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Die Hausmusik, Grundlage der Musikkultur

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Betrachtet man die Stellung, die die Musik in der menschlichen Gesellschaft einnimmt, und erkennt man die Familie als Keimzelle, als Wesensbestandteil jedes organischen Zusammenlebens, so gelangt man zur Musizierform der Familie, zur Hausmusik. Das Wesentliche an der Hausmusik ist aber das eigene Musizieren, dąs Zusammenspiel mehrerer, seien es nun Instrumentalisten oder Sänger, und der Zweck der häuslichen Musik ist ein ideeller, die menschliche Seele formender, denn gerade die Musik vermag vor allen anderen Künsten tiefe, innere Befriedigung zu gewähren dem, der sich mit ihr beschäftigt, der musiziert.

In unserer Zeit nun, da die Krise der heutigen Gesellschaftsordnung weitgehend durch die Erschütterungen des Familienlebens bedingt ist, fast möchte ich sagen durch mangelndes „Zusammenspielen", scheint für Hausmusik kein Platz und keine Zeit zu sein, zumal sie durch die technischen Errungenschaften der mechanischen Tonübertragung, durch Rundfunk, Schallplatte und Tonfilm ersetzt erscheint. Es steht fest, daß die Hausmusik im Laufe der geschichtlichen Entwicklung an Bedeutung verloren hat, war doch noch im 16. und 17. Jahrhundert alle Musik entweder Hausmusik, oder kultische, Kirchenmusik, die Oper die einzige öffentliche Musikstätte, und ein Hauskonzert bei der weitverzweigten, in allen Gliedern Musik betreibenden Familie Bach konnte mitunter ein stattliches Ensemble erreichen, aber gleichermaßen muß festgestellt werden, daß die spontane, häusliche Musikpflege mit eine der Grundlagen bildete, auf denen die Schöpfungen der großen Meister, die unsterblichen Werke der Musikliteratur erstanden.

Sobald die Musik im Konzertwesen an die Öffentlichkeit und damit das pekuniäre, ökonomische Moment in die Musik selbst tritt, historisch gesehen am Ende des 18. und vollends im 19. Jahrhundert, muß die Entwicklung von der Hausmusik hinwegführen. Noch im Zeitalter des aufgeklärt?11 Absolutismus steht der Musiker im Hofdienst, upd selbst ein Gerne wie Mozart mußte, aus Hofdiensten ent lassen, seinen Lebensunterhalt im wesentlichen mit Unterrichtgeben und Qelegen- heitskompositionen bestreiten, die noch im barocken Sign der Ausschmückung von Festlichkeiten oder zu Geschenkzwecken bestellt und bezahlt wurden. In der Oper erscheint zu dieser Zeit noch eher die gesellschaftliche Attraktion als die Kunst bezahlt. Die entscheidende Wende ist gleichsam die Entdeckung, daß ap der Musik Geld verdient werden könne. Dieses Moment ging vom Notep- druckgewerbe und der damit verbundenen Verbreitung aus, die gedruckte Musik wurde zyr verkäuflichen Ware, erfaßte dann die Musikinterpretation, beziehungsweise Reproduktion, und erst als letztes wird das Recht des Komponisten gewahrt Ständen bisher die geistigen, insbesondere die schöngeistigen Werte außerhalb der Maßstäbe der realen Werte, so folgt nunmehr die auch für unsere Zeit charakteristische Unterbewertung der geistigen Werte.

Die Auswirkung in der Hausmusik ist ein Abwenden vom eigenen Musizieren zum Musikgenuß des Hörens hin, die Musikkritik und Musikschriftstellerei tritt als Vermittler zwischen Mensch und Musik ein, die Musikästhetik gelangt an die Öffentlichkeit. Bedenkt man aber, daß die Musik ihren praktischen Wert erst mit der Reproduktion empfängt, so erscheint es selbstverständlich, daß das eigene Musizieren immer mehr oder zumindest eine ganz andere Befriedigung im Menschen auszulösen imstande ist, als das Hören allein, daß es tiefer in das Wesen der Musik eindripgen läßt, und somit ersdieint mit dieser Wendung unserer heutigen Oberflächlichkeit das Tor geöffnet.

Was die technischen Errungenschaften hetrifft, so hat der Rundfunk weitestgehend die Hausmusik „ersetzt", indem er Musik „ins Haus" brachte. Die Folge ist dįe Zentralisierung des Gebrauchsmusikgutes der Massen in meist staatlich geleiteten Institutionen, wodurch die Musik zumindest an Vielfalt, wenn nicht auch an Niveau verliert. Die Schallplatte schlich sich überall da ein, wp zu kleinen Feierlichkeiten, zu Festen oder zum Tanz gerade keine entsprechende Musikkapelle zur Verfügung war und ließ diese entbehrlich erscheinen. Zugleich mit dem Rundfunk übt sie jene Wirkung in der Öffentlichkeit vermöge ihrer Publizität aus, die im Dienste der Propaganda ganz falsche Vorstellungen geben kann. Was in dem Arrangements für Klavier im

19. Jahrhundert verbrochen wurde, setzt die Schallplatte im Potpourri fort. Der Film endlich zeigt als Stymmfilm noch das Bedürfnis nach einer musikalischen Untermalung und Begleitung, also hatte jedes Kino mindestens eine Orgel oder eig Klavier, wegn nicht ein kleines Orchester, das vielen Musikdilettanteg Gelegenheit zym Musizieren bot, dieses wird überflüssig mit der Einführung des Tonfilms, die Reste der ausübenden Musiker flüchten ins Kaffeehaus oder in sonstige Vergnügungsstätten. Letzten Endes konkurrieren aher cfie jüngsten Musikkurzfilme audi mit dem Konzertsaal, und sosehr es zu begrüßen ist, daß der Versuch unternommen wird, ernste Musik dem Publikum des Kinos näherzubringen, so darf doch nicht übersehen werden, daß ein Weitergreifen dieser Methode geeignet ist, ausübende Musiker weiter brotlos zu machen.

Die allgemeine Folge dieser Entwicklung ist wohl eine Entfremdung des Menschen von der Musik, da er in keinem unmittelbaren Verhältnis mehr zur Kunst steht, sondern auf die Vermittlung angewiesen ist. Dies äußert sich zunächst in einer zunehmenden Unbildung auf musikalischem Gebiet, nimmt aher auch wesentlichen Einfluß auf die psychische Struktur des Menschen. Mit dem Schwinden der Hausmusik erscheint mir gleichsam der Nährboden allen musikalischen Wachstums vermindert, woraus sich die Sprödigkeit und Absonderheit mancher heutigen Musikschöpfungen erklären ließe, die mehr und mehr einer Unfruchtbarkeit zuneigen. Einen entsprechenden Vorgang zeigt die Malerei, wo die Erfindung der Photokopie zur Wendung vom realen zum surrealen Bild trieb. Schließlich ist die oft nur mehr als Lärm zu bezeichnende Gebärdung mancher modernen Musik nichts weiter als ein flehentliches Bemühen, sich bemerkbar zu machen. Damit ist aber eine Entfernung von wahrer Kunst erreicht, die nur überbrückt werden kann, wenn alles, was sich zwischen Mensch und Musik geschoben hat, wieder entfernt und ein reines Verhältnis zur Kunst hergestellt wird.

Dies ist schon vielenorts erkannt und es ist immer wieder für eine Reaktivie-

rung der Hausmusik plädiert worden, doch stehen diese Bestrebungen poch allein und ohne maßgebliche Unterstützung. Freilich muß man sich klar sein, daß es nicht darum geht, Zustände von einst wieder ein uführen, sondern es gilt, den Menschen zur Musik zurückzuführen, breitere Kreise zur Musikausübung zu gewinnen. In diesen Dienst sind auch alle technischen Mittel zu stellen, die verantwortlichen Stellen der Musikwelt mit fachlich gebildeten Kräften zu besetzen und vor allem die Profitgier aus der Kunst zu bannen. Es wird unsere Aufgabe sein, die kommende Generation in diesem Sinne zu erziehen.

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