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Mottete Messe – Oratorium

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In Antonio Lottis achtstimmigen „Gruci- fixus“ erreicht, wohlklang- und kontrapunktgesättigt, die alte Kirchenmusik einen ihrer letzten Gipfel. Künstlerische Meisterschaft und liturgische Weihe bilden noch jene vollkommene Einheit, die schon damals sich zu lockern begann und etwa in Antonio Caldaras „Regina coeli" bereits ein zwiespältiges Gesicht zeigt. Beide Motetten bildeten den Goldgrund einer bis in die Gegenwart reichenden Chorbilderreihe, die dtr Akademiekammerchor, von Ferdinand Großmann zu erstaunlicher Hochleistung geführt, in einem Konzert entrollte. Bei aller Verschiedenheit der Schau und aller Vielfältigkeit des Ausdrucks ist die geistig-religiöse Haltung der alten Motette auch in den zeigenösSischen Chorliedern, unter denen' besonders Josef Lechthalėrs „Lieder von der Wanderschaft" Und Franz Burkharts „Triptychon“ etwas vom alten Goldschimmer an sich haben, immer Poch untergründig wirksam, auch in weltlichster Verkleidung spürbar; kann den Anspruch des Herzens nicht entbehren und versagt in rein verstandesmäßigrn Bezirken. Raimund Weißeristeiners „Trauergesang aus dem Hohen Lied“, Friedrich Wildgans’ „Lieder auf Verse von Abraham a Sancta

Clara" sind ihr bewußter, Franz Meltchkrs „Ach, Liebste" und Leopold Emmers „Mor- gengefild“ unbewußter zagewandt, und in Josef M. Hauers chorischen' Zwölftonsptelen lebt sie nicht weniger deutlich als in Gustav Donaths romantischer „Kantate über ein Marienlied“.

Durch diese Haltung ist die Motette'nicht nur ständiges Bindeglied zwischen geistlicher und profaner Musik, sondern auch Grundstein der Vokalformen großen Stils: der Messe und des Oratoriums. Wir hörten, wieder unter Großmanns Leitung, A ri t ö n Bruckners Mjpsse in f-möll, die letzte der großen symphonischen Instrumentalmessen seit Joseph Haydn und zugleich abermals Wendepunkt kirchemriusi- kalischer Entwicklung, das Konzert zutn Gebet verdichtend und persönliche Andicht zur liturgischen Gemeinschaft erweiternd. Leider merkte man der Aufführung die “geringe Probenzahl an, weniger den 'übermüdeten Symphonikern als den unpräzisen, zuweilen schleppenden Chören und ' den Vermutlich aus dem gleichen Grandė etwas unsicheren Solisten. E3 liegt ebenso ifn Sinne der Ausführenden als der Zuhörer und der künstlerischen Tätigkeit überhaupt, dal£ für a 11 e Konzerte und Dirigenten die notwendige Probenzeit zur Verfügung steht. Sparsamkeit bedeutet hier Verschwendung, und das mehr-weniger geniale Improvisieren eine meist recht unvollkommene Leistung;

Und wieder als letztes einer ehrwürdigen Reihe der großen Oratorien seit Händel stellt sich Franz Schmidts „Buch mit. sieben Siegeln“ dar. Nicht der „neuen“ Musik, vielmehr der großen Tradition zugehörig, sammelt es noch einmal alles altmeisterlich Errungene und findet Neues aus der Fülle, geht der Wortmelodie nach und verdichtet gläubige Prophetie zu atembeklemmender Dramatik, wird Geschichte der. Seele und Apotheose katholischer Weltsdiau. Die Kraft schöpferischer Persönlichkeit formt noch einmal die Universalität des christlichen Gedankens zur Größe des Kunstwerks, singt eine letzte Strophe zu Handels „Messias" und Haydns „Schöpfung“ mit aller Erschütterung der dem Ende sich nähernden Zeit. Die Aufführung erhielt ihr besonderes Signum durch den jungen Dirigenten Anton Heiller, der die ihm anvertraute Riesenpartitur ebenso wie die Legion der Ausführenden beherrschte (Symphoniker, Singakademie, Staatsopernchor, Akademiekammerchor) und mit einer Kraft zum Erlebnis gestaltete, die ihm neben dem stürmischen Beifall des Publikums auch den der Solisten auf offener Szene bescherte. Hier ersteht eine junge Dirigentenbegabung, die nach Gelegenheit zur Entfaltung verlangt. Die aus der Intensität seines Impulses erwachsende eckige und noch etwas unbeherrschte Gestik wird mit der Vertrautheit der Materie sich runden, ohne der Einstudierung vor dem Spiegel zu bedürfen. Anton Heiller ist der Anspruch des jungen Österreich auf das überkommene Erbe, und dieser Anspruch wird erfüllt werden müssen, soli der Schatz nicht in fremde Hände fallen. Warum in die Ferne schweifen .. ? Die Solisten boten, von der Musikbesessenheit des Dirigenten sichtlich angeregt, außerordentliche Leistungen, insbesondere Elisabeth Höngen und Julius Patzak sowie Kurt Rapf an der Orgel, während die Chöre, durch ihre Masse an sich schwerer beweglich, eine gewisse Neigung zum Schleppen erst nach und nach überwänden. — x

Die alte Kirchenmusik lebt noch, zumal ihre Quelle, der gregorianische Choral, als Bestandteil der Liturgie lebendig bleiben Wird Bis ans Ende der Zeiten. Es ist einer der erschütterndsten Augenblicke im „Buch mit sieben Siegeln“, wenn nach der äußersten Kraftentfaltung des großen Halleluja Männerstimmen mezza voce eine schlichte unbegleitete Psalmodie anstimmen: Heimkehr zum gottesdienstlichen Gesang aus weltweitester Wanderschaft der Kunst.

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