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Der tönende Raum

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Der Hansestadt Lübeck wurde von der Neuen Deutschen Bach-Gesellschaft die Vorbereitung und Durchführung des diesjährigen Bach-Festes übertragen. Als Pflegestätte alter und neuer Kirchenmusik hat sie ihre Leistungsfähigkeit oft erwiesen, als Wirkungsstätte Tunders und Buxtehudes ist sie mit der norddeutschen Tradition der Vor-Bachi- schen Musik und mit der Lebensgeschichte Bachs eng verbunden, der als 20jähriger Organist in ihren Mauern weilte. Aber ganz besonders dürfte für die Wahl Lübecks als Tagungs- und Festort die Bedachtnahme auf die räumlichen Verhältnisse der Kirche zu St. Jacobi entscheidend gewesen sein, eines herrlichen Backsteinbaues mit vielen Emporen, die als ganz besondere Kostbarkeit eine Orgel aus dem' 15. Jahrhundert birgt, welche im Jahre 1942, nachdem alle anderen Kirchen in einer Nacht einem Bombenangriff zum Opfer fielen (darunter auch St. Marien mit der berühmten Totentanzorgel), ausgebaut, verlagert und nun wieder neu aufgestellt wurde.

Unter überwältigender Beteiligung einer über alle Grenzen reichenden Bach-Gemeinde — hervorgehoben muß das starke Interesse und die Anteilnahme der Jugend als Zuhörer

und als Ausübende werden — behauptete sich auch das 29. in der Reihe der deutschen Bach- Feste inmitten der erschreckend überhandnehmenden Fülle an sonstigen Musikfesten und ließ es zu Tagen echter musikalischer und zugleich allgemein christlicher Besinnung und Einkehr werden. Für den Berufsmusiker sollen diese Tage überdies der kritischen Orientierung dienen. Vor einem Auditorium von Fachleuten werden die letzten Ergebnisse der musikwissenschaftlichen Forschung praktisch erprobt und die komplizierten Fragen der Aufführungspraxis Badischer Werke auf diese abgestimmt. Vorzüglich gestaltete Vorträge stellten folgende Themen zur Diskussion: Prof. Dr. Max Schneider, Halle „Das Instrumentarium J. S. Bachs in geschichtlicher Schau" und Prof. Dr. Wilhelm Ehmann, Herford „Zur Aufführungspraxis Bachscher Werke in der Gegenwart“.

J. S. Bach pilgerte im Herbst des Jahres 1705 nach Lübeck, um den größten Organisten seiner Zeit, Dietrich Buxtehude, an der Orgel zu St. Marien zu hören. Bach hat hier großartige, musikalische Verhältnis angetroffen, und ganz besonders werden es die berühmten, glanzvollen Abendmusiken gewesen sein, die den kleinen thüringischen Organisten beein-

druckt haben. Hier eignete er s ch sicherlich die Technik des mehrchörigen Musizierens an, ein Ausdrucksmittel der venezianischen Schule, wie es besonders von Andrea Gabrieli in S. Marco gepflegt und von Heinrich Schütz nach Deutschland gebracht wurde. Dieses Raumerlebnis fand in den Werken Bachs von den Motetten bis zur Matthäus- Passion und der Hohen Messe seinen Niederschlag.

Die Klanggliederung des Raumes, dei „Raum als tönendes Phänomen , offenbarte sich besonders eindringlich in den Abendmusiken, bei denen hauptsächlich mehr- chörige Werke von pabrielL Haßler, Prae- torius, Schütz und Bach (Kantaten, Magnificat und Matthäus-Passion in- Originalbesetzung) von getrennten Emporen durch den Lübecker Sing- und Spielkreis hervorragend musiziert wurden. Aus der Fülle des Programms müssen noch erwähnt werden: das Kammerkonzert des „Instrumentalkreises der Hamburger Bach-Kantaten , der Festgottes- dienst mit seiner reich ausgestatteten Liturgie und eine Orgelstunde mit

Johannes Brennecke und Walter Kraft zu St. Jacobi.

Auch in diesem Jahre kamen wie schon im Vorjahre in Bremen lebende Komponisten zu Worte, so im Symphoniekonzert Paul Hindemiths „Apparebit repentina dies", Arthur Honeggers „Symphonie liturgique", Joh. Nep. Davids „Variationen über ein Thema von Bach". Dem letztgenannten österreichischen Komponisten wurde in St. Marien bei der Eröffnungsfeier des Bach-Festes der vom Stadtsenat der Hansestadt gestiftete „Dietrich-Buxtehude-Preis“ verliehen.

Zum Schluß sei noch erwähnt, daß es bei den Bach-Festen zur Selbstverständlichkeit gehört, daß weltliche Werke zwat in Sälen, geistliche hingegen aber ausschließlich in Kirchen und wenn möglich in liturgischem Rahmen zur Aufführung gelangen. Von der Mitgliederversammlung wurde als Tagungsort für das 30. Deutsche Bach-Fest Leipzig bestimmt, während für die Zukunft auch süddeutsche Städte in Erwägung gezogen werden Sollen.

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