Schönheitsoperation, Smartphone - © Foto: iStock/DragonImages

Fastenzeit und Autonomie: Wie gestalten wir uns selbst?

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Die vorösterliche Fastenzeit kann ein guter Anlass sein, zu reflektieren, woran wir uns ausrichten: vom Körperideal in den sozialen Medien bis zur Abhängigkeit von Smartphones. Ein Essay.

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Die vorösterliche Fastenzeit kann ein guter Anlass sein, zu reflektieren, woran wir uns ausrichten: vom Körperideal in den sozialen Medien bis zur Abhängigkeit von Smartphones. Ein Essay.

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Der Trainingsanzug ist hell und modisch. Stylische Sneakers. Tempo am Laufband: gleichmäßig – ausholende Schritte. Gute Figur, blondes gewelltes Haar. Was irritiert mich bloß? Ihr Gesicht – aber wie jung ist sie? Ihre Hände. Zeigen Altersflecken. Sind alt. Sie ist alt. Die Irritation weicht der Erkenntnis, dass meine Nachbarin im Fitness-Studio einen sehr guten kosmetischen Chirurgen hatte, der ihr ein Gesicht verpasst hat, das den Normen der Hochglanzmagazine entspricht.

Den eigenen Körper zu gestalten, ist ein wichtiges Bedürfnis, nicht nur für ältere Damen. Andere, meist junge Männer, schuften dafür an Hanteln oder Barren und futtern nach Plan Eiweißpräparate; junge Frauen überlegen Kosmetik-OPs oder drastische Diäten. Etwa die Hälfte aller Jugendlichen zwischen 11 und 17 Jahren sind laut einer vor Kurzem veröffentlichten Studie von Saferinternet mit ihrem Körper nicht zufrieden, ein Viertel überlegt einen kosmetischen Eingriff. Der Grund: die Vergleiche mit den geschönten Körpern der Web-Plattformen. Unter dem Eindruck der dort präsentierten virtuellen Körper verliert sich das Gefühl für die Qualität des eigenen, realen Körpers. Jugendliche verwenden für ihre Fotos im Netz Filter und optische Tricks, um sich auf diese Weise virtuell selbst nach den normativen Vorstellung der Web-Ideale zu gestalten.

Den Körper formen

Menschen können und müssen sich selbst gestalten, das unterscheidet sie von anderen Lebewesen. Menschen tragen immer schon Kleider, Schmuck, Frisuren, durch die sie ihren Status oder auch ihre Gesinnung ausdrücken. Tätowierungen etwa waren lange Zeit hierzulande in den besseren Schichten verpönt, in Polynesien dagegen zeigten Tatoos den Status und die Herkunft an. Kinder lernen, wie sie sich verhalten, sprechen und sich bewegen sollen, sie lernen bei uns in der Schule stillzusitzen, in anderen Gesellschaften lernen Kinder, sich geräuschlos durch den Dschungel zu bewegen, usw. Menschen formen ihren Körper, aber auch ihr Verhalten und ihr Verlangen nach bestimmten Vorgaben und Vorstellungen. Selbstgestaltung und Selbstkultivierung sind persönliche Projekte, aber auch durch gesellschaftliche Vorstellungen bedingt.

Für den Renaissance-Denker Pico della Mirandola ist der Mensch von Gott als ein „Werk unbestimmter Art“ erschaffen worden. In seiner Rede „Über die Würde des Menschen“(1496) heißt es: „Dir, Adam, habe ich keinen bestimmten Ort, kein eigenes Aussehen und keinen besonderen Vorzug verliehen, damit du den Ort, das Aussehen und die Vorzüge, die du dir wünschest, nach eigenem Beschluss und Ratschlag dir erwirbst. Die begrenzte Natur der anderen ist in Gesetzen enthalten, die ich vorgeschrieben habe. Von keinen Schranken eingeengt sollst du deine eigene Natur selbst bestimmen nach deinem Willen, dessen Macht ich dir überlassen habe.“

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