Psyche, psychische Gesundheit, Traum, Fantasie, Seele - © Bild: Markus Ladstaetter; KI Midjourney, pro mente

Joachim Bauer über Digitalisierung: „Das neue ‚Opium des Volkes‘“

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Werden heute immer mehr Menschen zu „Realitätsflüchtlingen“? Joachim Bauer über die Suchtwirkung des Digitalen, Handy-Regeln für Kinder und die drohende Verblödung durch ChatGPT.

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Werden heute immer mehr Menschen zu „Realitätsflüchtlingen“? Joachim Bauer über die Suchtwirkung des Digitalen, Handy-Regeln für Kinder und die drohende Verblödung durch ChatGPT.

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Die seelische Gesundheit und ihre wissenschaftlichen Grundlagen sind das Feld, das Joachim Bauer mit zahlreichen Sachbüchern beackert – und einer breiten Öffentlichkeit fundiert vermittelt. Sein jüngstes Buch ist zum Manifest geworden: In „Realitätsverlust“ (Heyne, 2023) widmet sich der Arzt und Psychotherapeut den Schattenseiten der Digitalisierung und warnt vor einem „Rückfall hinter die Aufklärung“, ja einer „Bedrohung der Menschlichkeit“. Auch sein Vortrag bei der diesjährigen Fachtagung von Pro Mente Wien am 11. Jänner steht im Zeichen dieses Themas: „Werden Künstliche Intelligenz und virtuelle Welten den Mitmenschen ersetzen? Was folgt aus dem Ausstieg aus der analogen Realität?“ DIE FURCHE bat Bauer im Vorfeld der Tagung zum Gespräch.

DIE FURCHE: Sie diagnostizieren einen Realitätsverlust, der durch die Verlagerung unseres Lebens in die digitalen Welten entsteht: „Die vordergründige Freundlichkeit, mit der dies geschieht, macht daraus einen hypnotischen, der bewussten Wahrnehmung entzogenen Prozess.“ Woran erkennen Sie die Anzeichen dieser Entwicklung?

Joachim Bauer: Dass Menschen sich gegenseitig immer weniger direkt begegnen und Zeit füreinander nehmen, stattdessen ständig an Bildschirmen kleben. Wie oft lässt sich beobachten, dass kleine Kinder, die Kontakt zu einer begleitenden Bezugsperson suchen, diese nicht erhalten, weil die Erwachsenen mit dem Handy zugange sind. So lernen schon die ganz Kleinen: Das wahre Leben findet nicht im analogen „Hier und Jetzt“, sondern in der digitalen Welt statt.

DIE FURCHE: Der Begriff „Entfremdung“ bekommt heute also eine neue Bedeutung …

Bauer: Millionen Menschen sind viele Stunden am Tag in den sozialen Medien oder in Videospielen unterwegs. Der analoge Kontakt zu Familien und Freunden ist oft auf das Notwendigste reduziert: kein Zusammensein beim gemeinsamen Spielen am Tisch, beim Sport oder Musizieren. Auch für Begegnungen mit der Natur bleibt keine Zeit mehr. Das ist übrigens einer der Gründe für die erstaunliche Gleichgültigkeit gegenüber dem Klimawandel. Wenn es nach der Digitalindustrie geht, sollen wir bald einen großen Teil unseres Lebens in einer komplett künstlichen Welt, dem sogenannten Metaversum, verbringen. Diese „Ent-Persönlichung“ des gesamten Lebens macht sogar vor den Kirchen nicht halt. Die Evangelische Kirche, der ich angehöre, hat auf dem Nürnberger Kirchentag 2023 die Predigt beim Gottesdienst durch Künstliche Intelligenz halten lassen – aus meiner Sicht ein Tanz ums Goldene Kalb ...

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