Kirche und KI: Dieses Bild zeigt ein mit KI generiertes Kirchenfenster - © Foto: KI Bild: Rainer Messerklinger / DALL·E / Prompt: HD photo of stained church windows with female symbols

KI und Religion: Glauben zwischen Null und Eins

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Lässt sich Künstliche Intelligenz auch in Gottesdiensten einsetzen – etwa zur Vorbereitung auf Predigten? Gewiss. Als Zeugen persönlichen Glaubens und des göttlichen Wortes können Menschen aber durch keine KI und keinen Avatar ersetzt werden. Eine Einordnung.

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Lässt sich Künstliche Intelligenz auch in Gottesdiensten einsetzen – etwa zur Vorbereitung auf Predigten? Gewiss. Als Zeugen persönlichen Glaubens und des göttlichen Wortes können Menschen aber durch keine KI und keinen Avatar ersetzt werden. Eine Einordnung.

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Chancen und Gefahren von Künstlicher Intelligenz (KI) sind derzeit allgegenwärtig. Die Diskussionen kreisen meist um ethische und politische Fragen zur Kontrolle und Regulierung digitaler Technik. Debattiert wird aber auch über die Auswirkungen von KI auf Religion und religiöse Kommunikation. Auf dem Evangelischen Kirchentag im Nürnberg, der im Juni dieses Jahres stattfand, wurde erstmals ein von ChatGTP verfasster Gottesdienst durchgeführt. Das Urteil über dieses Experiment fiel geteilt aus. Neben praktischen und ethischen Fragen stellt sich die Grundsatzfrage, was überhaupt unter Glauben und Glaubenskommunikation im digitalen Zeitalter zu verstehen ist. Anders gefragt: Was hat das alles mit Gott zu tun?

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Die theoretischen Grundlagen des digitalen Zeitalters reichen in die frühe Aufklärung zurück. Es war der Universalgelehrte, Philosoph und Mathematiker Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716), der das duale oder binäre Zahlensystem entwickelte, mit dessen Hilfe sich Arithmetik und Logik verknüpfen lassen. Der duale Code von 0 und 1 ist die Basis aller Computertechnik und der digitalen Welt des World Wide Web. Bei Leibniz hat der Zahlencode eine religiöse Dimension. Die Eins steht für Gott, die Null für das Nichts. Wie die Eins mit Hilfe der Null in fortlaufenden Kombinationen (10 = 2, 11 = 3, 100 = 4 usw.) die Welt der Zahlen und der mathematischen Operationen generiert, so erschafft Gott die Welt aus dem Nichts. Die Gedanken Gottes sind mathematisch, und das duale Zahlensystem liefert den Schlüssel zu Gottes Schöpfungsgedanken.

Wenn Gott und Mensch verschwinden

Im digitalen Zeitalter scheint Gott allerdings aus der Welt der Algorithmen ins Nichts verschwunden zu sein, wie der Psychiater und Philosoph Thomas Fuchs notiert. Das Zeitalter der Digitalisierung ist ein Epoche etsi Deus non daretur; es sei denn, man überträgt die Macht, die einst Gott und seit der Aufklärung dem Menschen zugesprochen wurde, nun auf die allgegenwärtigen und scheinbar allmächtigen Algorithmen, wie es der israelische Historiker Yuval Noah Harari tut.

Zusammen mit Gott scheint auch das menschliche Subjekt aus der digitalisierten Welt zu verschwinden. Einerseits wird darüber diskutiert, ob KI-Systemen, wenn sie eine hinreichende Komplexität erreicht haben, die sogar Emotionen und Empathiefähigkeit hervorbringen könnte, der Status von Subjekten oder Personen zuerkannt werden müsste. Andererseits führt die Deutung des Menschen nach dem Muster informationsverarbeitender Maschinen dazu, dass sich ein gehaltvoller Begriff von Person- und Subjektsein auflöst, weil die Bedeutung der Leiblichkeit für das Menschsein völlig verkannt wird.

Entscheidend ist letztlich die Frage, ob Glauben und das Evangelium als Grund des Glaubens authentisch bezeugt oder nur simuliert werden.

Unsere Vernunft oder Intelligenz ist inkarnierte, verkörperte Vernunft, wie der französischen Philosoph Maurice Merleau-Ponty gesagt hat. Sie ist von unserem Körper gar nicht ablösbar. Der Mensch ist keine Maschine und sein Gehirn kein Computer. Programme von künstlicher Intelligenz sind keine denkenden Personen – und Personen keine Programme der Informationsverarbeitung. Computer stellen und beantworten keine Sinnfragen. Sie verstehen sie gar nicht, mag ChatGPT auch auf clevere Fragen verblüffende Antworten geben. Insofern liegt schon dem Begriff „Künstliche Intelligenz“ ein Missverständnis dessen, was Intelligenz ihrem Wesen nach ist, zugrunde.

Bezogen auf unsere Körperlichkeit ist unsere Zeit von einer eigentümlichen Paradoxie gekennzeichnet. Einerseits erleben wir in allen Lebensbereichen einen ungeahnten Körperkult, bei dem die eigene Identität ganz auf die Körperlichkeit, das äußere Erscheinungsbild wie das körperliche Wohlbefinden, reduziert wird. Andererseits aber sind wir, wenn es um Künstliche Intelligenz und virtuelle Welten geht, „Zeugen einer erstaunlichen Entmaterialisierung“ (Thomas Fuchs). Weder sind wir körperlose Intelligenz noch auf unsere Körperlichkeit beschränkt. Das eine wie das andere ist eine Gestalt der Entfremdung.

Maurice Merleau-Ponty (1908–1961) und andere Philosophen aus der Tradition der Phänomenologie sprechen von inkarnierter Vernunft. Sie scheuen sich dabei nicht, einen dezidiert theologischen Topos zu gebrauchen, nämlich den christlichen Gedanken der Inkarnation aus dem Prolog des Johannesevangeliums. Schon Johann Georg Hamann (1730– 1788) wandte gegen den Purismus eines abstrakten Vernunftbegriffs ein, man erkenne in ihm „einen gnostischen Hass gegen Materie und eine mystische Liebe zur Form“ und zugleich eine „gewalttätige, unbefugte eigensinnige Scheidung desjenigen, was die Natur zusammengefügt hat“.

Hier müssen wir ansetzen, wenn wir uns den Herausforderungen der Digitalisierung und der sogenannten Künstlichen Intelligenz für Theologie und Kirche theologisch stellen wollen. Gewiss lassen sich digitale Kommunikationsformen auch für die Kommunikation des Evangeliums einsetzen. Weshalb sollte man nicht auf ein Medium wir ChatGPT bei der Predigtvorbereitung zurückgreifen, solange der Prediger oder die Predigerin noch die Verantwortung für den Inhalt trägt, der auf der Kanzel vorgetragen wird? Entscheidend ist aber die Frage, ob Glauben und das Evangelium als Grund des Glaubens authentisch bezeugt oder nur simuliert werden. Es gehört zu den paradoxen Signaturen der Gegenwart, dass die Simulation von Subjektivität die Hochschätzung von Authentizität (Charles Taylor) und Singularitäten (Andreas Reckwitz) unterläuft. Glaube, so lautet eine gelungene Formulierung Eberhard Jüngels, die auch Gerhard Ebeling verwendet hat, ist Erfahrung mit der Erfahrung. Rechenprogramme machen keine Erfahrungen und schon gar nicht Erfahrungen mit Erfahrungen. Sie können sie bestenfalls simulieren.

Genügt am Ende die perfekte Simulation, um einen Gottesdienst feiern zu können, wie auf dem Kirchentag in Nürnberg geschehen? Lässt sich der Prediger, die Predigerin als Zeuge des Glaubens und des Evangeliums durch einen Avatar ersetzen, der nicht als Person aus Fleisch und Blut für das einsteht, was er sagt? Macht es einen Unterschied, ob man einem Rundfunk-oder Fernsehgottesdienst anschaut, der möglicherweise zeitversetzt gesendet wird, ob man einen digitalen Gottesdienst im Internet mitfeiert oder ob man in Präsenz einem Gottesdienst beiwohnt, der von einem Avatar geleitet wird?

Vom Wert der Leiblichkeit

Die reformatorische Tradition rechnet mit der Selbstmächtigkeit des göttlichen Wortes, die nicht an die Würdigkeit der Person dessen gebunden ist, der es bezeugt und verkündigt. Das Verstehen als Akt der Rezeption und somit der Glaube, der aus solchem Hören oder Lesen und Verstehen hervorgeht, kann durch unterschiedliche Medien geweckt werden. Es ist letztlich ein geistliches Geschehen, das auf das Wirken des Heiligen Geistes zurückgeführt wird. Der vernehmende Glaube selbst aber lässt sich nicht simulieren, wie auch niemand im Glauben, nämlich darin, Gott über alle Dinge zu fürchten, zu lieben und zu vertrauen, durch einen anderen ersetzt werden kann. Als Zeugen persönlichen Glaubens und des göttlichen Wortes, die Rede und Antwort stehen, können Personen durch keine KI und keinen Avatar ersetzt werden. Letztlich ist Glaube ein ganzheitlicher Lebensakt, der sich wie unser endliches, leibliches Leben nicht simulieren lässt.

Im kritischen Umgang mit digitalen Medien und Künstlicher Intelligenz kommt es darauf an, einer neuen Platonisierung des Christentums gegenzusteuern. Eben darum gehört zum Glauben die Hoffnung auf die leibliche Auferstehung, mag auch wie bei Paulus an einen nicht näher beschriebenen geistlichen Auferstehungsleib gedacht sein. Der Digitalisierung zum Trotz bleibt die Einsicht Friedrich Christoph Oetingers (1702–1782) gültig, dass Leiblichkeit das Ende der Werke Gottes ist.

Der Autor ist Ordinarius für Systematische Theologie (Reformierte Theologie) an der Evang.-Theol. Fakultät der Uni Wien.

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