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Messias und Johannespassion

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Muß man es sagen, muß man daran erinnern, daß Händeis Oratorium nach Worten der Heiligen Schrift „D e r M.e s s i a s“ ein großartiges, hinreißendes Meisterwerk ist? Man muß es. Denn bevor der junge indische Dirigent Zubin M e h t a es am vergangenen Samstag im Großen Musikvereinssaal mit dem Wiener Jeunesse-Chor und dem Tonkünstlerorchester aufgeführt hat, wurde es zuletzt vor nunmehr bald vier Jahren, zur Eröffnung der Wiener Festwochen, durch den englischen Huddersfield-Chor unter Sir Malcolm Sargent bei uns gegeben. „Der Messias“ nimmt unter den rund 30 Oratorien Händeis eine Sonderstellung ein. Nie war Händel, der das dreistündige Werk nach einer deprimierenden Lebenskrise in knapp drei Wochen de Jahres 1741 schrieb, dem Geist norddeutsch-protestantischer Kirchenmusik so nah. Formal wurde es vom deutschen Kantatenoratorium angeregt. Aber was hat Händel aus diesen Anregungen gemacht? Ein phantasievoll ent-wotfenes, mit bewunderungswürdiger Schöpferkraft ausgeführtes Werk musikalischer Großarchitektur, ein Dokument hochbarocken Weltraumgefühls, wie wir es auch in Leibnizens Monaden, den endlosen Perspektiven der barocken Operndekorationen und in der 53stimmigen mehrchörigen Salzburger Festmesse von Benevoli (aus dem Jahr 1628) kennen. Von den besonderen künstlerischen Qualitäten seien nur zwei hervorgehoben: Die ideale Proportion von Soli und Chören sowie ein untrügliches Zeitgefühl (kaum ein anderer Musiker wußte so genau wie Händel, wie lang ein Satz dauern muß und

kann, um die größtmögliche Wirkung zu erzielen),

Die Aufführung unter Zubin M e h t a war eine reine Freude. Vom ersten Chorsatz an („Denn die Herrlichkeit Gottes, des Herrn“) lauscht man entzückt und gebannt den (120 bis 130) jungen Stimmen, die in den höheren Lagen der Soprane einen trompetenartigen, festlich-heiteren Klang hatten. Das Solistenquartett war mit Irmgard S e e f r i e d, Hilde Rössel-M a j d a n, Murray D i c k i e und 1 Otto Wiener ideal besetzt. Alles war bestens studiert, und eine anfängliche Zaghaftigkeit des Begleitorchesters wich bald einem gelösten und beglückenden Musizieren aller. Ein Sonderlob für Herbert T a c h e z i am Cembalo und dem unfehlbaren Solotrompeter. Der einzige klangliche Schönheitsfehler war das häßliche Tutti der Orgel am Schluß. — Die keineswegs in der Partitur liegende Dramatik erzielte der Dirigent dadurch, daß er dem Schluß gewissermaßen mit Fallgeschwindigkeit zustrebte. (Der 1. Teil dauerte eine starke Stünde, der 2. Teil 30 und der 3. nur 20 Minuten.) Gewiß, es ist bei diesem Werk schade um jede Note. Aber der Hörer war nicht überfordert — was ja nun auch wieder im Sinne Händeis liegt...

Erfreulicherweise braucht man in Wien keinem Musikfreund die Größe und Tiefe der Johannespassion zu rühmen. Sie' hat sich während der letzten Jahre immer mehr neben ihrer berühmteren Schwester behauptet. Hier, in dieser Partitur, stehen einige der erereifendsten Arien und innigsten Choräle Bachs neben zwei Stellen von verblüffender

Modernität: Der Chorsatz „Wir haben ein Gesetz“ mit seinen kühnen Synkopen könnte, mit einigen „falschen Bässen“ versehen, in einem der großen biblischen Oratorien Honeggers Platz haben, und der Chor „Lasset uns den nicht zerteilen“ findet sich, als Contrafactur, tatsächlich in Strawinskys Oper „The Rake's Progress“.

Unter der Leitung des sensiblen und pädagogisch begabten Xaver Meyer sangen der Wiener Akademie-Kammerchor und der Madrigalchor Sankt Veit (zusammen ein Ensemble von etwa 100 Sängern). Von den Solisten, die ihre Partien ohne Fehler, freilich auch ohne besonderen Glanz Und ausdrucksmäßigen Tiefgang absolvierten, sei wenigstens Kurt E q u i 1 u z hervorgehoben, der nicht nur die umfangreichen Rezitative, sondern auch die Tenorarien

sang. (Neben ihm: Anneliese Hilckl. Claudine Perret und vier jüngere Bassisten.) Die Begleitung lag in den Händen ausgesuchter Musiker de-Volksopernorchesters, von denen zehn auch solistisch hervortraten. Josef N e b o i s am Cembalo und Hans H a s e 1 b ö c k an der Orgel hatten einen bedeutenden Anteil am Gelingen dieser nicht auf Repräsentation angelegten Aufführung, die unter der Leitung von Xaver Meyer für das zu einem beträchtlichen Teil aus jungen Leuten bestehenden Publikum zu einer echten Feier wurde. Auch hier war die Fassungskraft des heutigen Konzertbesuchers nicht überfordert: Die Gesamtdauer der gespielten Musik (mit einer vorverlegten Pause als 2äsur) betrug zwei Stunden.

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