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Probleme des Chorgesanges

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Die Erneuerung der großen Chorgemeinschaften belebt durch die stärkere Betonung des ges üngenen Konzertes däs öffenp liehe Musikleben in mehrfacher Hinsicht, In offensichtlichem Eifer nach künstlerischer u n d volkstümlicher . Wirkung zugleich gleiten die konzertierenden Chöre allerdings gern in die lockende Sackgasse des dereinst erfolgreich Gewesenen, dem größten Hindernis ihrer Weiterentwicklung. In eine solche Sackgasse liedertafelnder Voll- bärtigkeit geriet der Wiener Männe rJ gesang verein in seinem jüngsten Konzert (seiner 1900. Aufführung) mit den Chorliedern von Kremser und Koschat („Verlassen!”), nachdem er sich . im ersten. Teil des Abends mit Meisterwerken von Schubert, Bruckner und Lechthaler einen glänzenden künstlerischen Erfolg ersungen hatte und in der Wiedergabe von Otto Siegls „Abschied” vom Schwung des echten Volksliedes mitgerissen wurde, der seinem eigenen musischen Schwung weitgehend entgegenkam. Was wollte die einsame Tfäne der Sentimentalität? — In einem Gedächtniskonzert seines Namenspatrpns brachte der W i en er Š c h u b e r t b u n d. bekannte und wenig bekannte Chöre •des Liechtentaler Meisters, ohne sich an die be- 7 deu ten d-steru’Schöpfungen („Gesang der Geister über den Wassern” usw.) zu wagen. Bewußtes Bescheiden, gewiß; dennoch scheint der Schubertbund durch Name und Tradition zu lebendiger Betreuung eben jener Meisterwerke, zp außerordentlichen anstatt zu Durchschnittsprogrammen, berufen. Das Außerordentliche erreichte diesmal nur die mitwirkende Wiener Kantorei im „Chor der Engel” aus „Faust”.

Gereichen den traditionsreichen Chören die rückschauenden Programme zu Leistungen und Erfolgen, die keine Jungen nachzusingen vermögen, so haben diese. hingegen in moderner Chormusik einen kaum, mehr einholbaren Vorsprung.. Unbekümmert, einem richtigen Sprachenbabel gleich, sang die Chorvereinigurig J ü n g- Wien Chorlieder aller Zeiten und Völker, von Palestrina bis Carl Lafite und von Schubert bis zu Stephen Forsters .„Old Folks at home”. Ein wenig allzu bunt in Stilen und Sprachen, unter denen zumindest die deutsche manieriert, genug klang, dennoch lebensvoll bewegt und von beneidenswerter Frische, volksnah selbst in den linearen Sätzchen. Hier singt keine Tradition, sondern nur unbeschwerte Freude an. der tönenden Vielfalt, an der man freilih die leichte Neigung zum „Leichten” nicht überhört. — Schwierigste Arbeit spielend überwunden erschien im Konzert des Akademie-Chors, das altmeisterlicher Polyphonic aus dem 15.,. 16. und 17. Jahrhundert neueste Chormusik gegenüber — und beider Verwandtschaft unter Beweis stellte. Zwischen Lechthalers Marienchören und J- N. David Tierliedern standen eine Choralmotette Anton Heillers und zwei Zwölftonspiele J. M. Hauers, mit einer Reinheit und Leichtigkeit intoniert, die allein alles Gerede von der Unsangbarkeit neuer Musik über den Haufen wirft, , so beleidigt manche darüber sein mögen. Allerdings bedarf es chorerzieherischer Kunst, die Stimmen aller derberen Tönung zu entheben, sie auf einen objektivierenden,- entpersönlichten Vortnag zu „tönen”. Ferdinand Großmann’ hat dies in unnachahmlicher Weise erreicht, die niemals, eine Grenznahe sängerischen Yernaggens streifte,, sondern ein ‘selbstgebildetes virtuoses Chorinstrument spielte, das seinesgleichen suchen mag.

Zur Fünfzigjahrfeier der Weihe der Lutherkjrche in Wien sang der Chor der J. - S.-Bach-Kantor ei zwischen zwei großen Bach-Kantaten (,„Also hat Gott die Welt geliebt” und „Wachet auf, ruft uns die Stimme”) Motetten von Josquin de Pres, Leo Haßler und Heinrich Schütz. Die ausgesprochen kirchliche Tönung und sakrale Wärme der Stimmen wirken unkonzertant, dafür um so eindrucksvoller im Sinne des Mottos „Soli Dei Gloria”. Hier ist weniger eine Entpersönlichung als eine Entweltlichung wirksam, die Stimmen und Instrumente gleicherweise dem geistlichen Gedanken dienstbar macht; geistliches Konzert in vorbildlichstem Sinn, das dem Geist dient, ihn nicht wegmusiziert, wie es in allžuvielen geistlichen Konzerten der Fall . ist, und wie es auch im Z w e i t e ri C h o r- Konzert der Konzerthausgesellschaft geschah, da man Rossinis „Stabat mater” zwischen geistlich und weltlich, zwischen Bravour und Improvisation,, mit richtiger Lauheit konzertierte. Der Armut des Werkes an kirchlichem Ausdruck steht ein außerordentlicher Reichtum an musikalischen Feinheiten gegenüber, denen man leider weder von Seiten der Solisten nothin den Tempi gerecht wurde. So blieb es, nicht Fisch und nicht Fleisch, etwas eindruckslos.

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