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Und die Musiker?

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Noch überwiegt im Musikleben die Erfolgsbilanz. Schnell zunehmende Absolventenzahlen der Musikhochschulen, immer mehr Musiklehrer, fünf Milliarden Schilling jährlich für Österreichs Kulturbetriebe aus der Staatskassa, davon ein Großteil für Musikpflege, billige Opernübertragungen in jeden Haushalt, Musik in Kinos, Kaufhäusern, Autos, Restaurants und so weiter, eine Flut von täglichen Musikveranstaltungen, Rundfunksendungen, täglich zwei neue Schallplatten, alle paar Monate neue internationale Preisträger diverser Instrumente lassen den Schluß zu, daß Osterreich noch immer ein Musikland ist.

Es gibt aber auch die andere Seite dieser Bilanz, und ihre Tendenz ist steigend. Diverse Musik-

Veranstalter können es sich kaum noch leisten, große Ensembles zu engagieren. Teile einiger Orchester treten immer öfter als Kammerorchester oder Teilensembles bestimmter Instrumentengruppen auf. Die Zeit der großen Gewinne in der Schallplattenbranche ist vorbei, neue Investitionen (Compact-Disc und so weiter) sind selbst mit bekannten Interpreten schwer zu verkaufen.

Auch die Zeit des großen Bedarfs nach Neueinspielungen in den Tonstudios ist vorüber, die Archive sind voll von hochqualifizierten Aufnahmen der Sparten Rockmusik, Jazz, Alte Musik, Klassik, Neue Musik, Tanzmusik, Filmmusik und so weiter. Der Musiker sieht sich einer letztlich unzumutbaren Konkurrenz gegenüber.

Komponisten nicht „benötigt“

Es ist konsequent, wenn in den USA bereits 16-Spur-Studios entwickelt wurden, die auf elektronischem Weg jeden gewünschten Instrumentenklang herstellen und mischen können: Das EinMann-Orchester unserer Tage, mechanisch vervielfältigt in Form billigster Tonkonserven.

Dieser Trend ist freilich nichts Neues. Begonnen hat er beim Komponisten, dessen Beruf seit Jahrzehnten nicht mehr „benötigt“, nur noch „geduldet“ wird. Wenn nach neueren Untersuchungen heute in Österreich derzeit höchstens zehn Menschen von ihrem Komponisten-Einkommen leben können, dann stellt sich doch die Frage, worin der Fortschritt seit zweihundert Jahren

bestanden hat. Denn es zeigt sich auch, daß immer weniger Menschen singen können. Während es einst zu den höchsten menschlichen Aufgaben gehörte, Gottes Lob zu singen, und der Stimmklang — praktischerweise - zugleich Aufschluß über den Gesundheitszustand des einzelnen (oder der Gemeinschaft) gab, dauert heute der Stimmwechsel der Knaben vielfach vom zehnten bis zum zwanzigsten Lebensjahr.

Die Folge? Serielle und postavantgardistische Orchesterwerke, Aleatorisches oder fachgerechte Klangexperimente sind üblich - unter Umgehung der Mitmenschen für die „Ewigkeit“ geschrieben. Und die unzufriedenen Musiker und Konzertveranstalter kontern darauf etwa mit Ballett-Adaptionen von historischen Messen oder gar Geräuschkollagen und mit der reproduzie-

renden Denkmalpflege wechselnder Podiumsstars. Das ist (vor allem mit Mikrophon) billiger und risikolos.

So bleibt die Frage nach neuen Wegen. Erste Ansätze — wenn auch zweifelhafter Natur — zeigen sich schon an den Hochschulen: Immer mehr Künstler werden Lehrer mit Teilzeitvertrag. Auch der ORF tendiert zu solchem Pluralismus, nur werden die Honorare dadurch geringer. Wenn endlich die AKM-Beiträge auf ein angemessenes Maß erhöht würden, so würde dies nicht nur zu mehr Gerechtigkeit, sondern auch zur Verringerung des allgemeinen Geräuschpegels beitragen. Au-

ßerdem könnten Kirchengemeinschaften mehr als bisher Chorleiter und Kirchenmusiker beschäftigen. Die derzeit durch Raub-Kopien geschädigten Musikverlage könnten durch Bibliotheksgroschen, Reprografie-Abgaben, Leerkassettenschillinge oder ähnliches geschützt werden. Regelmäßig sollten amtliche Kompositionsaufträge öffentlich ausgeschrieben werden. Und — steuerbegünstigte — Musik-Mäzene mit dem Mut zu Risiko und Verantwortung können dazu beitragen, daß gemeinsam mit den Künstlern qualitative Zielsetzungen erarbeitet werden.

Die Vorschläge der Künstler sind allzu lange nicht beachtet worden, strukturelle und betriebliche Verbesserungen sind unterblieben. Steht uns eine unkünstlerisch-inhumane Radikallösung bevor?

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