, besetzt. Hier ist, neben Niedermeyer, Raab und Boskowsky, besonders die virtuose Leistung von H. Wobisch hervorzuheben. — Dagegen ließ die Interpretation des kraftvollen, formklaren und kühn zum Stil subjektiven Ausdrucks vorstoßenden Konzerts in d-moll für zwei Violinen durch Yehudi Menuhin und Wolfgang Schneiderhan kaum einen Wunsch offen. Im Vortragsstil sich gegenseitig angleichend, waren die beiden Geiger vor allem klanglich ideale Partner: der etwas herbere, klassisch-klare Ton Menuhins neben dem; weicheren, um eine Nuance dunkler getönten und schwächeren Von SchneiderKan.

— Der monumentale, dramatische Doppelchor — einzig erhaltenes Torso der Michaelis-Kantate Nr. 50 — auf einen Text aus der Offenbarung (.Nun ist das Hell und die Kraft und das Reich und dl Macht...“) bildete den feierlichen Ausklang des i Eröffnungskonzerts. (Der Singverein der Gesellschaft der Musikfreunde und Mitglieder der Wiener Philharmoniker waren die Ausführenden.)

Der Leipziger Thomaskantor Professor Günther Ramin hatte den Festakt mit der Toccata und Fuge in d-moll eingeleitet Und gab einen eigenen Orgelabend. Eine Choralpartita, die Triosonate G-dur, die Passacaglia c-moll, eine Pastorale sowie Präludium und Fuge F-dur bildeten das Programm. Die Stärke Ramins liegt vor allem in der richtigen Erfassung des Charakters nicht nur jedes Werkes, sondern auch der einzelnen Teile (besonders eindrucksvoll in den zwanzig Variierungen der Passacaglia). Dagegen zeigte .— zu unserem nicht geringen Erstaunen — das Spiel Ramins zahlreiche Merkmale jenes Klangfarbenstils, der in der Gegenwart immer mehr von einer Vortragsweise verdrängt wird, für die die größtmögliche Deutlichkeit der Einzelstimmen und der Gesamt-strüktur oberstes Gesetz ist. So etwa soll, nacfi dem Zeugnis eines seiner Schüler, auch Max Reger die großen Orgelwerke Bachs, gespielt haben. Auch gab es wiederholt — wie uns schien: auch unbeabsichtigt — rhythmische Schwankungen, die ein Element der Unruhe in manche Sätze brachten. Daraus ergibt sich vor allem, daß die große Konzertorgel mit ihren allzu, zahlreichen Klangregistern eine latente Gefahr, auch für den besten und strengsten Organisten, bildet.,

Höhepunkt dieser ersten Veranstaltungsreihe war eine Aufführung der Johannes-Passion durch den aus etwa .'20 Knaben-und 30 Männerstimmen bestehenden Leip-: ziger Thomanerchor ' üntejr.- Günther Ramin. Man mag über die Wirkung der gre-! ßen oder kleinen BeSetzurig verschieden urteilen: der Musiker wird der letzteren den Vorzug geben. Vor etwa 25 Jahren schrieb ein temperamentvoller und kenntnisreicher Kritiker über dieses Thema: „Ich pfeife auf historische Quisquilien und appelliere nur an das Ohr und die Nerven des lebendigen Musikers. Er wird (bei kleiner Besetzung) nach den ersten acht Takten die Klangwelt Bachs fühlen und schmecken wie einen alten, edlen Wein und niemals mehr eine andere Besetzung ertragen können. Er wird bei der Gelegenheit merken, auf welcher Seite die Philister sitzen.“ Der Thomanerchor zeichnet sich durch große rhythmische Genauigkeit, vollkommene Sicherheit auch bei schwierigsten Einsätzen und sehr reine Intonation aus. Im Laufe eines ganzen Abends war vom Chor kein einziger falscher oder schwankender Ton zu hören. Während des ersten Teils schien uns die Vortragsweise zwar dem erhabenen Stil des Werkes angemessen, aber im ganzen doch etwas kühl. Im zweiten Teil zog Günther Ramin stärkere Register und führte zu gewaltigen Steigerungen. Wie zu erwarten war, fügten sich unsere bewährten Solisten nicht vollkommen in den Stil der Aufführung. Der Vortrag der meisten war ein wenig zu „konzertant“. Die Gesamtleistung Julius Patzaks und die schön jugendliche Ergriffenheit Hans Brauns sind besonders hervorzuheben; dagegen verstand man vom Text Irmgard Seefrieds kaum ein Wort, Jedenfalls nicht ine vollständige Verszeile.

Den Kantatenabend der Leipziger Thomaner möchten wir nicht nur als eine Erbauungsstunde und hohen künstlerischen Genuß werten, sondern auch . als eindrucksvolle Belehrung, die wir dankbar zur Kenntnis nehmen. Zunächst die auf jahrhundertealter Tradition beruhende Aufführungspraxis: die Soli werden nicht von „Solisten“ (lies: Opern- oder Konzertsängern) vorgetragen, sondern von einem oder mehreren Mitgliedern des Chors. Was diesen an Virtuosität fehlen mag, wird durch den reinen Stil und den ungemischten Gesamteindruck reichlich aufgewogen. Auch die Sopran- und Alt-Arien werden von Knabenstimmen ausgeführt. Die Solosänger treten — falls sie nicht als die Kleinsten in der ersten Reihe postiert sind — aus dem Chor heraus und verschwinden wieder. Die Reibungslosigkeit, mit der das gemacht wird, •ist ein Meisterstück äußerer Regie. Die drei Kantaten, „Ich hatte viel Bekümmernis“, „Jesu, der du meine S5ele“ und „Erschallet, ihr Lieder“, gehören zu den vollendetsten Schöpfungen nicht nur Bachs, sondern abendländischer Musik überhaupt. Des Aufzählens von Einzelschönheiten und Vollkommenheiten der Interpretation wäre kein Ende. Auch am Cembalo und an der Orgel saßen Leipziger Gäste: Karl Richter und Johannes Kästner. Das Orchester war aus Mitgliedern der Wiener Symphoniker gebildet. — Mit dieser Aufführung hatThomaskantpr Günther Ramin uns ein Geschenk gemacht, das wir nicht nur begeistert empfangen haben, sondern auch getreu bewahren sollen. (Das Publikum, das den Saal absolut nicht verlassen wollte, erzwang — sicher ein ungewöhnlicher Vorgang bei einem geistlichen Konzert — die Wiederholung einer Arie.)

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