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Das stille Genie

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Sechs Kinder aus der ersten Ehe mit Maria Barbara, die fünf-unddreißigjährig stirbt, dreizehn aus der zweiten mit der Schülerin Anna Magdalena. „Insgesamt gebohrene Musici”, schreibt Johann Sebastian Bach stolz und beteuert, daß er schon „ein Concert mit der Familie formieren kann, zumahle da meine itzige Frau gar einen sauberen So-prano singet...”

Er führte ein vorbildliches Familienleben in Harmonie, Zucht und Ordnung. Keine Genieattitüden, Kapriolen und gesellschaftliche Eskapaden. Wenn er seinen Lebenslauf niederschreibt, genügen ihm sachliche Daten: Am 21. März 1685 — also vor dreihundert Jahren - geboren in Eisenach, 1703 Hofmusicus in Weimar, 1704 Organist in Arnstadt, 1707 in Mühlhausen, 1708 Kammer- und Hoforganist in Weimar, wo er 1714 zum Konzertmeister avanciert. 1717 Kapellmeister und Direktor der Kammermusik am Hochfürstlich Anhalt-Kötheneschen Hof, 1732 Direktor Cori Musici und Cantor an der Leipziger Thomasschule .....Starb 1750 d. 30. Julius”, setzte sein Sohn Philipp

Emanuel unter diese Autobiographie.

Es entspricht wohl Bachs Wesen zutiefst, daß er — ohne Pathos, ohne Stolz, ohne blumenreich-barocke Wortgewandtheit oder ein Wort des Schönmachens - sein Dasein auf wichtige Veränderungen in seinem Leben reduziert. Das macht uns diese Persönlichkeit auch heute noch schwer faßbar. Wir sehen einen Lebensweg in aller Schlichtheit. Den Strom modischen Getriebes, wie er seinen Zeitgenossen Händel fasziniert, meidet Bach. Ihm genügt ein Leben in alltäglicher Bürgerlichkeit, in der Familie, diesem intakten Mikrokosmos. Kaum Ehrungen, kein lauter Ruhm. In stiller Abgeschiedenheit schreibt er an seinem gewaltigen Lebenswerk, an seinen monumentalen Werkkolossen wie der „Matthäus”- und „Johannes”-Passion, dem Weihnachtsoratorium, der h-Moll-Messe, der „Kunst der Fuge”, dem „Musikalischen Opfer”, den Solosuiten ... Er schafft einen Kosmos voll pedantisch genauer Arbeit, in der es keine überflüssige Note gibt.

Andrerseits füllt er ein aufreibendes, kaum Dank einbringendes Pflichtpensum: fürstliche Dienste, Kirchendienst. Und doch: dieser schlichte, vom höfischen Glanz kaum beeinflußte MUnn, der später — wie Dürer — zum Idealtypus des deutschen „Handwerks” stilisiert werden sollte, wird zum Fixstern, zum Brennpunkt europäischer Musikkultur.

Das Erbe der mittelalterlichen Mehrstimmigkeit, der alten Niederländer, des Luther-Chorals, der Orgelmusik, aber auch italienischer, französischer und englischer Moden fließen da zusammen, werden durch den Geist des strengen Protestanten Bach gefiltert und zum protestantischen Barock verdichtet. Ist es nicht merkwürdig, daß der Kirchenmusiker und Lehrer Bach, dessen Fugen zu seiner Zeit kaum in Mode waren, zwar nie eine Schule hinterlassen hat, aber zum Lehrmeister der kommenden Jahrhunderte wurde?

Wenn er sein Werk „der heiligen Frau Musica” und der „Ehre Gottes und Recreation des Gemüts” widmete und alles „teuflische Ge-plerr und Geleyer” zutiefst verabscheute, bedeutete das, daß Bach als letzter Musiker des Barock noch die harmonische Einheit von Gott, Natur, Leben und Einzelwesen empfand. Diese Harmonie gab ihm die Kraft zu seiner Sprache. Nach ihm brach das Zeitalter der Aufklärung an, das den Menschen, das subjektive Ich und seine Launen, zum Maß aller Dinge werden ließ. Was Wunder, daß Bach da zum Fels wurde, an dem alle Kontrapunktiker der nächsten Jahrhunderte ihr Können zu messen hatten.

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