piano - © Foto: Pixabay

Künstliche Musik

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Computer spielen Klavier, erkennen Musikstücke und komponieren. Menschlich macht sie das noch lange nicht.

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Computer spielen Klavier, erkennen Musikstücke und komponieren. Menschlich macht sie das noch lange nicht.

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Die vielfach geäußerte Befürchtung, dass wir auf eine sterile Maschinenwelt zusteuern, ist auch hier nicht berechtigt. Ein Blick auf den Grenzbereich zwischen Kunst und Wissenschaft. Ein beliebter Zeitvertreib der feinen Gesellschaften des 18. Jahrhunderts waren die sogenannten „musikalischen Würfelspiele“. Dazu benötigte man zwei Würfel und eine Zahlentabelle. Der gewürfelten Augenzahl entsprach eine bestimmte Zahl in der Tabelle. Und dieser wiederum ein kleines Stück Melodie, das auf einem separaten Notenblatt vornotiert war. Durch mehrmaliges Würfeln ließen sich auf diese Weise Takt für Takt einfache Musikstücke wie Walzer oder Menuette zusammenbasteln. Auch von Mozart ist ein solches Spiel überliefert, der dazu schrieb, es biete die Möglichkeit, „Walzer oder Schleifer zu komponieren ohne musikalisch zu sein, noch von der Komposition etwas zu verstehen“.

Intuition, Kreativität, Genie

In ganz ähnlichen Formulierungen preisen heute Softwarehersteller ihre Kompositionstools an. Mit vom Kaufpreis abhängigem Ausstattungsniveau versetzen diese Anwender in die Lage, in wenigen Mausklicks komplett arrangierte Instrumentalstücke zu fabrizieren. Bekannte Beispiele sind „Band in a box“ oder „Ludwig“. Was musikalischen Laien völlig neue Welten eröffnet, entlockt dem geschulten Hörer freilich nur ein Gähnen. Zu bieder und steril klingen die regelgemäß konstruierten Werke. Rätselhaft ist daran nichts. „Im Prinzip lässt sich jedes Musikstück als Abfolge von Zahlen darstellen“, sagt etwa Hannes Raffaseder. Der Komponist und Professor an der FH St. Pölten entwickelt im Rahmen eines geförderten Projekts gerade selbst ein derartiges Programm. Den großen Meistern der Vergangenheit soll es keine Konkurrenz machen. GEMMA (Generative Music for Media Applications), so der Name des künftigen Produkts, versteht sich als Werkzeug zur schnellen Kreation von Medienmusik; also zur Vertonung von Werbeclips, Filmsequenzen oder PC-Spielen. Vom Anwender wird zwar kein tiefes musiktheoretisches Wissen gefordert, die Auswahl, wie das Stück klingen soll, bleibt ihm aber natürlich unbenommen. Tempo, Rhythmik, Takt oder Stil gehören zu den parametrierbaren Eingabegrößen. Den „kreativen“ Job erledigen dann allerdings programmierte Algorithmen automatisiert.

Auf der Tatsache, dass sich viele Aspekte von Musik mittels mathematischer Verfahren beschreiben lassen, beruht der weltweit wachsende Forschungsbereich des Sound and Music Computing. Getrieben von technischen und informatischen Erfolgen, kommt der heiklen Frage, wo die grundsätzlichen Grenzen der Algorithmisierbarkeit liegen, nur untergeordnete Bedeutung zu. Anders formuliert: wie menschlich die Maschine sein kann, interessiert nicht. Im Falle der Computermusik ist das auch durchaus verständlich. Begriffe wie „Intuition“, „Kreativität“ oder gar „Genie“ tragen einen ehrfurchtgebietenden Nimbus, der eigentlich nur ihre semantische Unschärfe verdeckt. Es fehlt schlicht an einem klaren Kriterium dafür, wann eine Maschine kreativ ist. Schon aus diesem Grund ist die Befürchtung vieler Kritiker an der künstlichen Intelligenz, wonach wir auf eine menschenfreien Maschinenwelt zusteuern, nicht so berechtigt wie ihre Formulierung das nahelegt.

Wenn der Computer Mozart „interpretiert“

Auch der Linzer Wittgensteinpreisträger Gerhard Widmer ist kein Revisionist, der einen besseren Menschen erschaffen möchte. Er ist Informatiker, der immer bessere Programme entwickeln will. Es ist kein Widerspruch, dass einer seiner Forschungsschwerpunkte darin besteht, Computer „mit Gefühl“ musizieren zu lassen. Das Beste an Musik steht nicht in den Noten, hat Gustav Mahler einmal formuliert. Diesem Diktum folgend spielt das Programm YQX aus Widmers Forschungsschmiede klassische Klavierstücke nicht einfach, wie sie am Blatt notiert sind. Es fügt Betonungen, Pausen und dynamische Variationen scheinbar nach Gutdünken ein. Beim japanischen Rencon-Contest 2008 gewann es dafür alle drei vergebenen Preise. Dabei wurden den Teilnehmern zwei eigens für die Veranstaltung komponierte Musikstücke vorgelegt – eines im Stil Chopins und eines im Stil Mozarts. Nach einer Stunde Vorbereitungszeit musste das Programm die Stücke auf einem E-Flügel interpretieren. Zweifellos beachtlich, doch wie Widmer selbst einräumt, hört jedes einigermaßen musikversierte Publikum den Unterschied zu einem Pianisten aus Fleisch und Blut.

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