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Krise der Schauspielkunst

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Zunächst wollen wir, um einen festen Ausgangspunkt für unsere Untersuchung zu gewinnen, eine wichtige, nur scheinbar äußerliche Unterscheidung festhalten: zwischen schöpferischen und nachschaffenden Künsten. Dichtung, Tonkunst und ein Teil der bildenden Kunst gehört der ersten Gruppe an, denn sie stehen ausschließlich unter den ihnen eigenen Gesetzen/ Die Schauspielkunst dagegen ist eine nachschaffende, eine dienende, eine ausführende Kunst, deren innere Gesetze sich gleichsam der Oberhoheit einer anderen Macht — in diesem Falle der dramatischen Poesie — unterordnen, so daß der Mime unmittelbar seiner Kunst, mittelbar der höheren Gesetzgebung des Dichters abhängig verpflichtet ist. Während der Poet, der Komponist nichts geben kann als sein Erlebnis oder das von ihm geschaute Weltbild, zur gültigen, allmenschlichen Form und Norm geklärt und gebändigt, gibt der Schauspieler sein Bestes, indem er sich wandelt, indem er sein eigenes Ich einer dichterischen Fiktion unterordnet und in dieser aufgehen läßt. Sucht also der Dichter , das Bleibende, Beharrende im Fluß der Begebenheiten, so ist der Mime der immer veränderliche „Diener am Werke“, wie man neuerdings so oft sagt uncL, so selten zur- Tat werden läßt. Der Poet spricht gleichsam nur eine Sprache, seine eigene; der Mime. muß in vielen Sprachen reden, denn jedes Werk, jede Gestalt hat ihre Sprache. Er ist die. fleichgewordene poetische Imagination, und da jedes wahre Künstwerk — unbeschadet der Klarheit sginer künstlerischen Aussage — mehrdeutig ist, so ist auch die Schauspielkunst als solche eine Kunst des Abwandeins, muß doch jeder einzelne Vertreter dieser Kunst diese Aussage in seinem Sinne deuten„ Für die Interpretation gibt es keine Norm, sie bietet immer neue Variationen über das vom Dichter aufgestellte Thema.

Die geistige Umwälzung, in der wir seit einem Menschenalter stehen (die beiden Weltkriege und die politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Erschütterungen der Zwischenkriegszeit sind nur ihre sinnfälligsten Erscheinungen),' hat trotz ihrer qualvoll langen Dauer, noch nicht zur Bildung fester, neuer Lebensformen geführt. So kann es uns nicht wundern, daß die schöpferische Kunst als Ausdruck dieser schweren Krise mehr sucht un3 tastet als findet und gestaltet. Das Publikum aber, ermüdet durdi all die Kämpfe und Krämpfe einer unausgeglichenen, unausgegorenen Zeit, hält sich lieber an das erprobte Alte —/folgt doch immer die Öffentlichkeit, dem physikalischen Gesetz der Trägheit zufolge, nur in gemessenem Abstände dem Vorschreiten der geistigen Schöpfer. Das ist naturgegeben und völlig begreiflich, hat aber durch die Nachgiebigkeit mancher Schauspieler, zum Großteil auch infolge der durch jahrelangen politischen Druck so sehr gehemmten Entfaltungsmöglichkeit aller geistigen Kräfte im öffentlichen Leben, zu einer gefährlichen Verödung . unserer Kunstpflege geführt, der die .weitgehende Mechanisierung der künstlerischen Wiedergabe (Film, Schallplatte) mächtigen Vorschub leistet. Daher vor allem rührt das verhängnisvolle Uberwuchern des Starwesens, da die geminderte geistige Beweglichkeit des Publikums es scheut, sich mit neuen, daher im ersten Augenblick befremdlichen Kunsterscheinungen auseinanderzusetzen, sondern lieber an erkorenen Lieblingen festhält. Vom Film und Grammophon hat diese Erscheinung rasch auf das Theater und die Musikpflege übergegriffen. So wie die breite Öffentlichkeit immer wieder dieselben Schlager, ja auch immer wieder dieselben Werke unserer Großen und Größten zu hören verlangt (wann wird es einmal ein Denkmalschutzgesetz für die Wiedergabe von Musik und Dichtung geben?), so will man auch immer wieder dieselben Schauspieler sehen und fragt etwa bei einem.neuen Film nicht nadi Problemstellung oder gar Gestaltung des Werkes,- nicht einmal nach seinem Inhalt oder seinem Autor, vielmehr vor allem, „wer spielt“. Das Publikum begnügt sich mit dem Nächstliegenden und Sinnfälligsten. . ,

Aber nicht nur das. Von diesen Stars erwartet nun die Öffentlichkeit auch immer wieder dieselbe Art, dasselbe Wesen. Nicht die Wandlungsfähigkeit gilt als Kriterium eines' großen Darstellers, sondern die Beliebt heit des Typ u s, den er geschaffen und der nun fort und fort zur Wiederholung verlangt wird. Der eine (nomina sunt ödiosa) gilt

■ ein für. allemal als der strahlende, in allen Abenteuern siegende Held, der andere ist als raunzender Kleinbürger bekannt, dessen rührende Inferiorität den kleinen Mann im Zuschauerraum so verwandt “anspricht, ein' dritter erscheint ab der immer elegante zielsichere, die schwierigsten Lebenslagen meisternde Mann der Gesellschaft. Nicht minder haben sich viele weibliche Stars auf bestimmte Typen festgelegt: den der reifen, doch durch ihr sex appeaL unfehlbar wirkenden Frau, die Konsonanten „singt“ und mit ihrem schmachtenden Augenaufschlag \alle Männer betört — den des „süßen Mädels“ aus dem Volke, dessen Naturlaute, dessen „holde Verwirrung“ unwiderstehlich wirken.. Kein Zweifel, daß schon die Schaffung eines solchen Typus eine künstlerische Tat (freilich unterschiedlichen Wertes) bedeutet. Kein' Zweifel aber auch, daß sich in solcher Fest-* legung auf wenige einfache Grundzüge der psychologischen Struktur eine weitgehende Verarmung künstlerischer Wirkungsmöglich-' keiten kundtut. Und wie gedankenlos ist es, von diesen Mimen nun immer dasselbe oder doch immer das gleiche zu verlangen statt neuer künstlerischer Taten! Denn sie wären nicht die Künstler, die sie sind, vermöchten sie nichts als „ihren“ Typ immer zu wiederholen oder zu variieren. Und es gibt auch heute Darsteller, die sich der Bequemlichkeit des Publikums nicht zur Rechtfertigung der eigenen Bequemlichkeit bedienen, vielmehr jede Rolle zur gültigen Gestalt ausreifen lassen — in langer, mühevoller psychologischer Arbeit, Darsteller, die man von Rolle zu Rolle kaum wiedererkennt. Zu dieser psychologischen Arbeit gehört, neben vielem anderen, auch die Kunst, Maske zu machen — eine Kunst, die heute im' allgemeinen so kläglich in Verfall geraten ist, daß selbst (und gerade) manche „Prominente“ (welcher Abgrund geistiger Trägheit des Publikums tut sich schon mit diesem Terminus auf!) völlig darauf verzichtet. Auch in dieser Hinsicht spielen sie einfach „sich selbst“ — womit die Schauspielkunst freilich aufhört, Kunst zu sein und Schauspiel zu bieten.

Der Schauspieler als der ewig sicK Wandelnde — o gewiß, er ist nicht ausgestorben. Vorbedingung aber seiner ernsten und schweren Arbeit ist es selbstverständlich, daß er nicht als „Star“ überlastet wird, auch nicht sich selbst — um des Ruhmes oder Verdienens willen — überlastet, sonst kann er eben nur Konfektion liefern. Vorbedingung aber auch, daß der Autor nicht Konfektion liefert, nicht dem Mimen (in: völliger -Umkehrung der natürlichen Rang-i Ordnung) Stücke „auf den Leib schreibt'' sondern eben dichterische Aufgaben stellt* Der darstellende Künstler aber muß — wo-* fern er wahrhaft Künstler ist — den Mut haben, die im Publikum wirkende Trägheitsneigung zu überwinden und, entgegen dem Wunsche vieler einzelner, Neues und immer Neues zu bieten. Denn so gewiß der Künstler ein menschliches Echo braucht, so gewiß darf er sich nie dem Begehren des Publikums kritiklos fügen. In der ewigen Verbundenheit zwischen Kunstschaffen und Kunstempfangen muß die geistige Führung immer auf Seite des Künstlers liegen.

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