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Der Musikant Gottes

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Noch am Morgen seines Sterbetages, am 11. Oktober 1896, beschäftigte sich Bruckner mit den Skizzen zum Finale seiner letzten Symphonie. Im Sommer des Vorjahres war er, einer Einladung des Kaisers folgend, ins Obere Belvedere übersiedelt. Er war Ehrendoktor der Universität Wien, k. u. k. Hoforganist und Träger des Franz-Joseph-Ordens. Neben seiner Pension und einem Ehrengehalt bezog er eine Personalzulage des Kaisers. Aber alle diese Anerkennungen und Ehrungen waren spät gekommen ... 1884 und 1885 hatten Nikisch und Levi in Leipzig und München seine siebente Symphonie dirigiert, und die Wiener Philharmoniker hatten unter Richter seine Achte uraufgeführt.

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Noch am Morgen seines Sterbetages, am 11. Oktober 1896, beschäftigte sich Bruckner mit den Skizzen zum Finale seiner letzten Symphonie. Im Sommer des Vorjahres war er, einer Einladung des Kaisers folgend, ins Obere Belvedere übersiedelt. Er war Ehrendoktor der Universität Wien, k. u. k. Hoforganist und Träger des Franz-Joseph-Ordens. Neben seiner Pension und einem Ehrengehalt bezog er eine Personalzulage des Kaisers. Aber alle diese Anerkennungen und Ehrungen waren spät gekommen ... 1884 und 1885 hatten Nikisch und Levi in Leipzig und München seine siebente Symphonie dirigiert, und die Wiener Philharmoniker hatten unter Richter seine Achte uraufgeführt.

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Seit 1868 war Bruckner Nachfolger seines Lehrers Simon Sechter am Wiener Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde für Orgel, Harmonielehre und Kontrapunkt; seit 1877 hatte er ein Lektorat an der Universität Wien. Während der Weltausstellung in London konzertierte er täglich in der Albert-Hall und gab fünf Konzerte im Kristall-Palast. Zwei Jahre vorher hatte er in Nancy und in Paris gespielt, und in Notre-Dame waren Cesar Franck, Saint-Saens, Auber und Gounod seine Zuhörer... Bruckner, der Organist, war nicht ohne Beachtung und Anerkennung geblieben. Der Schulgehilfe in Windhaag und Kronstorf hatte es weit gebracht — wenn auch erst in reiferen Jahren.

Aber Bruckner war ja auch in seiner Entwicklung ein Spätling, der bis zu seinem 40. Lebensjahr emsig studierte, unentwegt Prüfungen machte und Zeugnisse und Gutachten einsammelte, um sich amtlich seine Kenntnisse und Fähigkeiten bestätigen zu lassen. Dies ist einer der rührendsten Züge im Bild dieses so bescheidenen, kindlich-gläubigen Menschen, für den tägliches Gebet, Beichte und Sakrament Lebenselemente waren. Kein Komponist des 19. Jahrhunderts war so in seinem Glauben verwurzelt wie Anton Bruckner, und das OAMDG (Omnia Ad Majorem Dei Gloriam) in seinen Partituren ist mehr als ein Handwerkszeichen. Dieser Glaube, der auch die Kirche und ihre Vertreter einschloß, war für Bruckner ein ständiger Halt, besonders in Zeiten schwerer psychischer Leiden, wenn sich seine Depressionen zur Lebensangst, zu Gefühlen der Unsicherheit, Einsamkeit und völliger Verlassenheit steigerten, oder wenn er, der zu Lebzeiten am meisten verkannte Komponist des 19. Jahrhunderts, unter den Angriffen seiner erbitterten Feinde zusammenzubrechen schien.

Der Weg aus der musikalischen Umwelt, in der er aufwuchs, zu seinen großen Symphonien war weiter als der vom Schulgehilfen zum Universitätsprofessor. Und doch ist Bruckners Musik von den Jugendeindrücken geprägt, die er von der barocken Pracht des Stiftes von St. Florian, von Kremsmünster und Klosterneuburg empfangen hatte. Aus dem Zeremoniengepränge des katholischen Gottesdienstes kam Fülle und musikalische Ausdruckskraft.Diese ist so stark, die erhabene Feierlichkeit seiner Werke so groß, daß auch diejenigen, die dem Geist seiner Kirche fernstehen, einen Eindruck davon bekommen. Man kann von Bruckners Musik nicht sprechen, ohne ihre geistigen Fundamente zu erörtern. Denn die religiöse Welt ist für den Gläubigen eine Wirklichkeit — und nicht das Ergebnis seines subjektiven Denkens und Fühlens oder gar momentaner „Stimmungen“. Für ihn mündet alles in Gott, und zwar ganz konkret — und ganz unpathetisch und unpantheistisch. Weil er aber vom Diesseits nicht alles erwartete, war er bescheiden und demütig.

Unsicher und unbeholfen jn allen Dingen des äußeren Lebens, bäuerlich beengt, kindlich naiv und intellektuell anspruchslos, zeigt Bruckner als Schaffender, als Komponist, eine kaum überbietbare Sicherheit, Souveränität und Originalität in der Handhabung der künstlerischen Mittel. Nachdem er alles, was er vor seinem 40. Lebensjahr geschaffen, verworfen (wenn auch nicht vernichtet) hatte, ging er seit seiner „Freisprechung“ als Meister der Tonkunst und nach Vollendung seiner I. Symphonie (1865 bis 1866) unbeirrbar seinen Weg.

Aus seinen neun Symphonien ist keine eigentliche „Entwicklung“ abzulesen. Grundriß, Anlage, Form,Instrumentierung, Klangcharakter, ja die Tonalitätsverhältnisse bleiben dieselben. , Nur die Dimensionen schwellen, Harmonik und Struktur werden, im Sinne organischen Wachstums, erweitert und auch der Apparat etwas vergrößert. Bruckners Musik wird immer reifer, gekonnter, eindringlicher, seine Tonsprache immer überzeugender. Formal basieren Bruckners Symphonien weniger auf denen Beethovens als auf denen Schuberts. Aber seine Ecksätze weiten sich zu weiträumigen Komplexen, die Durchführung zweier Themen genügt nicht mehr, Variationen, Kombinationen mehrerer Themen, Fugen und choralartige Blechbläserepisoden, die an Gabrieli erinnern, lassen die Form anschwellen.

Harmonik und Kolorit sind durch Wagners Werk weitgehend beeinflußt, ja bestimmt, vor allem durch den „Tristan“, später auch durch den „Ring“ und „Parsifal“. Die angewendete Harmonik und Kompositionstechnik sind die avanciertesten seiner Zeit. — Aber Bruckner macht von diesen hochverfeinerten Mitteln der Spätromantik, die er sich mit naiver Selbstverständlicheit aneignet, einen ganz eigenständigen Gebrauch. Er schreibt keine Programm- oder Opernmusik, er will nichts deuten und illustrieren. Es ist absolute Musik, die keines Kommentars bedarf. Der Klang seines Orchesters, ob üppig oder zart, ist immer schön und vornehm, geheimnisvoll bestrickend und von großer Pracht bei den Steigerungen.

In den Symphonien I bis VII ist die Abfolge der Sätze: Allegro, Adagio, Scherzo, Finale. In der VIII. Symphonie ließ Bruckner dem ersten Satz das Scherzo folgen. So auch in der letzten, deren drei Sätze er in den Jahren 1891 bis 1894 schrieb und die „dem lieben Gott gewidmet“ ist. Obwohl das Finale fehlt, ist dieses großartige Werk kein Fragment in der Art von Bachs „Kunst der Fuge“, Mahlers „Zehnter“ oder Schönbergs „Moses und Aron“, sondern eher Schuberts „Unvollendeter“ zu vergleichen, die in Wirklichkeit, obwohl nur zweisätzig, ebenfalls in sich vollendet ist. Was Intensität und Verinnerlichung betrifft, bedeutet die „Neunte“ den Höhepunkt von Bruckners Schaffen, und der letzte Satz, ein 324 Takte umspannendes Adagio, ist der Abge-sang des Scheidenden: sein auf dem unirdisch-feierlichen Klang der Wagner-Tuben gebetteter Schwanengesang, über dem als Motto das Wort „Ergebung“ stehen könnte. — Aber Bruckners irdisches Ohr hat diese Klänge nicht mehr gehört...

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