6679663-1961_37_15.jpg
Digital In Arbeit

Kirchenmusik der Zukunft?

Werbung
Werbung
Werbung

Das musikalische Programm des IV. Internationalen Kongresses für katholische Kirchenmusik in Köln bot in seiner Gesamtheit, ergänzt durch die großangelegte Ausstellung der Editeure, eine Geschichte des kirchenmusikalischen Schaffens vom Gregorianischen Choral bis in unsere Tage. Begreiflicherweise blieb die noch nicht Geschichte gewordene Gegenwart das interessanteste Kapitel. Einerseits war der Einbau des Gemeindegesanges in das musikalische i Kunstwerk der Missa cantata zu iegitimie- , ren, anderseits die Eignung (oder Nicht- 1 eignung) der neuesten Entwicklungsphasen der Musik für den liturgischen Dienst und C darüber hinaus für die geistliche Kompo- ] sition überhaupt mindestens zur Diskussion ‘ zu stellen. Ein neuer Aufbruch, wie er 1 vom bevorstehenden Konzil zu erwarten ist, rechtfertigt neue Mittel und Versuche, ] dürfte ohne sie gar nicht auskommen. Lei- i der blieb das Programm trotz seines ( Reichtums und seiner Fülle gerade darin i hinter den Erwartungen zurück. i

Die Aktivierung des Gemeindegesanges wurde allerdings zum Ereignis. Das von 1 1200 holländischen und belgischen Kindern gesungene Choralamt war eines der ergreifendsten kirchenmusikalischen Erlebnisse im Kölner Dom, war Offenbarung - aus Kindermund, die kaum überboten werden kann. Die Missa choralis von Ernst T i 11 e 1, ihrem Wesen nach J begleiteter Choralgesang im Wechsel von Schola und Gemeinde, wuchs in den Chor- į teilen des Gloria (und des leider nicht ä gesungenen Credo) in eine organische, der v Choralweise absolut verhaftete Mehrstim- migkeit, die mehr als deren Verdichtung r wirkte als den Begriff der Variation aus- 1 löste. Ein Beispiel für Gegenwart und Zu- I kunft, Gemeinde und Chor zur Einheit zu J schließen. Die ältere Form des Wechsel- 1

gesanges konnte sogar in einer (neu aufgefundenen) Messe von Palestrina aktiviert werden. In neuen Weisen (außerhalb der Choralmelodie) fanden im einstimmigen Wechselgesang von Volk und Schola Heino Schuberts Messe „Unanimi voces“ und Oswald J a e g g i s „Missa Trinae Unitatis“ große Beachtung und starke Sympathien. Hier — und in vielen anderen ähnlich ausgerichteten Kompositionen — wirkte der neue Geist im Sinne der singenden liturgischen Gemeinschaft mit deutlichem Zielbewußtsein und spürbar fortdauernder Wirkung.

Jahrhundertealtes reichstes Erbe und die darin niedergelegte Heiligkeit und Glaubenstreue sichern aber auch der reinen C h o r m u s i k, ob a-cappella oder mit Orgel- und Instrumentalbegleitung, einen weiteren Platz in der Entwicklung der Kirchenmusik. Hier ist besonders eine Messe von Benjamin Britten für Knabenchor und Orgel zu erwähnen, die als ebenso apartes wie eigenwilliges Kunstwerk auf den Kirchenchören Heimatrecht verdient und freizügig die ein wenig starr gewordene Schablone durchbricht, ohne zum Experiment zu werden. Wirklich Neues aber erklang zum Gottesdienst nicht. Gewiß konnte man keinem der aufgeführten Werke Anerkennung und Respekt versagen, gewiß war der verantwortungsvolle Ernst zu spüren und gab es kühne Profilierungen, die in die Zukunft weisen; im allgemeinen aber ging man dem Experiment aus dem Wege, in diesem Falle vielleicht zu sehr. Gerade der Kongreß wäre ein Forum der Bewährung gewesen. Wie andere hätte sich ein Neues vor dem Kongreß entfaltet als, wenn überhaupt, irgendwo als lokales Ereignis! Ob nicht einer der seriellen Komponisten, etwa Luigi Nono oder Ernst Krenek, zur Komposition einer Missa hätte eingeladen werden sollen? Zumindest die „Missa super modos duodecimalis" von Anton Heiller oder Kreneks „Missa Duodecim Tonorum" hätten nicht fehlen sollen. Man hätte sich mit den neuen Stilen und Systemen auseinandersetzen, sie kraft ihrer Durchführung anerkennen oder ablehnen müssen. Damit aber hätte man der Kirchenmusik der Zukunft d i e Richtung gewiesen, gewiß nicht apodiktisch, immerhin als gewichtiges und legitimes Forum, das seine gewonnenen Erkenntnisse päpstlichen Entscheidungen unterbreiten kann. In die sem Sinne wäre das Experiment Pflicht gewesen.

Soweit man es (im außerliturgischen Bereich) zuließ, bewies es spontane Durchschlagskraft, etwa in Max Baumanns „Deutscher Passion“ oder in Oswald J a e g g i s Szene aus der geistlichen Oper „Thomas Morus“. (Erstere verwendet Orffsche Rhythmen und Motorik, letztere freie Zwölftonreihen.) Vom Gottesdienst blieb es ausgeschlossen, und daher blieb auch ungewiß wie vorher, ob und inwieweit Dodekaphonik und Serie neue Wege der Kirchenmusik bedeuten können. Diese (übrigens nicht unbegreifliche) Scheu vor dem Experiment aber machte in gewissem Sinne das Programm selbst zu einem solchen; zum Versuch, das Neue innerhalb der Tradition zu finden und mit dieser auszukommen. Und gerade dieser Versuch konnte nicht gelingen.

Diese Unterlassung hat den Kongreß an Entscheidungen, nicht freilich an Erlebnissen, ärmer gemacht. Zu letzteren gehört vor allem die hohe Qualität der Wiedergaben, die man beispielhaft nennen darf, durch alle die zahlreichen Solisten, Chöre und Orchester des In- und Auslandes.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung