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Der Musiker in der Kirche

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Unter allen Berufen ist kaum einer so gegensetzliehen Deutungen und Wertungen ausgesetzt wie der des Kirchenmusikers. Von der Kirche zum Mitgestalter der Liturgie berufen, als erster Laie in der Kirche mit hoher geistlicher Sendung betraut, nimmt er dennoch in ihrer Rangordnung einen recht bescheidenen Platz zwischen Kirchendiener und Ministrant ein und wird in der Regel auch nicht wesentlich höher besoldet; in den Kreisen der Musiker und Musikliebhaber gilt er vielfach als Überbleibsel einer veralteten Kunstrichtung, nicht mehr ganz ernst zu nehmen; seine geseJJsxliafsJiche Ste41ung“'vollends- schwankt zwischen der Bewunderung seines Idealismus und der Geringschätzung seines Einkommens. Wo man ihn benötigt, erfährt er ein paar kostenlose Reverenzen, um hinterher sogleich wieder im Winkel der Bedeutungs-Ibsen zu verschwinden. Er ist unter allen Künstlern der größten Spannung zwischen Forderung und Anerkennung ausgesetzt. Seine Leistung schwebt ständig zwischen 'den Gegensätzen. Eine gute Aufführung der Nelsonmesse findet ihre Lober, aber die Liturgen kommen und weisen auf den geringen gottesdienstlichen Wert des Werkes hift; nach einer Chorairhesse hingegen sind alle „Musikalischen“ enttäuscht, da sie weder solistisch noch instrumental auf ihre Kosten kämen. Einer dieser Parteien schließt sich in der Regel auch der Kirdienvorstand an. Orgel- und A-capella-Messen ziehen die allmähliche Abbröckelung der Instrumentali-sten ' nach sich, ständige Orchestermessen aber verfälschen den Sinn der Kirchenmusik, Ist der Regens mit Seinem Chor imstande, 'schlichte Kompositionen tadellos und daher würdig wiederzugeben, verlangt man große Aufführungen von ihm, die die Kräfte übersteigen und trotz der hohen Kosten nur unvollkommen gelingen; aber selbst wenn sie gelingen, bleibt das Mißverhältnis bohrend in ihm, zu wissen, daß für eine solche Aufführung, die liturgisch gesehen der Notwendigkeit entbehrt, oft eine Summe ausgegeben wird, die sein Jahresgehalt übersteigt. Er steht somit ständig unter ungesundem Druck und abwechselnd mit seiner Selbstachtung, seinem - Gewissen oder der Außenwelt in Widerspruch, denn er macht es gewöhnlich den Menschen um so weniger recht, je mehr er es Gott recht machen will.

Es würde zu weit führen, wollte man alle die gegensätzlichen Ansichten und Urteile auf ihre Herkunft und ihre Berechtigung prüfen; genug, sie sind da und beweisen durch ihre Existenz die Reform-'bedürf:i;keit der Stellung des Kircheri-musikfrs, die freilich aus einer Reform der Kirchenmusik selbst hervorgehen muß. Denn diese ist in Stile und Richtungen zerfallen und über ihrem Förmenstreit im Begriffe, die letzten Zusammenhänge mit den Gläubigen zu verlieren. Seit Jahrzehnten rufen Stimmen in der Wüste, niemand hört sie. Hans Hönigsberger hat in der „Furche“ Nr. 39 auf diesen Zustand hingewiesen. Es ist kein Wunder, daß die Stellung des Kirchenmusikers ins Unsichere geraten ist. wo die Kirchenmusik selbst die Sicherheit verlor.

•Wir müssen beispielsweise zugeben, daß in unserer kirchenmusikälischen Übung der Festgedanke nur recht mittelbar zum Ausdruck kommt. Zwar klingt eine Weihnachtsmesse anders als eine Ostermesse, doch bleibt es dahingestellt, ob dieser rein klangliche Unterschied überhaupt eine liturgische Bedeutung hat — bei den Pastoral-messeott gelangen wir vielfach zur gegenteiligen, .Erkenntnis — während rbetf jene Texte, die dem Festgedanken das Wort geben, großenteils nur notgedrungen und nebensächlich als „Einlagen“ musiziert werden; Die „Messe“ bedeutet, musikalisch gesehen, die Komposition der Ordinarium-texte, soweit diese dem Gesang überlassen sind. Gerade das aber ist, freilich seit Jahrhunderten geübt, dem Festgedanken abträglich. Die Bezeichnung „Ostermesse“ „Marienmesse“, „Josefsmesse“ bedeutet viel eher und viel richtiger die Komposition der Propriumtexte als jener des Ordinariums, das an diesen Tagen nicht anders lautet als sonst und täglich, und das, eben -einer Un-veränderlichkeit wegen, leicht vom Volke erlernt werden kann. Das Volk erreichte dadurch endlich wieder die aktive Beteiligung am hochamtlichen Gesang, die es ursprünglich innehatte, doch im Laufe der Jahrhunderte einbüßte. Seitdem ist es beim Hochamte stummer Zuhörer und lernt allmählich die Haydn-, Mozart- und Schubert-Messen ohne Partitur auswendig.

Erweist sich somit — und nicht nur die Liturgen, auch die berufenen Kirchenmusiker (das sind freilich nicht alle) sind davon durchdrungen — eine durchgreifende Reform der Kirchenmusik als unaufschiebbar, so ist klar, daß sie, wenn sie Halbheiten vermeiden will, nicht ohne die Kirchenmusiker gemacht werden kann, die nicht nur ihre reiche Erfahrung und Beherrschung der Substanz, sondern auch ihre Verantwortungsbereitschaft und ihren künstlerischen Formungswillen einzusetzen haben. Denn eine Kirchenmusik, die künstlerischen Forderungen nicht genügt, ist auch liturgisch ungenügend. Das beweist die musikalische Gestaltung der Betsingm-isse, die bisher danebengelang, denn weder die Unterlegung der römischen Psalmodie mit deutschen Texten, noch das Singen neuer Gedichte zu alten Weisen, denen damit ihre angestammten Texte entzogen werden, bilden eine künstlerische Lösung. Sie sind allenfalls Notbehelfe. Aber Notbehelfe sind keine Reform, sondern zeigen nur die Notwendigkeit einer Änderung um so klarer auf.

Die Reform wird für den Kirchenmusiker nicht nur eine Klärung seiner Stellung mit sich bringen, sie wird sogar damit beginnen. Denn er steht heute am Scheidewege. Entweder wird die Tendenz, die Kirchenmusik ganz in geistliche Hände überzuleiten, wie sie bereits weithin sichtbar ist, den Laien überhaupt verdrängen und ihm damit ein jahrhundertealtes Erbe, aber auch ein liturgisches Amt entziehen, oder es wird ihm dieses Amt in seiner ganzen Tragweite, Verantwortung und Weihe bestätigt und seiner Bedeutung — als nicht nur ausführendes Organ, sondern als geistiger Faktor und schöpferischer Künstler — die gebührende finanzielle und gesellschaftliche Basis gegeben werden. Mit Zwischenlösungen wird es nicht mehr gehen. Im ersten Fall soll man die Kirchenmusikschulen schließen und die Jugend vor einem Beruf bewahren, in dem sie höchstens zweite Garnitur werden kann; im letzteren Fall wird man alle kirchenmusikalischen Kräfte eng zusammenfassen und sich — soweit es das Liturgische betrifft, selbstverständlich unter geistlicher Führung — den als nötig erkannten Reformen zuwenden.

Seit jeher war der Laie in der Kirchenmusik an vorderster Stelle tätig. Wir verdanken ihm die größten Meisterwerke geistlicher Komposition, die verdienstvollsten Wiedergaben, die bestgeschulten Chöre, die berühmtesten Sänger und Instrumentalisten, die ganze Tradition der Jahrhunderte. Man hat Palestrina den Retter der Kirchenmusik genannt. Er war ein Laie. Der Kirche dagegen verdanken wir vor allem die Sorge und Wachsamkeit um die Reinerhaltung dieser Kunst, sowie ihre Förderung und liebevolle Pflege zu allen Zeiten Sie hat Geister entflammt, nicht gebunden. Und der freieste Künstler wurde ihr gehorsamster Diener.

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