Egoismus Fasten - © Foto: Markus Spiske / temporausch.com / Pexels

Fasten: Abstand nehmen vom Egoismus

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Durch den bewussten Verzicht auf Essen, Konsum oder Energie gewinnt nicht nur der Einzelne. Über die soziale Dimension des Fastens.

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Durch den bewussten Verzicht auf Essen, Konsum oder Energie gewinnt nicht nur der Einzelne. Über die soziale Dimension des Fastens.

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Fasten bedeutet immer schon Gesellschaftskritik, weil es eine Form ist, auf Distanz zu gehen zum Üblichen, zu den Konventionen und Verpflichtungen. Neben Essen und Trinken gibt es Konsumobjekte, die Menschen ebenfalls in den christlichen Fastenzeiten meiden: Fernsehen, gestresste Tätigkeiten, Vergnügungen, Rauchen etc.

Traditionell kann der Fastende nicht nur Essen, sondern auch bestimmte Tätigkeiten weglassen - etwa schwere Arbeiten, die nicht unbedingt nötig sind. Er hat gleichermaßen ein Recht auf etwas mehr Ruhe, Körperpflege und Wohlbefinden. Fasten ist nicht nur Leiden, sondern auch ein Gewinn. Fasten ist auch das Aufhören, mehrere Dinge zugleich oder Dinge unkonzentriert zu tun (etwa Zeitung lesen, fernsehen und essen). Fasten soll dazu führen, dass wir "gesammelt" werden.

Distanz zum Konsum

Beim Fasten geht es um das "Zuviel" der Konsumwelt. Wenn der Fastende von etwas Abstand nimmt, unterbricht er es, um zum eigentlichen Sinn zurückzufinden. Fasten von Essen, Stress, Reizüberflutung bedeutet auch, diese Reize wieder ernster zu nehmen, ihnen ein verträgliches Maß zu geben - nicht nur Kritik an ihnen. Fasten bedeutet nüchtern werden und Distanz gewinnen zur Welt des Konsums. Konsum ist nicht immer schlecht - nur dann, wenn er anderes überdeckt, wenn er seinen eigentlichen Sinn verfehlt. Fasten ist nicht die prinzipielle Haltung der Verweigerung, sondern ein Innehalten, um den eigentlichen Sinn besser zu treffen.

Fasten ist nicht nur Leiden, sondern auch ein Gewinn.

Mahatma Gandhi ist der große Lehrmeister des politisch eingesetzten Fastens. Seine spektakulärsten Aktionen 1947 und 1948 waren die Befriedung eines Bürgerkrieges in den Millionenstädten Kalkutta und Delhi. Man konnte damals nicht ohne Lebensgefahr die Grenze zwischen moslemischen und hinduistischen Sektoren passieren. Auf Eisenbahnwaggons schob man sich die Leichen durch die Grenze. Gandhi betrat als Hindu die moslemischen Stadtviertel und rief ein Fasten "bis zum Tode" aus, er wäre also bereit gewesen, im Fasten zu sterben, wenn der Terror nicht zu Ende gekommen wäre. Durch sein Fasten erreichte er, dass an dem Bett, auf dem er fastete, Vertreter aller politischen Parteien und religiösen Gemeinschaften bis zu den radikalen fundamentalistischen Bewegungen Friedensverträge unterschrieben und auch einhielten.

Soziale "Läuterung"

Hinduismus, Islam, Buddhismus, Judentum und Christentum haben eine unabhängige Tradition des Fastens, die miteinander verwandt ist. Sie hat den Beigeschmack der sozialen "Läuterung" und ist meist mit einer Abgabe an die Armen verbunden. Ähnlich verknüpft die Erfindung des "Familienfasttages" in Österreich eine Einsparung im Konsum mit einer Abgabe für Bedürftige. Distanz zum Konsum, Fasten vom übertriebenen, übermäßigen Gebrauch von Gütern kann uns dazu führen, über die Verteilung der Güter weltweit nachzudenken und uns auf Gerechtigkeit für alle Menschen zu besinnen. Der Fastende muss also nicht bei einer individuellen Spende, einem Almosen stehen bleiben. Er kann entdecken, dass ungerechte Gesetze, Strukturen, Hass und Vorurteile geändert werden müssen.

Fasten kann nützlich sein um zu erkennen, dass wir unterschiedliche Menschen einander letztlich doch brauchen.

Als 2001 der Advent - ursprünglich die zweite christliche Fastenzeit - mit dem Ramadan zusammenfiel, rief Papst Johannes Paul den Abschlussfeiertag des Ramadan zu einem weltweiten Fastentag für alle Religionen aus, was auf große Zustimmung bei Moslems stieß. Zweck dieses Fastens war die Besinnung auf den Krieg, der in Antwort auf die Terroranschläge in Nordamerika ausgebrochen war - vor allem die Kriegshandlungen in Afghanistan. Fasten als ein Zurücktreten vom Krieg, der dazu dient, gemeinsame Sicherheit zu verteidigen: Sicherheit vor Terrorismus, Sicherheit unseres reichen Lebensstils. Fasten von zuviel "Sicherheitspolitik" gemeinsam in unterschiedlichen Religionen drückt aus, Respekt voreinander einzunehmen. Denn übertriebenes Sicherheitsstreben gefährdet das Leben der anderen.

Die westliche Gesellschaft hat auch dringend ein Fasten nötig im Hinblick auf ihren Energieverbrauch. Die Vereinbarungen der Weltklimakonferenz von Toronto 1988 sahen vor, bis 2003 15 Prozent der Treibhausgase zu reduzieren. Sie sind aber um 20 Prozent gestiegen! Die Konferenz von Kyoto hat dieses Ziel stark nach oben korrigiert: Man wollte viel weniger verzichten, weil einige Staaten nicht bereit waren. Inzwischen ist deutlich geworden: Weder die USA noch die EU sind bereit, auch nur die völlig unzureichenden Verpflichtungen von Kyoto zu erfüllen. Energiefasten bedeutet freilich nicht Reduktion auf ein Armutsniveau. Es bedeutet zurückgehen auf einen vernünftigen Umgang mit Energie; Verantwortung zu übernehmen, dass unser Konsum die Erde nicht zerstört.

Solidarität mit Osteuropa

Fasten in Europa bedeutet auch, über die EU und ihre Erweiterung nachzudenken. Es geht nicht an, die Europareife nur an den Stabilitätskriterien der Währung zu messen, während der Sozialstaat abgebaut und arme Menschen "ausgesteuert" werden. Im Gegenteil müssen wir lernen, das sozialpolitische Teilen auf Osteuropa und auf andere ärmere Gegenden der Welt auszuweiten. Fasten kann nützlich sein um zu erkennen, dass wir unterschiedliche Menschen einander letztlich doch brauchen. Das bedeutet ein Fasten vom Egoismus der Reichen, von der Illusion, dass der Markt alleine alle sozialen Probleme lösen kann und dass es die rechtlichen Regulierungen nicht braucht. Dieses Fasten befreit von der Illusion, dass eine Generation sich von der anderen oder ein Erdteil sich von den anderen Erdteilen abkoppeln kann. Wir sind ein Teil des Ganzen.

Der Autor ist Leiter des Sozialreferats der Diözese Linz.

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