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Aufbau der Sakralmusik

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Das Rechtsbuch der Kirchenmusik — wi Pius X. das Motu proprio vom 22. November 1903 nennt — stellt als obersten Grundsatz auf, daß die Kirchenmusik ein wesentlicher Teil der feierlichen Liturgie ist und den Zweck hat, die Ehre Gottes, die Heiligung und Erbauung der Gläubigen zu fördern, Würde und Glanz der kirchlichen Zeremonien zu vermehren und den liturgischen Texten größere Wirksamkeit zu verleihen. — Von diesen grundsätzlichen Bestimmungen rrKissen wir ausgehen, wenn wir uns mit Fragen der Kirchenmusik befassen; die „Furche“ hat in dankenswerter Weise wertvolle Anregungen berufener Fachleute zu akuten Problemen unserer Kirchenmusik gegeben. Wenn wir aber den augenblicklichen kirchenmusikalischcn Zuständen auf den Grund gehen wollen, müssen wir vor allem die Ursachen derselben klarstellen, um die Folgen erfolgreich behandeln zu können.

Da ist es zuerst die meist völlig m a n-gelnde Sachkenntnis und Vorbildung des Rector ecclesiae, ohne welche dieser jeglichen kirchenmusikalischen Dingen Verständnis- und interesselos gegenübersteht. In vielen Seminarien sind Vorlesungen über Kunstgeschichte' obligat eingeführt; warum legt man auf die musikalische Vorbildung des Klerus nicht ebensolches Gewicht, so daß der angehende Seelsorger nicht nur die Baustile und Malerschulen, sondern auch die Stilperioden der Kirchenmusik kennt, die täglich in seiner Kirche eine große Rolle spielen werden. In Erkenntnis der 'Wichtigkeit der Kirchenmusik ordnen die päpstlichen Vorschriften Vorlesungen an „über Ästhetik der heiligen Kunst, damit die Kleriker nicht ohne jede Vorkenntnis all dieser für die vollständige kirchliche Bildung notwendigen Dinge aus dem Seminar kommen ... und es dem eifrigen Klerus nicht schwer fallen wird, auch an kleineren Kirchen Sängerschulen zu errichten, worin er ein leichtes Mittel findet, Kinder und Erwachsene zu ihrem eigenen Nutzen und zur Erbauung des Volkes um sich zu sammeln.“ Völlig in Vergessenheit scheint jene päpstliche Vorschrift geraten zu sein, welche verlangt, daß jeder Ordinarius außer den theologischen Fächern Prüfungen ablege über die kirchenmusikalische Vorbildung, wobei verlangt wird: Beherrschung des Gregorianischen Chorals (theoretisch und praktisch), eines Tasteninstruments zur Begleitung des Volksgesanges und Übung im Gesang für die Ausführung der römisch-klassischen Polyphonie. — Mit solchen Vorkenntnissen ausgestattet, wäre der Rector ecclesiae nicht allein auf den „Geschmack“ seines Chordirektors angewiesen, sondern könnte selbst ein wichtiges Wort mitsprechen bei der liturgischen Gestaltung der Kirchenmusik.

Wenn aber beim Rector ecclesiae solchermaßen Sinn und Interesse für die Kirchenmusik vorhanden ist, dann weiß er auch, daß gute Kirchenmusik etwas kostet, manchesmal sogar viel kostet. Die Kirchenchöre setzen sich zwar aus freiwilligen und unbezahlten Mitgliedern zusammen (und nur dies ist der Idealzustand!), instrumentale Kirchenmusik aber kann meist nur von Berufsmusikern würdig ausgeführt werden; diese aber verlangen Bezahlung, genau so wie Organist und Chordirektor (schließlich kostete deren Ausbildung auch Geld und Zit). Der musikinteressierte Rector ecclesi'e wird für diesen Punkt seines Pfarrbudgets das rechte Verständnis aufbringen und die Geldmittel für seine Kirchenmusik sicherzustellen wissen. Dann würden die beschämenden Budgetposten „Organist“ mit monatlich 30 S aus den Pfarrechnungen verschwinden und der Chordirektor müßte die Mittel für ein instrumentales Hochamt nicht durch persönlichen Bettel bei wohlhabenden Pfar rkindern organisieren. Solange die Existenz guter Kirchenmusik nicht von der geistlichen Behörde finanziell 'gesichert ist, ja sogar gefordert wird; sind Kirchenmusikschulen zwecklos.

Es ist Sache des Rector ecclesiae, Orgel und andere Instrumente instand zu halten (Kirchengut!), für die Anschaffung neuen Notenmaterials zu sorgen, Choremporen iweckmäßig zu gestalten und in Ordnung i halten, für genügende Beleuchtung zu sorgen, halsbrecherisdie Aufgänge zur Orgelempore zu beseitigen; nicht zuletzt aber einen idealgesinnten, tüchtigen Regens diori zu finden, der mit tatkräftiger Unterstützung des Pfarrers dann für gute Kirchenmusik sorgt. In dieser Beziehung könnten die idealen Verhältnisse am Salzburger Dom allen Kirdienvorständen als Vorbild dienen und bei gutem Willen ohne große Sdiwierigkeiten nadigeahmt werden.

Eine dritte Ursache, welche die Kirchenmusik im Laufe der Jahrzehnte auf eine schiefe Ebene abdrängte, ist deren Ver-äußerlichung durch Abrücken vom Begriff des „Liturgischen“. Die päpstlidien Vorschriften bezeichnen die Kirchenmusik als „dienende Magd der Liturgie“, in weiser Erkenntnis, daß sie nur als solche die ihr zufallende Aufgabe restlos erfüllen kann. Unsere Chöre wetteifern an Feiertagen mit der Aufführung der großen Messen unseres österreichisch-klassischen Erbgutes, wobei nichts zu sagen ist gegen die Frömmigkeit der Haydnschen Messe, gegen die religiöse — um nicht zu sagen ausgesprochen katholische — Tiefe der Mozartschen Kurzmessen, gegen die grüblerische Mystik der C-dur-Messe Beethovens, gegen das kindlichfromme Genie Sdiuberts. Alle diese Werke werden in guter Wiedergabe stets ihre erhebende Wirkung haben — als musikalisdie Kunstwerke. In der Praxis der meisten Chöre kommen diese Aufführungen aber mehr nur einem konzertanten Musizieren gleich als dem „Dienen“ am liturgisdien Gesdiehen, sie werden diesem nur zusätzlich beigegeben, statt wesentlich mit ihm verbunden zu sein. Der Grund hiefür ist in der Vernachlässigung des kirchlidien Festgedankens zu suchen, indem sie sechs Teile der Messekomposition betont, das Festproprium aber oft völlig stiefmütterlich behandelt wird; durch die Gleichmäßigkeit derartiger Gottes-dienstgenaltung erfolgt dann zwangsläufig die Veräußerlichung und Verflachung der

Kirchenmusik, cfa rfe nicht mehr von liturgischem Geist getragen wird.

Wie anders, wenn allsonntäglich der Festgedanke in einem markanten Proprium betont und durch die Propriumsmusik unterstrichen wird; sind es doch meist herrliche, oft so zeitnahe Gedanken, die in unerreichter poetischer Form der Psalmen ausgesprochen werden. (Gerade aus dieser Erkenntnis heraus haben die Meister der niederländischen, venezianischen und römischen Schule ihr Bestes in den Motetten geschaffen! Ihnen schien die Motettenkomposition das Wesentlichste und Wichtigste.) Durch die Intensivierung des Festgedankens wird der sonntägliche Festgottesdienst stets zum neuen Erlebnis. Hier müßte die „liturgische Bewegung“ eingreifen und Verständnis für die Schönheit des musikalischen Hauptgottesdienstes wecken, statt in Gruppen und Sekten Winkelgottesdienste zu veranstalten. Hier müßte das „Seelsorgeamt“ am Werk sein und den Besudiern des Hochamtes lateinisdi-deutsdie Texte des Propriums in die Hand geben, Sonntag und Feiertag, dann wird den Besudiern des Gottesdienstes die Mystik der heiligen Handlung zum ergreifenden Erlebnis, so daß er nicht mehr abseits stehen müßte, um sich nur eine Haydn-Messe anzuhören. Dann käme es auch nicht zu falschen „Festauffassungen“, zum Beispiel am Weihnachti-fest, das in seinen liturgischen Texten nur von der Macht und Gerechtigkeit Gottes spricht und für das traditionelle Schalmeiengedudel keinen Platz läßt; man würde nicht das Hodiamt des Fronleichnamsfestes („das Fest der Musik und Hymnen“) mit seinen herrlichen liturgischen Texten zur schemenhaften „Betsingmesse“ degradieren, wo doch gerade in der Sequenz des Aquinaten das Geheimnis der Eucharistie in seiner ganzen Vollständigkeit und einfachen Majestät dargestellt wird! Warum läßt man nicht lieber die kraftvollen liturgischen Texte zum Volk sprechen, statt diese mit kraftlosen Surrogaten menschlicher Eitelkeit zu ersetzen? Seelsorger und Kirchenmusiker (beide von Format!) können das „liturgische Gesamtkunstwerk“ erstehen lassen, das nur die katholische Kirche in ihrem Gottesdienst bieten kann. Dann würde man auch zur Überzeugung kommen, daß ein solcher musikalischer Gottesdienst nicht etwas zufällig Gewordenes, sondern ein festgefügtes Kuntwerk von seltener Größe und Schönheit ist und daß eine in dieses liturgische Gesamtkunstwerk eingeschaltete „Kurzpredigt“ einen schmerzlichen Eingriff in den liturgischen Organismus, wenn nicht überhaupt eine Geringschätzung des Liturgischen bedeutet.

Leider besitzen wir nicht viele wertvolle instrumentale Propriumsvertonungen, daher sich die Chordirektoren mit „Einlagen“ (Ave Maria, Ave verum, Salve regina), ausgeführt von namhaften Opernkräften, beliehen, wodurdi der Eindruck des „Konzerts“ noch mehr verstärkt, der des „Liturgisdien“ aber vermindert wird.

Aus diesen Erwägungen heraus habe ich versucht, im Laufe meiner 25jährigen Tätigkeit am Salzburger Dom die#„Motetten“ des gesamten Kirchenjahres zu komponieren, um den Gottesdienst nach den päpstlichen Vorschriften gestalten zu können; der Erfolg war, daß zahlreiche mündliche und schriftliche Äußerungen bezeugen, mit welchem Interesse und welcher Dankbarkeit die Besucher dem liturgisch-musikalischen Ablauf des Hochamtes folgen und sich freue tn der Fülle herrlichster, religiös-poetischer Gedanken, die jedes Sonntags-proprium vermittelt. So voller Kraft kann Kirchenmusik als „dienende Magd“ der Liturgie sein, wo sie in Selbstherrlichkeit der Seele und des Lebens entbehrt.

Hier würde auch dem Rundfunk eine große Aufgabe zufallen; wenn schon die

Kirche aus seelsorglichen Gründen in die — nennen wir es — Profanierung der liturgischen Handlung durch Funkübertragung des Gottesdienstes einwilligt, so müssen diese Sendungen in erster Linie liturgisch einwandfrei und ästhetisch schön (besonders in bezug auf den Gesang des Zelebranten) und dann musikalisch hochwertig sein; vertritt diese „Radio-Messe“ doch die katholische Kirche in ihrer liturgischen Einrichtung und unser Österreich in seiner musikalischen Mission. Zusätzlich wäre es eine herrliche Aufgabe für den Rundfunk, einzelne große Feste mit besonderen Sendungen auszuschmücken und damit zu den breitesten Schichten des Volkes zu sprechen; Pfingsten, Ostern, Fronleichnam oder Marienfeste (Rosenkranz) -ließen; ^sich--zu stimmungsvollen Sendungen gestalten, wobei alle Gruppen künstlerischen Schaffens —

Dichtung, Musik, Malerei, Plastik und selbst die Natur — mitgestalten müßten; derartige poetische Festtagsschilderungen würden für viele eine Weihestunde bdeuten.

Da die Kirchenmusik zu den breitesten Schichten unseres Volkes spricht, gehört sie mit zu den bedeutendsten Kulturfaktoren Österreichs; um so mehr nimmt es wunder, daß Tages- und Fachpresse selten oder gar nicht von deren Existenz Notiz nehmen. In — selbst katholischen — Tagesblättern empfehlen lange Würdigungen den Besuch oft nichtssagender Kabaretts und Bauernkomödien — aber nur selten erfährt man von einer kirchenmusikalischen Aufführung, auch wenn sie Tausenden von Zuhörern zum Erlebnis geworden ist. In einer österreichischen Stadt wurden zum Beispiel, anläßlich von Bruckners 50. Todesjahr, des Meisters drei große Messen: die zwei Jugendmessen und Motetten aufgeführt; die Presse allein ging achtlos an dieser Kulturtat vorüber. Hat sie vergessen, daß die Kirchenmusik der Nährboden aller unserer großen österreichischen Meister war und es heute noch für jedes aufstrebende Talent sein will, denn vom Religiösen strömen der Kunst immer noch die reichsten Quellen zu. Es wäre der Presse ein leichtes, auch der Kirchenmusik ständig neue Interessenten zuzuführen, wenn sie ab und zu auf dargebotene Schönheiten dieses Kulturgutes hinweisen würde. Die Bemühungen der Presse würden unserem besten österreichischen Erbgut gelten.

Wenn nun Kirchenmusik wieder werden •oll, was sie vor Jahrhunderten galt, muß sie von neuem Geist erfüllt werden, das heißt, sie muß wieder aus dem alten Geist der Liturgie leben, um Kirchenmusik zu sein. Wir brauchen nicht allein auf Palestrina, Bach und die alten Meister zurückgreifen; hören wir doch in die Werke Anton Bruckners hinein! Spricht aus ihnen nicht der Geist dienender Demut, unerschütterlichen Glaubens, innigsten Gottverlangens in der,Sprache der Mystik, die auch die Sprache der Liturgie ist? Gibt es gewaltigere Offenbarungen christ-katholi-schen Geistes als des Meisters Kirchenmusik: heilig in ihrer Äußerung und wahre Kunst in der Gestaltung, reißen sie Ausführende und Zuhörer zu stärkstem Erleben mit. Und erfüllen so die oberste und letzte Aufgabe der Kirchenmusik: die Ehre Gottes und Erbauung der Gläubigen!

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