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Kirchenmusik ist keine spielwiese

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... aber zeitgenössische Komponisten greifen immer wieder religiöse Themen auf: „Hiob”, „Simon”, „Der Totentanz”, „Das große Ossiach-Spiel”.

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... aber zeitgenössische Komponisten greifen immer wieder religiöse Themen auf: „Hiob”, „Simon”, „Der Totentanz”, „Das große Ossiach-Spiel”.

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Jene Zeit, wo das Christentum noch in der vollen Glorie strahlte, scheint auf immer von der Erde verschwunden, und mit ihr jene heilige Weihe der Künstler”, meinte schon E. T. A. Hoffmann Ende des 18. Jahrhunderts und glaubte, daß damit die „Musik überhaupt” untergegangen sei. Solange es Menschen gibt, singen sie sich die Fragen nach Leid und Glück, Leben und Sterben von der Seele. Wer aus seiner Religion die kosmische-musikalische Ordnung heraushört, findet zu jener weltumspannenden Religiosität, die für die ganz großen Meister selbstverständlich war: Bach, der Protestant, komponierte eine H-Moll-Messe. Mozart ging in seiner Salzburger Zeit täglich in die Kirche, weil er da eine wichtige musikalische Tradition lernen konnte.

Im Schaffen für die Kirche darf sich der österreichische Komponist der Gegenwart, ohne als altmodisch zu gelten, den Traditionen zuwenden. „Kirchenmusik ist keine Spielwiese für Experimente!”, sagt Herbert Lauermann aus dem Bewußtsein des gläubigen Komponisten.

Natürlich nehmen Komponisten, die sonntäglich Gottesdienste auf der Orgel begleiten, geistliche Themen auf - wie der Domorganist von St. Florian, Augustinus Kropfreiter, Tafeln von Albrecht Altdorfer in einer „Altdorfer Passion”. Peter Planyavsky, Domorganist zu St. Stephan, verschlägt die Gewohnheit liebevoll die Ehrfurcht. Weil „man während eines Hochamts sowieso kein Wort versteht”, komponierte er in der Tradition der Parodiemesse auf lateinische Sinnlos-Texte.

In den Kirchenbesuchern erreichen moderne Komponisten nicht nur ein Publikum, das größer ist als in einem Konzert, sondern auch willige Ausführende, meist Amateure. Die Musik der Zeit, eingebettet in einen funktionalen Zusammenhang und zurückgeführt zu kultischer Notwendigkeit, erfordert die Reduktion aufs Wesentliche. Heinz Kratochwil komponierte „dem Herrn ein neues Lied”, gefordert durch die Ansprüche des Chors der Wiener Wotruba-Kirche. Alles, von archetypischen Chorälen bis zur Schlagzeug-Orgie, lädt in seiner „Missa Nova” zum Mitsingen ein.

Für Musik „in liturgischer Anwendung, nicht schön oder interessant”, besteht seit dem Zweiten Vati-kanum großer Bedarf. Planyavsky -„Ich bin nicht besonders gläubig” -versucht junge Komponisten für diese Musikart zu gewinnen, deren Tantiemen noch unter denen von Konzerten liegen. Er akzeptiert die Grenzen des Auftraggebers Kirche genauso wie die Einschränkung im Schwierigkeitsgrad. So entstand für den Domchor von St. Stephan eine aufführbare, eindringliche Sprechpassion.

War es einst die Kirche selbst, die die Musik in ihre Dienste geholt hat, fühlt sie sich heute von vertonten religiösen Themen oft angegriffen. Kirchenopern lösen Differenzen zwischen profanem Auftraggeber und Gläubigen oder deren Hirten aus. Axel Seidel-manns „Hiob” in der Wiener Otto Wagner Kirche am Steinhof uraufgeführt, stand unter dem Verdacht der Blasphemie: Hiob war in Unterhosen zu sehen. Hiob ist für den jungen Seidelmann die vertonte Antwort auf immer wieder gestellte Fragen. „Warum der Gerechte trotz und in seiner Schuldlosigkeit leidet, bleibt offen.” Seidelmann weiß, daß er sich damit gegen die Lehrmeinung der Kirche stellt. „Man muß nicht gläubig sein, um in der Bibel Antworten zu suchen.” Seidelmann sucht den Klang einer strahlend goldenen Ikone für „seinen” Musikhimmel und weigert sich, die Moral zu vertonen: „Was hilft es den Schwachen, daß Gott auf ihrer Seite steht?”

In der Auseinandersetzung mit der Bibel klärt sich für den Komponisten seine Beziehung zur religiösen Tradition. Herbert Lauermanns szenische Predigt „Simon” aus der Zeit der Geburt Jesu macht bewußt, was die Masse der Menschen nicht begriffen hat: „Mit der Geburt Jesu ist nichts mehr, wie es war.” Aber - ist diese Geschichte um einen Mann, der behauptet, Gottes Sohn zu sein, überhaupt wahr oder bloß eine Legende?

Librettist Herbert Vogg hat einen Schiedsrichter eingebaut. Die Oper entging bei ihrer Uraufführung beim Carinthischen Sommer nicht den Diskussionen um Wahrheit und Unwahrheit. „Aber es kamen keine negativen Reaktionen von der Kärntner Kirche”, verneint Lauermann die Frage nach Dankbarkeit oder Anerkennung für sein christliches Engagement.

Der protestantische Christ Vogg hat 1994 das Gesamtkonzept für „Das große Ossiach-Spiel” erstellt, das von drei Kärntner Komponisten, zwischen 23 und 72 Jahren, vertont wurde. Die Geschichte des modernen Menschen von der Wißbegierde zur Selbstanklage endet tröstlich. In-fragestellen, nachgehen, erforschen, was aus der Botschaft Christi geworden ist - das versucht auch Gerhard Wimberger im „Memento Vivere”.

Das Totentanz-Sujet war 1992 in Ossiach Thema einer Gemeinschaftskomposition nach dem Libretto des Staatsopern-Dramaturgen Richard Bietschacher. Nach Hans Holbeins Bild hat Cesar Bresgen 1947 seinen „Totentanz” vertont, gerade nach dem Zweiten Weltkrieg. Ganz ohne die Konfrontation mit dem weitgehend sanktionierten Kriegstod schrieb der junge Gerhard Schedl einen „Totentanz von anno neun” nach dem Bild von Egger-Li-enz. Die Melodien werden endlich zerrissen, ein „Knochengeräusch” bleibt über und erlischt langsam. Letztlich weiß die Musik auch keine Antwort.

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