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Altes und neues Kirchenlied

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Es geschah in einer Wiener Kirdie: Die Betsingmesse mit Michael Haydns Meßgesängen war bis zur Kommunion der Gläubigen gediehen, als nach dem dreimaligen „Domine non sum dignus“ die Orgel schwieg und einstimmig, unbegleitet, das Lied aufklang: „Kommt her, des Königs Aufgebot.“ Da es mit seinen drei Strophen nicht reidite, schloß sich an:.„Uns rufet die Stunde, uns dränget die Zeit“ und schließlidi: „Das Banner ist dem Herrn geweiht.“ Alle drei mit Weisen von Adolf Lohmann versehen sind 1934 bis 1937 entstanden, som't unverfälschte Schöpfungen unserer Zeit. Zum Abschluß setzte wieder die Orgel ein und Haydns ..Nun ist das Lamm geschladitet“ führte mit seiner gehaltenen Dankbarkeit die Messe zu Ende.

Was sich dabei auftat, war mehr als nur der .Unterschied zwischen begleiteter und unbegleiteter Einstimmigkeit, war eine spürbare Spannung zwisdien alt und neu. zwisdien Charakteren von gestern und morgen. Es mag s:di verlohnen, dem wenigstens einigermaßen nachzugehen.

Das Kirchenlied ist ein sehr alter und wesentlicher Bestandteil des musikalisdien Lebens im katholischen Gottesdienst. Es sei ausdrücklich so gesagt: des katholischen Lebens, nicht der Liturgie, wenngleich es auch hier in vergangenen Zeiten, wohl selten, aber immerhin, eingebaut war. Man braucht nur an die Sequenzen erinnern, die besonders an hohen Festtagen mit Einschluß deutscher, vom Volk abgesungener Strophen ausgeführt wurden. Heute hat sich nur mehr außer-liturgisch, das Osterlied „Der Heiland ist erstanden“ in der Auferstehungsprozession vom Karsamstag erhalten. Gerade dieses Lied, bekanntlich eines der ältesten überhaupt, dessen früheste Aufzeichnung eine Handschrift in Klosterneuburg bewahrt, ist Zeuge für die weitverbreitete nichtliturgische Verwendung des katholischen deutschen Kirchenliedes: es war der regelmäßige Schluß bei den Osterspielen, es wurde auch, wie so manches andere Lied, außerhalb der Kirche bei den verschiedensten Gelegenheiten gesungen. Das geistliche Lied durchdrang im Mittelalter in einer uns heute nicht mehr geläufigen Weise das ganze tägliche Leben, es wurde bei der Arbeit, auf dem Felde und bei Tisch gesungen, auch die ältesten Schlachtrufe, einfache Kyrieleisen, können ihre Herkunft aus dem Religiösen nicht verleugnen.

Das Kirchenlied ist gleichsam ein Spiegel für das religiöse Tum und Lassen einer Epoche. Auch für unsere Zeit trifft das zu und die anfangs genannte Gegenüberstellung von alt und neu war daher in mehr ak einer Beziehung lehrreich.

Vor allem soll dabei eines nicht übersehe werden: Die liturgische Bewegung konnte bei all ihrer bereditigten und begreiflichen Hinneigung zum gregorianischen Choral des Kirchenliedes nicht entraten. Es ist einerseits unmöglich, eingelebte Gewohnheiten über Nacht zu ändern oder gar abzuschaffen, man kann aber audi andererseits vom einfachen Volk nicht erwarten, daß es die Gesänge des Chorals sich in allen Stilformen zu eigen macht. Dazu ist der Choral rein gesangtechnisch zu schwer, ganz zu geschweigen von seinen künstlerischen Tiefen, “die auszuschöpfen nicht jedermann gelingt. So tritt in der Betsingmesse das deutsche Kirchenlied als „Zeitlied“, entsprechend dem Kirchenjahr, an die Stelle des choraliter ausgeführten Propriums. Damit hat aber das Kirchenlied entgegen seiner bisher.gen Stellung liturgische Bedeutung erhalten, ist deshalb auch berufen in Zukunft eine wichtigere Rolle zu spielen als bisher.

Nun ist aber der Gottesdienst, die“ Liturgie, ein Kunstwerk, das für sich, rein von der Seite der Schönheit her, bestimmte Ansprüche stellt. So zum Beispiel diesen, daß bei aller Vielfalt der dazu verschwendeten Kunstmittel, zu ihnen gehört auch die Musik, keine störende Ungleichheit entstehe. Mannigfaltigkeit soll sein, sie besteht ja selbst im Choral, aber es darf nicht eines dem anderen sozusagen ins Gesicht schlagen. Sprechen, Beten, Singen, wie dies in einer Betsingmesse der Fall ist, sollen eine Konzentration bewirkende Geschlossenheit ergeben.

Einheitlichkeit war beispielsweise in der reinen Singmesse vorhanden. Von einem Komponisten als gesdilossenes Ganzes komponiert, oder von einem Herausgeber mit solcher Absicht zusammengestellt, ist diese Musik zur Messe unter Umständen von künstlerisdier Vollendung, gegen die, zumindest von der Seite des Musikalischen, nichts einzuwenden ist. Sind die Qualitäten einer solchen Komposition so, daß sie über kurz oder lang zum Volksgesang wird, wie dies bei M. Haydn und Schubert der Fall war, dann haben sie die höchst mögliche Auszeichnung gewonnen: sie sind volkstümlich geworden.

Bei Beurteilung der .Singmesse darf man auch nicht vergessen, daß sie den Gang der heiligen Handlung in den Hauptzügen wohl zum Ausdruck bringt, nicht aber den jeweiligen Tagesgedanken. Das beabsichtigten jene Zeiten noch nicht, in denen diese Messen entstanden. Diese Betsingmesse behebt diesen Übelstand, kann dies aber nicht anders, als daß sie die musikalisch-künstlerische Einheit der Singmesse sprengt.

Die Einfügung der Texte, die Notwendigkeit, auch das gesungene Lied wenigstens stellenweise aus der Nähe des Festgedankens zu holen, ebenso die Absicht, einzelnes vom gregorianischen Choral zu verwenden — all dies brachte große Gefahren künstlerischer Natur: ein Stilgemengsel verschiedener Ausdrucksbereiche ist die Folge. Die selbst im Verschiedenen mögliche Einheit geht verloren und für den künstlerisch empfindsamen Gläubigen entsteht sogar ein Etwas von Unruhe. Diese schon durch die Bestandteile einer solchen Meßfeier hervorgerufene Unruhe' kann aber noch gesteigert werden, wenn Orgel und Altar, Gesang und Worte ki der Abfolge nicht ganz genau zusammenstimmen und man es erleben muß, daß die liturgische Genauigkeit, die ja hier ganz besonders beabsichtigt, weil gefordert ist, manchmal empfindliche Einbuße erleidet.

Dieses Stilgemengsel entsteht aber nun nicht nur zwischen den verschiedenen Bestand eilen von Gebet, Choral und Kirchenlied, sondern schon durch das Kirchenlied selb?., wenn altes und- neues Lied einander gegenüberstehen.

Das Kirchenlied' ist nicht einfach nur Musik zur Messe oder sonst einer Andacht, sondern im Gottesdienst klingend gewordener Volkscharakter. Es hat dies mit dem Volkslied gemeinsam und ist so seinerseits auch ein Gradmesser für den Charakter jener Zeit, in der es entstanden ist, beziehungsweise gesungen wird. Wir sind heute anders als die Zeit Haydns und Schuberts, wir müssen auch anders sein, sonst könnten wir unser Leben nicht meistern. Damit stehen wir mittlen in den Problemen: Sollen wir das „Hier liegt vor deiner Majestät“, das „Wohin soll ich mich wenden“, und alle die übrigen Segen- und Zeitlieder, die uns so vertraut sind, über Bord werfen? Was käme dann an ihre Stelle? Haben wir schon soviel Neues oder wieder lebendig gewordenes Alses aas vorklassischen Jahrhunderten, daß uns diese Größen ersetzt werden könnten?

Es ist richtig, wir sollten, auch in der Kirche, so singen, wie es unserem Lebensstil entspricht: nicht zaghaft, nicht weich, sondern tatkräftig, zielbewußt, vielleicht sogar etwas herb, in überlegter Entschlossenheit. Das braucht nicht lieblos zu werden und kann seine eigene weiche Linie besitzen. Aus solchen Empfindungen sollten unsere neuen Lieder entstehen.

Wir haben aber auch einen Schatz an guten Liedern von früher. Unser österreichisches Barock, das übrigens eine glückliche, baufreudige Zeit gewesen ist, hatte es nicht notwendig, herb zu sein. So tun sich hier Klüfte auf zwischen gestern und heute, die manchmal unüberbrückbar scheinen. Dabei kann man vielen der überlieferten Lieder frommen, gläubigen Ernst nicht absprechen, trotz aller zeitgebundenen Kennzeichen, die sie aufweisen. Sie haben eines, wofür sie. allerd;ngs keine Schuld trifft: sie sind durch vieles Singen gleichsam ermüdet, zerdehnt worden. Sie haben oft nicht mehr die Frische an sich, die sie besitzen könnten. Aber, das wäre ja sofort aus der Welt geschafft, wenn man sie nicht so temperamentlos im Schneckentempo singen würde. Das gleiche wäre mit einem Lied unserer Tage der Fall, wenn man es so schleppend altjüngferlich sänge. Man gebe den oft so angefeindeten Liedern aus der Klassikerzeit ihr Temperament zurück, und man wird staunen, wie schön sie sind. Es ist auch beispielsweise kaum zu denken, daß sich Schubert, der so rhythmisch bewegt sein kann, für seine ,.Deutsche Messe“ so verzogene Tempi gedacht hätte. „Weihevoll-langsam“ und „schleppend-verzogen“ sind, was den Vortrag geistlicher Musik anbelangt, durchaus nicht identische Begriffe.

Das neue Kirchenlied hat anderes Auftreten: es ist in seiner taktwechselnden Architektonik rhythmisch reicher, ist herber mit dem 7urückgreifen auf alte Kirchentonarten und baut auch seine Melodik nicht behutsam auf stufen weises Schreiten, sondern springt seine: i Herrgoift gleichsam in Akkordzerle-gungen tatenfreudig entgegen. Manchmal allerdings könnte man glauben, es vergäße der Heiligkeit des Ortes, wofür es bestimmt ist; überschäumendes Lebensgefühl läßt sich aber schwer zurückdämmen. So ist es in seiner Gesamthaltung voll Tatendrang, ringend um Glauben und Heiligkeit, daher manchmal aueff unruhig gegenüber der Ausgeglichenheit des klassischen Kirchenliedes aus den Jahren um 1800. Werden nun in einer. Messe beide Stile nebeneinander gesetzt, dann entsteht eine sehr merkwürdige Ungleichheit. Sie wird noch vergrößert, wenn das neuzeitliche Lied dann plötzlich unbegleitet erklingt. Seine Herbheit steigert sich dadurch beinahe zu Trotz, die Gefahr des Falschsingcns ist in nächster Nähe (wenn etwa der Vorsänger zu hoch oder zu tief anstimmt). Die Kunst der Gegenwart wirkt inmitten des übrigen Ganzen wie ein erati-scher Block, der wesensfremd in einer im übrigen ~anz anders geformten Landschaft liegt. • ,

Das sollte man bei der Gestaltung von Betsingmessen berücksichtigen. Künstlerischer Begeisterung müßte es geradezu ein Ansporn sein, solche Bindungen von Alt und Neu zu versuchen, sie müßten aber auch die Einsicht aufbringen, von allzu gewagten Kombinationen abzustehen, wenn ihre Unmöglichkeiten von vornherein zu erkennen sind. Der Reichtum an Musik, der auch im katholischen Kirchenlied der Gegenwart vorhanden ist, braucht nicht ungenützt bleiben. Er sollte sich vermehren, damit neue Lieder entstehen, die ebenso wie die M. Haydns und Schuberts einmal Gemeingut des Volkes werden.

Der österreichische Charakter besitzt die Fähigkeit, Heiliges lieblich zu sagen, und das brauchen allem Anschein nach auch die kommenden Zeiten. Nicht nur die Herbheit anderer Landstriche, nicht nur der Emst und die Gehaltenheit, sondern auch die Fröhlichkeit steht am Throne Gottes. Sie ist ihm genau so lieb; und das deutsche Kirchenlied, auch das der Zukunft, vergibt sich nichts, wenn es bei allem seinem Ernst auch den Worten des Psalmisten entspricht: Servite Domino in laetitia.

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