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Pendelausschlag zu weit?
Die Wiener Diözesankommis-sion für Kirchenmusik beging kürzlich das Jubiläum ihres vierzigjährigen Bestehens. Ursprünglich vor allem mit der Heranbildung von Organisten und Chorleitern in der NS-Zeit beauftragt, sieht sie heute ihre Hauptaufgabe in einer organischen Verbindung der Pflege der „Schätze der Kirchenmusik“ mit den Erfordernissen der Liturgiereform. Wie sehr hier die Meinungen auseinandergehen, mögen die beiden Beiträge dieser Seite andeuten.
Die Wiener Diözesankommis-sion für Kirchenmusik beging kürzlich das Jubiläum ihres vierzigjährigen Bestehens. Ursprünglich vor allem mit der Heranbildung von Organisten und Chorleitern in der NS-Zeit beauftragt, sieht sie heute ihre Hauptaufgabe in einer organischen Verbindung der Pflege der „Schätze der Kirchenmusik“ mit den Erfordernissen der Liturgiereform. Wie sehr hier die Meinungen auseinandergehen, mögen die beiden Beiträge dieser Seite andeuten.
Die moderne Kirchenmusik sucht ihre Identität. Es sieht so aus, als würde nach einer Ära des Innehaltens in der Entwicklung der Kirchenmusik das Pendel manchmal zu weit ausschlagen. Um die aus dem 19. Jahrhundert überkommenen akustischen Spinnweben zu zerreißen und das Trauma zu überwinden, fließen nun allzu leicht Elemente der profanen Musik in'die sakralen und liturgischen Ausdrucksformen ein, meint Prof. Franz Haselböck, Leiter der Abteilung für Kirchenmusik an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Wien.
Eine Antwort auf Mangelerscheinungen ist die rhythmische Messe. Die Jugend will heute nicht mehr 300 Jahre alte Lieder singen und versucht, das Fehlen neuer Lieder durch „Songs“ zu ersetzen. Was sich aus dem Bedürfnis nach Neuerungen entwickelt hat, kann aber nicht die gesamte Musikszene tragen.
Mag sein, daß die bemühten Laienmusiker das eine oder andere Mal in die falsche Schublade gegriffen haben, wenn es darum ging, neue Gestaltungsmöglichkeiten zu finden. Dies zeigt das Beispiel „Jazzmesse“,
gegen die sich die Jazzprofi verwehren und „ordentlichen“ Jazz fordern. Für die Gesamtentwicklung sind sie aber von großer Bedeutung. Was wäre der Gottesdienst ohne den Lehrer, der sonntags die Orgel spielt? Was täte der Chorleiter ohne die freiwilligen Sänger aus Leidenschaft? fragt Prof. Haselböck.
Der Domorganist von St. Stephan, Peter Planyavsky, kann aus seiner Erfahrung berichten: In fast allen Pfarren sind es Amateure, die den Gottesdienst gestalten. In ganz Österreich gibt es nicht viel mehr als 15 hauptberufliche Kirchenmusiker. Solange die Pfarren den kulturellen Auftrag nicht annehmen, die Kirchenmusik zu fordern, wird die Entwicklung auch keinen entscheidenden Anstoß erhalten. Planstellen in größeren Gemeinden, die mit ausgebildeten Musikern besetzt werden, könnten für die kleineren vorbildlich wirken, Chöre motivieren, Weiterbildung für ambitionierte Laien anbieten und insgesamt den musikalischen Bereich aufwerten.
Das Zweite Vatikanische Konzil hat die Liturgie für die Musik um vieles leichter zugänglich gemacht,
führt Prof. Haselböck weiter aus. Pius X. hat betont, daß die Kirche für neue Werke der Kirchenmusik durchaus offen ist. Sie ist offen für alle Stile und scheut keineswegs die Konfrontation mit der Moderne. Eigentlich ist es die „Assoziationsbelastung“, die eine natürliche Grenze in der Wahl der Mittel setzt, erklärt Prof. Haselböck. Damit ergibt sich für die rhythmische Bewegung schon von der Konvention her eine Belastung, Es ist nicht nur die rhythmische Bewegung, die dem Gläubigen die Meditation erschwert, meint Planyavsky, der aus seinen Erfahrungen mit den Besuchern des Domes von St. Stephan weiß, daß auch die Avantgarde ähnliche Probleme aufwirft. Aus diesem Grunde konzentriert er sein Repertoire hauptsächlich auf Messen von Johann Sebastian Bach, Johannes Brahms und Felix Mendelssohn-Bartholdy. Das heißt nun aber nicht, daß die Avantgarde bedeutungslos wäre. Nach dem
Krieg wagten Josef Lechthaler und Johann Nepomuk David den Vorstoß in die Zwölftonmusik. Im Wiener Raum arbeiten die Komponisten Ernst Tittl und Anton Heiller, Josef Friedrich Doppelbauer, Franz Kropfreiter und Helmut Eder.
Die Schwierigkeiten der avantgardistischen und der jüngsten Strömungen liegen in den hohen Ansprüchen, die sie an die Musiker stellen. Heute ist wieder eine leichte Wegwendung von der Avantgarde und eine Annäherung an das Melodische zu erkennen.
Die anspruchsvollen modernen Werke der Kirchenmusik haben mehr und mehr ihren Platz in den modernen Kommunikationsmedien gefunden. Seit mehr als 20 Jahren ist die Sonntagsmesse im ersten ORF-Programm fester Programmpunkt. Angefangen bei den einfachen Bet-und Singmessen, über einfachen Gesang zu künstlerischen Darbietungen werden auch moderne orchestrale Kirchenmusik-Kompositionen ausgestrahlt.
In den Konzertsälen haben sakrale und liturgische Kompositionen ihren Platz, seit es öffentliche Konzertsäle gibt. Es scheint, als hätte die Kirchenmusik hier eine Möglichkeit zur Entfaltung gefunden, die ihr als integratives Element in der Liturgie zum Teil versagt bleibt, da dort das Wort die führende Rolle spielt, meint Prof. Haselböck.
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