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Rund um eine Orgel

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Einer von Jahr zu Jahr stetig wachsenden Beliebtheit erfreut sich das ,JTestival Jean-Sebastien Bach“, das heuer zium fünfzehnten Mal in dem kleinen südfranizösischen Ort St. Donat-sur-l'Herbasse stattfand. St. Donat, im Departement Dröime gelegen, besitzt eine wunderschöne Kirche, die in ihrem Äußeren einen Kreuzgang aus dem 12. Jahrhundert, eine romanische Bischofskapelle aus dem 13. Jahnhundert und einen Turm aus dem 17. Jahrhundert zu einer harmonischen Einheit verbindet. Die Kirche liegt auf einem Hügel und beherrscht würdevoll weithin die Gegend. In ihrem Inneren birgt sie einen Schatz von wohl einmaliger Art: Eine Orgel im Stil Silbenmann, die durch geschickte Restaurierung und Erweiterung von internationa-

len Bach- und Orgelspazialisten so gestaltet wurde, daß sie alle wichtigen Elemente der Orgeln in sich vereinigt, auf denen Johann Sebastian Bach zu seinen Lebzeiten gespielt hat und für die er seine Orgelwerke komponiert hat. Ein Instrument also, das allen Bach-Puristen das Herz im Leibe höher schlagen läßt.

Rund um diese Orgel wurden nun Festspiele geschaffen, die sich zunächst nur auf das Baoh'sche Orgelwerk konzentrierten, die aber im Lauf der Jahre immer mehr auch auf die übrigen Werke des Thomaskan-tors und seiner Zeitgenossen ausgedehnt wurden.

Der Höhepunkt der (diesjährigen Sammerfestspiele war ein dreitägiges Gastspiel des Stuttgarter Kammerorchesters unter seinem ständi-

gen Dirigenten Karl Münchinger. Für den ersten Abend, an dem das 1. und 3. Brandenburgisohe Konzert und „Das Musikalische Opfer“ aufgeführt wurden, wäre die Kirche von St. Donat zu klein gewesen, so viele Interessenten hatten sich gemeldet. So wich man auf die wesentlich größere Kathedrale von Die aus.

Es ist dies ein Festival ohne den geringsten Snob-Appeal, es 'gibt keine großen Auffahrten, keine eleganten Abendraben, dafür sehr viele junge Leute in Jeans oder einfachen Sommerkleidern. Die Feierlichkeit, das Fesifliohe, liegt nur in den Herzen derer, die hierher gepilgert kamen. Die Kathedrale füllt sich bis auf den letzten Platz, die Lichter verlöschen und die Stuttgarter erobern im Sturm der Brandeniburgi-schen Konzerte die Herzen ihrer vorwiegend französischen Zuhörer. „Das Musikalische Opfer“, das in jedem seiner Teile neue Überraschungen, neue Juwelen, neue Wunder birgt, erschien mir wie ein klingender Gottesbeweis, überzeugender und eindringlicher als manche Predigt. Man hat Bach den 5. Evangelisten genannt, hier im Musikalischen Opfer wurde mir klar, warum. —

An den beiden folgenden Abenden

spielte das Stuttgarter Kammer-orchester unter Karl Müncihinger in der Kirche von St. Donat. Ein „Con-certo Grosso“ von Händel, zwei Orgelkonzerte von Händel und von Carl Philipp Emanuel Bach und die 1. Suite von J. S. Bach gelangten 3ur Aufführung. Marie-Claire Alain spielt den Orgelpart in den beiden Konzerten.

Das Publikum sitzt mit Blick auf die Orgel, mit dem' Rücken zum Altar, der mit Tüchern venhangen ist. — St. Donat spielte im Krieg eine wichtige Rolle als eines der Zentren der Resistance. Neben einer Rue Victor Hugo und einer Rue Voltaire gibt es auch Straßen, die nach Helden und Märtyrern der Widerstandsbewegung benannt sind. Einer der Ortsansässigen meinte, als der Bus mit den Mitgliedern des Orchesters durch die Straßen des Ortes fuhr: Würde man einem dieser Musiker einen Stahlhelm aufsetzen, so würde man sofort den SS-Mann erkennen. Aber die Musik wirkte immer schon völkerverbindend, und der sympathische Dirigent mit seinen Leuten eroberte auch in St. Donat die Herzen aller Festspielbesucher.

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