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Oratorien und Chorwerke

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Aus der Fülle sakralmusikalischer Veranstaltungen, die sich um das engere Programm des II. Internationalen Kongresses für katholische Kirchenmusik gruppierten, sind einige ihrer besonderen Bedeutung wegen hervorzuheben. Friedrich R er dingers Oratorium „Der siebenfache Strom" (Uraufführung) behandelt die Gnadenwirkung der sieben Sakramente. Die gesunde und sehr gekonnte Musik, mit schönen Gesanglinien und farbenreicher Instrumentation, bleibt leider im Romantischen stecken und weist keine neuen Wege. Noch viel weniger tut dies der Text, eine unbekümmerte Mischung von naiven Reimen und Bibelworten, der eine stilistische Gestaltung gar nicht versucht. So rinnt der „Siebenfache Strom" an der neuen Sakralmusik vorbei, ohne sie wesentlich zu berühren. — Anders verhält es sich mit dem zweiten, gleichfalls uraufgeführten Oratorium „Das große Mysterium" von Raimund Weißen- steinet. Die scharf profilierte Handschrift gehört zur Gänze der neuen Musik zu, ihre herben, zuweilen harten Linien sind völlig unkonventionell und außerordentlich steigerungsfähig. Den letzteren Beweis bleibt der Komponist allerdiags achuldig. Das neue Werk führt über den bekannten Weißensteiner nicht hinaus und ermüdet eben durch den Mangel innerer und äußerer Steigerung. Auch hier scheint die Textwahl, obwohl nur aus Bibelworten bestehend, in der Zusammenstellung nicht sehr, glücklich, da sie, ohne menschliches Schicksal zu berühren, in abstrakten Bezirken verbleibt.

Ein Konzert des Lehrer-a-capella-Chores mit neuer geistlicher Musik hat an charakteristischen Werken nicht viel geboten, das den Voraussetzungen des Kongresses entsprach. Als das Beste sind zwei von Ingejoanelli sehr ansprechend interpretierte Orgelkömpositionen zu bezeichnen: die Passacaglia von Paul K u n d i sowie die Phantasie über „Dies irae" von Karl M. Brandstetter, von der allerdings ein recht weiter Weg ist zu J. N. Davids großartigem Werk über das gleiche Thema. Die Missa cantata von Kurt Sc.hmidek berührt sich in ihren Voraussetzungen wie in ihrer Wirkung kaum mit den liturgischen Bestrebungen der neuen Kirchenmusik.

Unter den im Stephansdom zu einer Weihestunde versammelten Kirchenchören Oesterreichs machten just die kleinsten, aus den Dörfern kommenden durch die Frische ihrer Stimmen und die blitzende .Sauberkeit, ihrer Intonation aufhörchen. Der Kirchenchor von Haslach und der von L a n s (Tirol) seien da vor allen genannt. Die kluge Bescheidenheit in der Wahl der Gesänge konnte ausgezeichnet neben den anspruchsvolleren Leistungen der großen Chöre bestehen, für deren erfreulich große

Anzahl genannt seien: der Chor der St.-Jakobs- Kirche (Innsbruck), der Linzer Domchor, der St.-Pöltner Domchor. sowie die Chöre von Lustenau-Rheindorf (Vorarlberg) und von Leoben (Steiermark).

Die Hochämter der in- und ausländischen Chöre in fast sämtlichen Wiener Kirchen boten in der Werksumme ein glänzendes Bild der Universalität der Kirchenmusik. Soweit aus den seitenlangen Programmankündigungen ersichtlich, erstreckte sich die dabei ausgeführte Kirchenmusik von Dufay bis Heiller, ohne einen Stil der Entwicklungsgeschichte zu unterdrücken. Besonders selten zu hörende Messen waren: die Missa jubi- laei von Eustache Byusa aus Belgisch-Kongo (Franziskanerkirche), J. N. David: Missa choralis (Linzer Domchor, in St. Augustin), die Pius- Jubiläumsmesse von Karl Koch (Chor St. Jakob, Innsbruck, in der Universitätskirche), die Missa cuarti toni von Vittoria (Coral Polifonica St. Cecilia aus Alicante, Spanien, in der Basilika Maria Treu), die Messe in D von Antonio Salieri (Heiligenstadt), die Missa „Le bien que j’ay" von Claude Goudimel (Döbling), die Josephs- messe von Flor Peters (Karmeliterkirche) und die Messe von Franz X. Süßmayer (St. Erhard, Mauer).

Von gleicher Fülle vielgestaltigen Programms waren die zahlreichen Weihestunden und Orgelkonzerte in den Wiener Kirchen. Es sei das Programm eines Orgelkonzertes mitgeteilt, das Rudolf Walter aus Kissingen (Unterfranken) interpretierte, weil es die charakteristischeste Auswahl neuer Orgelmusik bot. Es umfaßte Werke von Oswald Jaeggi, Josef Ahrens, Johann Nepomuk David, Josef von Amelsvoort, Hermann Schroeder, Jean Langiais, Flor Peeters und Rudolf Walter. — Einen Ausflug ins Weltliche machte der Domchor von Sitten (Schweiz) mit einem Konzert wallisischer Volkslieder, die in sehr schlichten Sätzen mit sehr schönen Stimmen (besonders die Solistin ersang sich einen bedeutenden Erfolg) neben den hübschen Melodien auch das Fluidum ihrer schönen Heimat den begeisterten Zuhörern vermittelten.

Unmittelbar an das Kongreßprogramm fügte sich eine vorbildlich saubere und in der Intensität ihrer Wiedergabe tief eindrucksvolle Aufführung des Oratoriums „J e p h t a“ von Giacomo Carissimi unter Paul Sacher. Vor den beiden eingangs erwähnten Oratorien hatte dieses Werk des ersten Großmeisters dieser Kunst bereits das menschlich erschütternde Textbuch voraus, ein heilsamer Hinweis für die Gegenwart, daß das Oratorium eine dramatische Kunstform ist. — Die dem „Jephta" angeschlossene konzertante Wiedergabe der Oper „Dido und Aeneas"von Henry Purcell schien uns etwas akademisch.

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