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Große Chöre, schöne Stimmen

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Wie „Die Jahreszeiten“ am Beginn, so stand „Die Schöpfung“ am Ende der Featwochenkonzerte,: innerhalb deren Joseph- Haydn der' meistge— spielte Komponist war. Das bedeutet Bekenntnis zu Österreich ebenso wie zur Traditionsverbundenheit, Besinnung auf das bodenständig Echte und insofern ein absolut Positives. Inwieweit es auch so etwas wie ein Flucht in die Vergangenheit bedeutet, wäre noch zu erwägen. In der glanzvollen Schlußaufführung der „Schöpfung“ war Walter Berry der hellste Stern. Erdverbundene Gläubigkeit, durchgeistigt durch reinste künstlerische Formung und Ausdruckstiefe, strahlten am hellsten aus seinem Gesang, dem sich (in den Soli) Hilde Gilden und Robert Ilosfalvy gesellten. Der Chor der Singakademie, präzise wie immer, schien zuweilen etwas angestrengt, was bei der Inanspruchnahme dieses Klangkörpers nicht verwundern dürfte. Das Orchester der Wiener Symphoniker unter Hans Gillesberger klang flüssig und festlich, war aber an Differenziertheit nicht allzu variabel.

Ein Chorkonzert des Wiener Schubertbundes unter Leitung von Heinrich Gattermeyer wußte in seinem apart gewählten Programm Altes und Neues mit der gleichen Güte an den Mann zu bringen. Gleich der erste Chor (Schubert: MIm Gegenwärtigen Vergangenes“) war ein Musterbeispiel gesanglicher Gestaltung: ein großer Chor mit kammermusikalischer Wirkung in der Feinheit der Melismen und Wendungen. Die bedeutendsten Stücke des Programms waren zweifellos Gattermeyers Zyklus „Pferd“, ein vierteiliger Zyklus nach Gedichten von Ernst Jirgal, für Männerchor, zwei Klaviere und Schlagwerk, sowie Ernst Tittels „Probate Weibersprüche“. Der Inhalt der Gatter-meyerschen Komposition versinnbildlicht die fortschreitende Loslösung des Menschen von der Kreatur und seine Hinwendung zur Automatik. Demgemäß sind die

Schlaginstrumente, vor allem aber die fast durchweg motorisch stampfenden Klaviere eingesetzt.., Gelegentliche Lautmalereien,“ überklingen diese Motorik. Der Chorsatz is^'lok-ker, verzahnt und wuchtig, doch nie patzig und daher von unmittelbarer Wirkung. Ganz anders Tittels „Probate Weibersprüche, eine heitere Symphonie für einen Chorus tapferer Männer“, a cappella und, wie Titel und Text verraten, auf Heiterkeit und Ironie gestellt. Jeder dieser vier Chöre besteht nur aus einem einzigen Textsatz (Spruch) und ist nicht mehr als ein etwas verbreiteter Aphorismus. Bittchoral, Scherzo, Adagio und Kußintermezzo sind die launigen Untertitel. So weit, so gut, doch bemerkt man hinter der Komposition die Hand eines absolut ernst zu nehmenden Gestalters, und nur dieser Ernst bedingt die Heiterkeit der Wirkung. Chöre von August Petzmann, Hans Kracke, Otto Siegl und Jakow Gotovac ergänzten das Programm, ebenso Klaviervorträge von Dr. Hans Weber. Die chorerzieherische Arbeit des Dirigenten trägt ihre Früchte in Programmwahl und der Ausführungswendigkeit des Schubertbundes, was um so schwerer wiegt, da der chorische Männergesang an einem Wendepunkt steht, aus dem er nur durch neue intensive Impulse und ebensolche Arbeit zukunftsgesichert erscheint.

Cesare Siepi, von Leo Taubmann begleitet, bescherte uns einen Abend mit Liedern und Arien, der zu dea. besten dieser Art gehörte. Nach einem Anonymus und Gesängen von Stradella, Cesti und Perti (16. und 17. Jahrhundert), darin die melischen Verzierungen mit ebensolcher Präzision als Leichtigkeit ausgeführt waren, bot der Sänger mit fünf Gesängen von Johannes Brahms (in tadellosem, fast akzentfreiem Deutsch) wohl eine seiner ganz großen Leistungen. Denn nicht nur die Sprache, auch die Ausdrucksskala gelang in vollster Einheit mit Text und Musik. Gleiches gilt von der Arie „Es ist genug“ aus dem Oratorium „Elias“ von Mendelsohn. Die mehr chansonartigen Gesänge von Duparc und Faure beherrschte er mit diszipliniert verhaltener Stimme ebenso natürlich, wie er diese warme, strömende, dunkle Stimme in Gesängen von Richard Strauss und in den Arien von Carlos Games (1839 bis 1896) und Giuseppe Verdi, sowie in der spritzigen Konzertante „L'Orgia“ von Rossini in allen Registern voll einsetzen und ausschöpfen konnte. Es war ein Abend der schönen Stimme, aber auch einer der geistigen nachschöpferischen Leistung ersten Ranges.

Als stimmliches Ereignis ist der Liederabend von Lucretia West zu bezeichnen. Wie dieses reiche und füllige Organ alle Register spielend beherrscht, in tönender Feierlichkeit Händelsches Format erreicht und dennoch zarte und zärtliche Klänge zaubert, ist ein Erlebnis an sich. Dazu gesellen sich absolute Sprachsicherheit — sie sang deutsch wie mit deutscher Zunge —, stilistische Einfühlung und Sicherheit — wer dürfte ein Programm mit Beethovens „Ehre Gottes in der Natur“

beginnen, ohne mehr als bloß zu präludieren! — und weitgehende inhaltliche Ausschöpfung, die in den „Vier ernsten Gesängen“ von Brahms und in vier Liedern von Gustav Mahler erstaunenswert tief, wenn auch nicht bis zum Grunde ging. Lieder von Schubert und Samuel Barber ergänzten das vielseitige Programm, auch hier von Negro Spirituals abgeschlossen, die ihrer Wirkung an sich, in solcher Interpretation doppelt sicher sind.

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