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Orff-Ensemble und Passion

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Ein aus 120 Schülern bestehendes Ensemble aus Brügge mußte nach Wien kommen, um uns hier einmal in mustergültiger Form die praktische Anwendung des Orff-Schul-werks zu demonstrieren. Es handelt sich um den Flämischen Knabenchor „Ons Dorado“ und die Spiel-und Tanzgruppe des St.-Lodewijsk-College unter der Leitung von Pater Paul Hanoulle. Das zwei Dutzend Nummern umfassende Programm enthielt die verschiedenartigsten Werke: von präklassischer Musik (Pachelbel, Händel, Hassler, Schein) über Originalkompositionen für das Orff-Instrumentarium bis zu Tanz-und Bewegungsspielen. Wir werden dem Orff-Schulwerk eine unserer Sonderseiten widmen und empfehlen den Interessenten am 27. Mai abends im II. Programm des österreichischen Rundfunks das hier kurz besprochene Konzert zu hören.

Einen Liederabend großen Formats erlebten wir von Agnes Giebel. Die große, leuchtende Sopranstimme, in allen Lagen gleich biegsam und ausdrucksvoll, wird von enormem Können ebenso unterstützt wie von geistiger Führung und gemüthaftem Unterton. Handwerk und Kunst scheinen hier eine sehr glückliche Ehe eingegangen zu sein. In fünf Liedergruppen von fünf Komponisten erwies sich ihre stilistische Vertrautheit ebenso als ihre variable Gestaltungsfuhigkeit Debussys Ariettes oubliees“ haben wir selten, das Wiegenlied von Richard Strauss vielleicht noch nie so schön singen hören. Aber auch bei Mozart, Schumann und Brahms hatte man den Eindruck einer völligen Einheit von Lied und Ausführung, von Anspruch und Erfüllung. Das Publikum zeigte sich dem geistigen Niveau gewachsen und zerriß die stilistisch und musikalisch einheitlichen Liedergruppen nicht durch unzeitgemäßen Beifall, der sich am Ende jeder Gruppe mit um so mehr Begeisterung einstellte. Ein paar undisziplinierte Zwischen-klatscher fügten sich allerdings nur unter Protest der anspruchsvolleren Situation. Als Klavierbegleiter zeigte George van Renesse technisches Feingefühl und Diskretion.

Das Lasalle-Quartett bot ein Programm extremer moderner Musik, eingerahmt von gleichsam extremer Tradition. Nach einem Haydn-Quar-tett (Streichquartett D-Dur, op. 73/2), dem trotz aller Sauberkeit die Wärme fehlte, gab es die Erstaufführung eines Streichquartetts von Witold Lutoslawski, bei dem keine Wärme notwendig war und bei dem nach Vorschrift des Komponisten jeder musizierte, „als wäre er allein“. Am besten gelangen die Sechs Bagatellen op. 9 von Anton Webern, während das abschließende Streichquartett D-Dur, KV 499, von Mozart in der kühlen Exaktheit der Spieler versandete. Es war ein Abend der Intelligenz und des Intellekts, aber keiner der Musik.

Die ungekürzte (und doch gekürzte) Matthäuspassion Bachs unter Hans Gillesberger war in ihrer dreieinhalbstündigen Dauer reich an außerordentlichen Schönheiten in der Wiedergabe, wenn auch nicht einheitlich in der Wirkung. Das Orchester (Symphoniker) ließ zwischen Streichern und Bläsern gelegentlich die nötige Präzision vermissen und erreichte selten die rhythmische Straffheit des Kammerchores, der auch diesmal die Hauptlast zu tragen hatte, während der große Chor der Wiener Singakademie außer dem Anfangs- und Schlußchor nur die Choräle sang, einen davon „Wenn ich einmal soll scheiden“ in wunderbar ausgewogenem Vortrag. Von den Solisten stand Agnes Giebel an erster Stelle, eine Sängerin großen Formats, die Vortrag und Technik ihrer schönen Sopranstimme mit Bachscher Stilkenntnis vereinte und eine vollkommene Leistung bot. Ihr zunächst Ruth Hesse (Alt) mit großem Ton von händelscher Breite, wenn auch persönlich distanzierter. Georg Jelden sang den Evangelisten und die Tenorarien, ersteren im schlichten Bibelton des Berichts mit verhaltenem, die Arien mit durchbrechendem Ausdruck. Den Worten Christi, von Jakob Stämpfli gesungen, fehlte wohl die Ruhe, nicht aber die Würde. Der profunden Baßstimmte Peter Laggers dagegen fehlte die Spannung, dem Sänger des Pilatus und der kleinen Einsätze, Heinrich Schneider, die Haltung. Die bedeutende Gruppe der Instrumentalsolisten, angeführt von Walter Schneiderhan (Solovioline) machte ihre Sache vorzüglich, ebenso die Wiener Sängerknaben. Eine angenehme Erscheinung: das Publikum war pünktlich, trotz des frühen Beginnes (18.30 Uhr), wodurch die barbarische Pause vermieden werden konnte.

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