6978473-1986_02_17.jpg
Digital In Arbeit

Neuer Stil für die sakrale Musik ?

19451960198020002020

Warum empfinden viele die Musik im Gottesdienst als unbefriedigend? Warum tut die Kirche nicht mehr für das Entstehen einer neuen Kirchenmusik? Ein junger Komponist nimmt Stellung.

19451960198020002020

Warum empfinden viele die Musik im Gottesdienst als unbefriedigend? Warum tut die Kirche nicht mehr für das Entstehen einer neuen Kirchenmusik? Ein junger Komponist nimmt Stellung.

Werbung
Werbung
Werbung

In Österreich werden seit fünfundsiebzig Jahren Kirchenmusiker akademisch ausgebildet. Während in der — wirtschaftlich stärkeren — Bundesrepublik diesem Angebot an qualifizierten Kantoren, Organisten usw. seit den sechziger Jahren (für die evangelischen Kirchen seit den zwanziger Jahren) ein Stellen-

plan der Landeskirchen gegenübersteht, gibt es in Österreich nur in Ausnahmefällen die Möglichkeit, einen beruflichen — ganz-oder teilzeitlichen — Vertrag als Kirchenmusiker abzuschließen.

Es war wohl nicht zuletzt eine Folge fehlender gesellschaftlicher Zuwendung, daß bisr heute dem ausgebildeten Kirchenmusiker zumeist der kostenlos spielende Amateur vorgezogen werden muß. Dennoch konnte in Wien vor drei Jahren mit der Einrichtung dreier hauptamtlicher Vikariats-kantorate ein erster Schritt getan werden, um den Nachkriegsaufbau nun auch im kulturellen Bereich fortzusetzen.

Der anzustrebende Zustand der Kirchenmusik ist damit keineswegs erreicht. Vor allem die Fähigkeit der Menschen zum Singen hat abgenommen. Umfangreiche Ablenkungsmöglichkeiten und zunehmende Zivilisationskrankheiten spielen dabei ebenso eine Rolle wie Zeit- und Geldmangel, das Fehlen interessierter Gruppen, vor allem in der jüngeren Generation, oder das allgemeine — leider oft berechtigte — Mißtrauen gegen neue Musik im sakralen Raum.

Von Kirchen und Zeiten, in denen jeden Sonntag eine neue Kantate oder Messe unter Mitwirkung der gesamten Gemeinde durch hervorragende Komponisten einstudiert wurde, kann man heute nur träumen — und für allzu viele Menschen stellt diese Art, Gott zu preisen, bereits etwas völlig Fremdes dar.

Die Situation ist am besten aus der historischen Entwicklung heraus zu beurteilen: In der Folge des Zweiten Vatikanischen Konzils wurden zahlreiche Messen und Lieder aus dem liturgiefähigen Rahmen entfernt. Dadurch ergab sich zwar Raum für neue Werke. Doch hielten paradoxerweise gerade die Komponisten am professionellen Anspruch fest, der sie zu Polytonalität, Zwölftonreihen und Jazzrhythmik verpflichtete: Eine nahezu unüberbrückbare Kluft trennte sie vom Musikfreund mit seiner auch kriegsbedingt mangelhaften Ausbildung im Notenlesen.

Neben dem Unwillen über ungewohnte Rhythmen und komplizierte Melodien spielte auch das Fehlen geeigneter Texte eine Rolle. Die Lyrik — ohnehin schon selten genug religiösen Inhalten zugewandt — eignete sich durch das Fehlen des Versmaßes nur bedingt zur einprägsamen Vertonung für liturgische Zwecke. Soziale und wirtschaftliche Notwendigkeiten bewirkten ein weitgehendes Fehlen von Gemeinschaften, die sich produktiv mit künstlerischen Beiträgen zum Gottesdienst befassen konnten. Nur allzu wenige Ausnahmen bestätigen leider diese Beobachtung.

Neben dem Fehlen von Komponisten, die niveauvoll auf die Bedürfnisse singender Menschen Rücksicht nehmen konnten, hat wahrscheinlich auch die Teilung der Musik in „ernste" und „unter-

haltende" der liturgischen Musik nicht gut getan. Weder das Umfunktionieren des Kirchenraumes in einen - oft gar avantgardistischen — Konzertsaal noch die billige Adaption von Unterhaltungsmusik für den Gebrauch im Gottesdienst konnte gleichwertigen Ersatz bieten für das (nach dem Krieg besonders erhoffte) Erlebnis höchster Qualität, wie es einst der Meßfeier vorbehalten war.

Der selbstkritische Komponist ist geneigt, die Schuld bei sich selbst zu suchen. Zu dienen (in der Messe) ist schwerer als zu herrschen (im Konzertsaal). Welcher Komponist kennt die Funktion der Musik in der neuen Liturgie ausreichend? Und wer verbindet wirklich handwerklich-kompositorisches Können mit gutem Geschmack und Liebe zum singenden Volk?

So ist es wohl kein Zufall, daß die (für den Gottesdienst viel weniger geeignete) Instrumentalmusik in unserem Jahrhundert ungeheuren Aufschwung genommen hat: Für professionelle Instrumentalmusiker zu komponieren ist wesentlich leichter, als die (meist zuwenig geschulte) Intonationsfähigkeit von Laien-Sängern zu berücksichtigen, wodurch die % vielgeliebte — künstlerische Freiheit zudem eingeschränkt würde.

Selbst auf die Gefahr hin, hier Geister zu rufen, die man nicht mehr loswerden kann: Die Kirche entscheidet heute keine musikalischen Fachfragen — sie könnte aber wesentlich mehr beratendes Engagement für ihre Musiker zeigen. Zumindest den Komponisten kann dies derzeit nicht schaden. Die verschiedenen Standpunkte würden zwar Konfrontationen verursachen, doch das weitere

Fehlen des Gesprächs muß zu isolierter musikalischer Denkmalpflege führen.

Neueste Entwicklungen in der Tonsprache junger Komponisten deuten jedenfalls darauf hin, daß diese zunehmend zur gemeinsamen Suche nach schöner neuer Musik bereit sind—mag sein, auch für den Gottesdienst. Der Schritt zu „Neuer Einfachheit" ist längst getan. Neue Musik sollte nicht

länger verwechselt werden mit schwieriger Musik.

Die Kirche ist wohl der letzte Zufluchtsort, wo lebende Musik gebraucht und Musik nicht durch Tonkonserven ersetzt werden wird. Zur feierlichen Gestaltung der Liturgie sollte uns jede Mühe recht sein.

Der Autor, Jahrgang 1954, ist Komponist. Er leitete die Symposien „Musik von Morgen", Zwettl, 1984, und „Neue Hausmusik", Klosterneuburg, 1985.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung