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Geigenbau in osterreich

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Am Nordabhange der Alpen ist die Wurzel der Bestrebungen zu suchen, die Geige, dieses kleinste Bogeninstrument, so auszugestalten, daß sie sowohl des höchsten Ausdrucksvermögens als auch des vollkommen reinen Tones fähig wird. Dabei kann an der äußeren Form dieses Instruments nichts geändert werden. „Die Geige ist das Vollkommenste auf Erden.“ Sie wird zunächst nach ihrem Tonwert geschätzt und dann erst tritt der Liebhaberwert in seine Rechte. Wie gesagt, nimmt von den Alpen aus der künstlerische Geigenbau seinen Anfang. Südlich dieses Gebirges, in Italien, erreicht die Geigenbaukunst ihre erste Blüte. Dort schufen stattliche Meisterschulen — den Grundprinzipien Tieffen-bruckers folgend — ihre einzigartigen, vorbildlichen Geigen. Hier war auch durch Monteverdi die geistige Atmosphäre gegeben. Die Kampfszene zwischen Tankred und Chldrinde in Tassos befreitem Jerusalem sucht er durch vier Geigeninstrumente zu zeichnen. Monteverdi wird dadurch der Schöpfer des neuzeitlichen Orchesters, das dann Haydn zum klassischen Symphonieorchester ausbaute.

Schon hat alsbald Tirol seine Meister des Geigenbaues aufzuweisen, wie Jakob Stainer, Albani und andere. Mittenwald folgt mit der Familie Klotz. Auch in Frankreich, den Niederlanden, wie in Norddeutschland kommt die Geigenbaukunst empor. Die Kunst des Geigenspiels zieht immer weitere Kreise. Wir erinnern uns des Ignaz Franz Biber aus Salzburg, dem Kaiser Leopold I. wegen seiner Meisterschaft im Geigenspiel den Adelstitel verleiht, fener des Vaters unseres Mozart, Leopold Mozart, eines Schülers Tartinis und des in Wien 1749 hochgefeierten Geigers Ferrari und erwähnen nur flüchtig Viotti, auf den sich die Wiener Geigenschule zurückführen läßt. Einer Erscheinung im Instrumentenbau möge noch gedacht werden, die mit den entstehenden zahlreichen Musikkapellen im Lande Böhmen in Zusammenhang steht. Die Nachfrage nach Streichinstrumenten wird immer größer und deren Erzeugung wird „I n d u s t r i e“. Erwähnt seien die Orte Graslitz, Schönbach, Markneukirchen. Seit 1877 sind in Schönbach Fachschulen neben der Instrumentenerzeugung als Hausindustrie. In der Erzeugung der Streichinstrumente ist eine Dreiteilung zu beobachten. Die Herstellung liegt entweder in den Händen von Künstlern oder sie erfolgt im Wege der Industrie oder sie geschieht durch Pfuscher. Die „Nachahmung“, das Kopienwesen, hat auch im Geigenbau so manches Unheil mit sich gebracht.

In unserem Vaterlande hat sich die Erzeugung von Saiteninstrumenten nicht nur in den Hauptstädten, sondern auch in vielen Provinzstädten ansehnlich entwickelt.

Nicht allein der Bau von Streichinstrumenten, auch Lauten, Mandolinen, Zithern und Klaviere werden verfertigt, aber in überwiegender Zahl erfolgt doch jener von Geigen, Bratschen, Cellos, Bässen und Lauten. Und es muß zum Lobe unserer Meister hervorgehoben werden, daß in Österreich, und insbesondere in Wien, Instrumente geschaffen wurden, die sich mit vollem Recht, was Material und Klangschönheit betrifft, in die Reihe der besten italienischen Meisterwerke stellen können. Viele dieser Instrumente sind in den Händen großer Künstler und künden

Österreichs Ruhm und Bedeutung in der Geigenbaukunst. Eine stattliche Zahl der Namen von Meistern und Meisterfamilien wäre hier zu nennen, wie Stainer, Hawelka, Frank, Strotzinger, Fuchs und in unserer Stadt insbesondere: Bartl, Bittner, Brandstätter, Coletti, Haudek, Hofmann, Jaura, Jirowsky, Kaltenbrunner, Laimböck, Leidolf, Poller, Rauer, Staufer, Stübiger, Stoß, Thir, Voigt, Wittmann, Zach und andere. Sie repräsentieren die Wiener Schule; ihre Werke klingen als Konzert- wie als Soloinstrumente, an deren Klang die musikliebende Welt sich immer aufs neue erfreut.

In den Jahren nach dem ersten Weltkriege Ränderten viele kostbare Instrumente in andere Länder und Erdteile, teils in Sammlungen, teils in Künstlerhände. Aber bald kam die Geigenbaukunst wieder in Fluß, das Musikleben nahm einen erfreulichen Aufschwung. Heute nach der welterschütternden Tragödie ist die Lage eine weitaus traurigere geworden.

Wieviel wertvolle Geigen sind vernichtet worden! Immer wieder treffen Nachrichten über den Verlust gar mancher edler Schöpfung ein. Andere Musiker klagen über die sinnlose Entwendung ihrer Lieblinge. Groß ist auch die Zahl jener Instrumente, die während der Aufbewahrung bedenklichen Schaden genommen haben, ob sie im Luftschutzkeller versteckt oder im Tresor aufbewahrt oder gar eingemauert waren. Andere Instrumente erlitten durch eine schlechte Behandlung schwere Beschädigungen, und die Frage der Reparatur ist zu einer leidvollen Sorge geworden. Woher sollen die Bestandteile genommen, wo sollen Holz, Saiten, Stege, Griffbretter, Wirbel, Saiten- und Kinnhalter beschafft werden? Die geringen Vorräte sind vollkommen erschöpft. Wie wird sich das alles erst auswirken, wenn die vielen Musiker, die derzeit noch abwesend sind, zurückkehren werden und ihrem Erwerb wieder nachgehen wollen? Und wie wird sich die Lage gestalten, wenn die Schulen ihren vollen Betrieb wieder aufnehmen werden, die Instrumente jedoch nicht verwendet werden können. Es sei nur auf die vielen Geigen, Lauten hingewiesen, die in den Wierer Schulen allein vorhanden sind. Wie sollen sie wieder instand gesetzt werden? Gerade die musikalische Bildung darf in Wien unserer Jugend nicht vorenthalten werden. Hier liegt ja die Zukunft, beziehungsweise die Möglichkeit der Bewahrung und Weiterentwicklung der kulturellen Tradition unseres lieben Vaterlandes. Auch die rühmliche Pflege der Hausmusik gehört ja zu den wohl erhaltenswerten Erscheinungen. Ist nicht auch das Wirken unserer hervorragenden Orchestervereinigungen fast in Frage gestellt?

Die Öffnung der Grenzen und die Möglichkeit der Einfuhr des erforderlichen Materials ist eine notwendige Forderung der österreichischen Musiker, die im Rahmen des Wiederaufbaues wohl ausgesprochen werden muß. Beim Bezüge des brauchbaren Holzes sowie der Bestandteile für die Streichinstrumente waren früher die Orte Asch und Schönbach in der Tschechoslowakei maßgebend, für Bogen und Saiten Frankfurt am Main und Markneukirchen in Sachsen.

Wenn die Wiener Geigenmacher die große Tradition ihres Handwerks bewahren sollen, wird man ihnen die Voraussetzungen ihrer Arbeit erhalten und geben müssen, im Interesse unseres Landes und der Weltgeltung des österreichischen Instrumentenbaues.

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