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Matacic, Haitink, Bruckner im Musikverein

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Wenn der Singverein der Gesellschaft der Musikfreunde Bruckners Te Deum singt, scheint die Welt wieder in O rdnung: Ein gewaltiger, gewaltig lauter Lobgesang, eine einzige kraftvolle Entladung himmelstürmenden Jubels, der Hoffnung auf das Heil. Helmuth Froschauer hat dieses pompöseste Werk Bruckners korrekt und mit viel Gespür für effektvolle Details einstudiert. Und der Chpr weiß, was er seinem Ruf als vorzügliches Bruckner-Instrument schuldig ist. Keine Frage, daß er dieses Werk unter jedem Dirigenten impulsiv, leidenschaftlich, voll aufregender Klangpracht darzustellen vermag. Also auch unter Lovro von Matacic, jenem liebenswert-sympathischen Altösterreicher, der das Te Deum diesmal gemeinsam mit Bruckners „Neunter“ im Symphoniker-Zyklus im Musikverein dirigierte.

Daß dabei von Matacic allerdings weit weniger Intensität und Feingefühl spürbar wurde, ist für dieses Konzert bedauerlich. Nicht nur, weil das Aufgebot massiv war und Freude an der Sache deutlich mit-schwang: Singverein und Symphoniker versuchten mit höchster Konzentration zwei monumentale Wiedergaben zu gestalten. Sondern auch, weil im Te Deum ein vielversprechendes Solistenquartett die Chance hatte, sich zu bestätigen: Jane Marsh, Anne Gjevang, Thomas Moser und Alfred Sramek. Und sie hätten einen Dirigenten gebraucht, der ihnen nicht nur gewaltigen Stimmeinsatz und viel Kraft abforderte. Einen, der sie in allen Details mit mehr Differenzierung führte, einen, der die Persönlichkeit jedes einzelnen stärker hervorgekehrt hätte.

Matacic blieb dies alles schuldig. Er ließ aber auch in der Aufführung der „Neunten“ • Wesentliches zu kurz kommen: Es ist mir eigentlich selten passiert, daß der ebenso prachtvoll-schwelgerische wie erschütternde Adagio-Satz zu langweilen begann. Und Langeweile stellte sich ein, als die weiten Bögen dieser Architektur sich nicht und nicht zum Ganzen fügen wollten, die zum Teil schön musizierten, zum Teü etwas schlampig geratenen Details Fragment blieben, sich keine Steigerung einstellen und kein schmerzlicher Abgesang ereignen wollten. Es hatte übrigens auch der etwas kraft- und saftlos, ohne Feuer dahinratternde zweite, der Scherzo-Satz, schon keinen besseren Eindruck hinterlassen. Auch da fehlte die alles zusammenzwingende Hand. 1 *

Mehr Glück hatten die philharmonischen Abonnenten mit Bernard Haitink, der Bruckners „Vierte“ im Musikverein dirigierte. Eine klar konturierte, in Architektur, Dynamik und Farbschattierungen sehr fein und behutsam ausgesteuerte Wiedergabe, die doch in keinem Moment zaghaft oder gar kraftlos wirkte. Allerdings, das aufregende Flair, das etwa manche Karajan-, Böhm-, Giu-lini- oder Abbado-Aufführungen von Bruckner-Symphonien auszeichnet, fehlte dieser Wiedergabe. Da stehen vor allem Sachlichkeit, kluge Kalkulation, perfektes Disponieren im Vordergrund. Das Aus-Sich-Herausgehen scheint Haitinks Sache nie ganz zu sein.

Einen geradezu kammermusikalischen Genuß erlebte man dafür in Mozarts Konzertanter Symphonie für Violine und Viola (KV 364): Es ist ein Vergnügen besonderer Art, wenn Konzertmeister Gerhart Hetzet und Bratschist Rudolf Streng gleichsam in frisches, temperamentvolles Parlando einsteigen und mit ausdrucksvollem, schönem Klang gleichsam ihren Orchesterkollegen aufspielen. Zu Bravourakten gibt ja Mozarts etwas verhalten-diskretes, rein musikantisches Werk kaum Chancen. Aber vorzuzeigen, wieviel Geschmack ein Musiker anzubieten hat, dazu ist es wohl das richtige Stück. Und genau das ließen sich die beiden Philharmoniker nicht entgehen.

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