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Aus der Musica sacra Obersterreichs

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Professor Franz Xaver Müller hat bei seinem Abschied vom Amte des Linzer Domkapellmeisters seine St. Josets-Messe für Chor, Orgel und acht Bläser „dem Linzer Domchor in dankbarem Gedenken“ gewidmet. Sie muß sein letztes großes Werk bleiben, weil das in aufreibencrem musikalischem Dienste schwer geschädigte Augenlicht dem geistig jung gebliebenen 76jährigen das Komponieren unmöglich macht. Die Messe gelangte jetzt nach ihrer Uraufführung durch den Komponisten vor zwei Jahren, die im damaligen Kriegslärm unterging, zur nun erst gewürdigten feierlichen Aufführung in der Ursulinen-kirche als stellvertretender Kathedrale.

Dieses letzte Hochamt des Domchores vor seinen Sommerferien brachte mehr als bloß eine sich über den Durchschnitt erhebende Sdiöpfung des Nestors oberösterreichischer Kirdienmusik. Jeder fühlte, daß man mit dieser Messe ein bleibendes Meisterwerk der zeitgenössischen Musik schlechthin vor sich hat.

Kirchenmusik als Musik nadi Eigengesetz-lichkeit oder aussdiließlidi als Dienerin beim Gottesdienst? Neuer, von Gregorianik und Volksliturgic beeinflußter Kompositionsstil oder symphonische Messform? Es ist, als ob der Meister in lächelnder Bescheidenheit mit seiner letzten Messe eine Antwort auf diese Streitfragen geben wolle, die Antwort seiner wohl vom Geiste Bruckners erzogenen, aber der gesunden Moderne aufgeschlossenen Persönlichkeit. Welche Vielfalt im Ausdruck, wcldi maßvolle Kürze bei aller Monumentalität, welch fließendes Auf und Ab in Steigerung und Absinken, mit wie meisterhafter Hand sind die Themen als Bausteine für die speziellen Erfordernisse des Chores zugehauen, wie vollendet verschmelzen die virtuose Orgel und die acht Bläser zu gesättigter Begleitung! Die Entstehung in bitterer Notzeit des Jahres 1944 bedingt die sehr ernste Grundhaltung der Messe So ist das Kvrie ein vielstimmiges Rufen der Menschheit nach Erlösung, das in seinem Schluß die Heilsgewißheit in sidi hat. Das Gloria gibt sich wie ein in schlichten Falten fallendem Gewand aus Seidenbrokat; aus einem in kluger Besdiränkung erfundenen Motiv ersteht das Wunderwerk der Schlußfuge mit dem lapidaren Amen als Krönung. Im Credo entsprechen die Unisono-Stellen des Chores, begleitet vom Orgelpleno und den Bläsern, der heutigen Einstellung, die den Credotext als einfaches Bekenntnis empfindet Dem gegenüber sind die lyrischen Stellen im hergebrachten Sinne wohl vorhanden, aber nur kurz angedeutet, so das wunderbare achtstimmige „Et incarnatus est“, welches ein Altsolo stimmungsvoll vorbereitet. Im Sanctus verschlingen die Engel ihre Hymnen zu weit geschwungenen Bögen, wozu sich nach und nach die irdisdie Pracht der Bläser gesellt, im Hosanna vertiefen sich die himm-lisdien Meere in verklärte Anschauung Gottes. Das Hosanna des Benedictus ist nicht bloße Wiederholung aus dem Sanctus, sondern verklingt in ahnungsvollem Sdiauer und ähnelt damit dem „Dona nobis pacem“ am Sdilusse des versöhnlichen Agnus Dei.

Das eigentliche Gebiet der Kirchenmusik sei nicht das gleichbleibende Formschema des :Ordinariums, sondern die Wechselgesänge, sagen die in die Zukunft weisenden Kirchenmusiker. F. X. Müller gibt ihnen recht, indem er die Proprien gleich gewissenhaft komponiert; dr/.u gehören bei ihm nidit nur die von altersher üblichen „Einlagen“ Graduale und Offertonum, sondern ebenso Introitus und Commum'o. Diesmal hörten die Linzer zusammen mit der Josefs-Messe seine Wechselgesänge des Herz-Jesu-Festes, so d;iß ein Hochamt wie aus einem Guß erstand. Der Introitus ist ein abgeklärtes Stück tiefer Mystik. Das Graduale hat seinen Höhepunkt in der ergreifenden Ausmalung der Worte: „Nehmt Mein Jodi auf Euch. . . . ; denn sanft bin Tdi und demütig vom Herzen“. In dem größtenteils a cappella geschriebenen Satz werfen nur gelegentlich die Bläser kurze Zwischentakte ein, was an die Ausführung bei der starken Chromatik hohe Ansprüche stellt. Das Offertorium ist völlig unbegleitet; seine reiche Chor-Polvphonic gipfelt in den Heilandsworten „und keiner kam“, „und keinen fand Ich“ als Tröster in der ölbergstunde. — Mit der sorgfältig studierten Wiedergabe seines Meisterwerkes durch den Domdior unter Leitung des jungen Domkapeilmeisters Josef Kronsteiner kann der ehrwürdige Komponist im Priesterkleide zufrieden sein. Sie wird als Radio-Gottesdienst des Senders Rot-Weiß-Rot am 21. Juli um 9 Uhr gesendet und so einem großen Kreis von Verehrern der Musica divina zugänglich sein.

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