7089808-1994_25_09.jpg
Digital In Arbeit

Wirtschaftsfaktor Klassik

19451960198020002020

Österreich gilt als „Weltmeister der klassischen Musik”, aber auch Musikverlage, Instrumentenmacher, Notenstecher florierten ehemals

19451960198020002020

Österreich gilt als „Weltmeister der klassischen Musik”, aber auch Musikverlage, Instrumentenmacher, Notenstecher florierten ehemals

Werbung
Werbung
Werbung

Wir sind schon lange kein Musikland mehr”, sagt Rektor Michael Frischenschlager von der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Wien. „Die Basis ist seit Generationen systematisch ausgerottet worden.” Geortet wird der Untergang des „Musiklandes” an folgenden Fakten: das Neujahrskonzert könne bald nicht mehr ohne japanische Musiker gespielt werden, in der Staatsoper würden schon japanische Choristen singen, in den Musikhochschulen bewürben sich nur mehr 20 Prozent „vertretbar vorgebildete” Inländer, die großen Wiener Orchester fänden keine österreichischen Konzertmeister, 50 Prozent der österreichischen Schüler haben keine Musikerziehung in der Schule, in den Allgemeinbildenden höheren Schulen unterrichten ungeprüfte Lehrer.

Hinter den immer wiederkehrenden Klagen stecken konkrete Forderungen der Interessenvertreter: die österreichischen Komponisten wollen ihre Sendezeit in Ol erhöht wissen, die österreichischen Pop-Gruppen verlangen eine Quotenregelung von 25 Prozent ihrer Musik im Programm von 03, die Musikerzieher eine bessere Bezahlung.

Jeder verlangt vom anderen Idealismus und fordert, auf wirtschaftliche Überlegungen zu verzichten.

Österreich ist kein Musikland, gemessen an der Leistungsbilanz seiner „Musikwirtschaft”. (Aus außenwirtschaftlicher Sicht wäre es nur dann ein Musikland, wenn es mit Musik unter Ausschluß von Protektionismus positive Nettoexporte erwirtschaftete.) Das schafft in Österreich nur der Musik-Fremdenverkehr.

Österreich gilt im Ausland, nach einer Studie des Werbewissenschaftlers Günter Schweiger, als „Weltmeister der klassischen Musik” -und damit kompetent auch auf anderen Gebieten. Zugute gemacht hat sich diese werbewirtschaftliche Erkenntnis nicht nur die Mozart* Kugel, sondern auch der Philharmoniker, die Goldmünze.

Wien zog Komponisten an

Österreich ist ein Musikland, gemessen an Einzelereignissen: das Neujahrskonzert erreicht die weltweite Rekordzahl von 600 Millionen Zuhörern. Musik für Orchester aus Österreich nimmt 40 Prozent der Spieldauer von Orchesterkonzerten ein. Werke von Komponisten aus Österreich - also Haydn, Schubert, Mozart, Beethoven - nehmen immerhin 14 Prozent der Schallplatten-Kataloge mit ernster Musik ein. Die Hegemonie im symphonischen Konzertrepertoire beruht auf der Zeit des 18. und 19. Jahrhunderts, der musikalischen Wiener Klassik und Romantik. Sie war auch musikwirtschaftlich relevant.

Wien zog die größten Komponisten ihrer Zeit an, Meister aus Böhmen, Süddeutschland und Italien wurden hier „zu Österreichern” und bereiteten einen musikalisch konstruktiven Rahmen vor, eine Instrumentenmanufaktur entstand. „Zwei oder drei Komponisten können den Geschmack einer Nation bilden” bemerkte Graf Waldstein, Widmungsträger Beethovens anno 1792. Es wurde also kein Stil in Wien erfunden, sondern zahlreiche soziale, ökonomische und politische Faktoren schuf ein Klima, in dem ein Musik-wirtschaftsieben blühen konnte.

Die dilettierenden Laien aus einem sich gerade emanzipierenden Bürgertum und einer kunstfreundlichen Aristokratie hatten Gelegenheit, fördernd und mitspielend am Musikleben teilzuhaben.

Als Folge der zunehmenden Zahl an Musikanten und dem Bedarf an

Notenmaterial etablierten sich in Wien - vergleichsweise spät - Musikverlage. Wer von den Notenstechern sich nur von Idealismus leiten ließ, verarmte; wer klug genug war, an der leichten Muse zu verdienen, wußte seine hohe verlegerische Mission zu erfüllen.

Mit zunehmender Schwierigkeit der Werke veränderten sich die Bauweise der Instrumente und die Lehrtraditionen in Wien. Um den höheren technischen Ansprüchen gerecht zu werden, mußten Lehranstalten gegründet werden. Die Gesellschaft der Musikfreunde gründete ein Konservatorium, das sich später zur Akademie, der heutigen Musikhochschule wandelte. Ein funktionierendes System von Spielern und Hörern, Verlegern und Veranstaltern, Komponisten und Musiklehrern hielt sich - „ganz ohne die staatliche Kulturmaschine” (Gulda) in Schwung.

Identitätsstiftende Musik

Aus dieser untergegangenen Musikwirtschaftsregion ragen manche Institutionen in die Gegenwart hinein - die Lehranstalten, die Philharmoniker, der Männergesangverein -aber viele Faktoren haben sich verändert. Manche Institutionen versuchen sich an die geänderten Bedingungen anzupassen, die Rolle der Mäzene übernimmt der Staat, Preise sollen Motivation erwirken, jährliche Subventionen von 22,5 Millionen erhalten die Schaffenskraft der Komponisten, der zuständige Minister hat außerordentliche Millionenbudgets für Kuratoren Neuer Musik zur Verfügung gestellt. Alle diese Maßnahmen sollen das ins Stocken geratene Rad der Musikwirtschaft in Schwung bringen. Aber in das österreichische Musikrad rund um die E-Musik-Kategorie wurden die Medien und Tonträgerindustrien noch nicht konstruktiv eingebaut.

„Künstler sehen”, sagt WU-Rek-tor Fritz Scheuch, „ihre Autonomie und Kreativität durch betriebswirtschaftliche Überlegungen bedroht.” Kunst kann sich nur entfalten, wenn sie gebraucht wird. Demgegenüber stehen die Bemühungen der Komponisten, die zeitgemäßen sozialen Absicherungen zu gewinnen: erst nach jahrelangen Prozessen gibt es eine Sozialversicherung für freiberufliche Komponisten.

Ein Musikland Österreich hat also - als abgegrenzter Staat in dem österreichische Kinder zu österreichischen Genies wurden - nie bestanden. Hoffnung auf eine Wiedererstehung einer Musikregion Österreich kann die engere Gemeinsamkeit mit den benachbarten Ländern bringen. Ein musikalischer Austausch Österreichs mit seinen europäischen Nachbarn hebt das Bewußtsein für eine europäische Musikkultur, denn „dieses Europa würde ohne seine Musikkultur seine Identität verlieren wie Schlemihl sein berühmtes Spiegelbild”.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung