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Die österliche Bußzeit als Ernstfall unseres Selbstverständnisses.

Die Fastenzeit eignet sich wie vielleicht keine andere Phase im Kirchenjahr, um den "Grundwasserspiegel" christlicher Religiosität zu messen: Sie hat nichts zu bieten, es gibt nichts zu feiern. Jahreszeitlich im Grau zwischen Spätwinter und Noch-nicht-Frühling angesiedelt, hält sie keine benefits wie freie Tage, "Stimmung", Geschenke bereit. Stattdessen fordert sie und mutet Verzicht zu - einzig mit dem Versprechen, dass Reduktion Rückführung auf das Wesentliche bedeute.

Das ist schwierig zu vermitteln in einer Überflussgesellschaft, die bei jedem Aufwand sofort nach Entschädigung ruft, in der jede Leistung "gegenfinanziert" werden muss. Gerade deswegen aber wird in diesen kargen Wochen eher sichtbar, wie es um das christliche Substrat bestellt ist, als in Zeiten, da Glanz, Brauchtum, Konsum, Geschäftigkeit, Urlaub und dergleichen mehr vieles überlagern.

"Heilige Zeiten" haben immer säkulare Wurzeln oder Anknüpfungspunkte und demgemäß auch profane Botschaften. Sie erschließen sich auch dem Nichtreligiösen, wenngleich sie für den Gläubigen erst von ihrem religiösen Hintergrund her im Vollsinn zur Geltung kommen: Frieden, Gerechtigkeit, Überwindung von Leid und Not, Hoffnung sind solche Inhalte. Bei der Fastenzeit verhält es sich anders, klaffen religiöser Kern und gesellschaftliche Rezeption weiter auseinander. Wohl gibt es auch hier "weltliche" Entsprechungen in den diversen Entschlackungs- und Wellnessprogrammen. Aber ihr Versprechen ist ein nicht einmal quasireligiöses: Wohlbefinden und Fitness.

Man kann natürlich auch diesem Kult ums Ich eine "religiöse" Dimension zusprechen, aber es fehlt hier jedenfalls ein wesentliches Element: die Rückbindung (religio) an andere (die bei Religion im eigentlichen Sinn natürlich immer in einer letzten, transzendenten Rückbindung gründet). Eher also haben wir es hier nicht mit einer profanen Ausdünnung religiöser Inhalte (wie bei Frieden etc.) zu tun, sondern mit einer Pervertierung. Wie so oft, führt die verräterische Sprache von Werbung und Marketing auf die richtige Spur: Ob Fasten Sünde sein könne, fragt ein TV-Spot eines großen Molkereikonzerns, der eine einschlägige Produktlinie bewirbt; und die Bezeichnung eines Joghurtdrinks aus dieser Serie bringt es perfekt auf den Punkt: "fasten satt + fit".

Die jüdisch-christlich geprägte Tradition des Fastens hat demgegenüber eine eindeutig soziale Dimension, auch im Islam ist dieses Wissen aufgehoben. Der etymologische Ursprung des Wortes hat mit "fest" zu tun: Es geht um ein Fest-Stehen, Sich-Fest-Machen - das aber dem Menschen nie alleine, für sich gelingen kann. Im gleichlautenden englischen Wort fasten (festmachen), bekannt etwa von der Aufforderung im Flugzeug "Fasten seat belts" (bitte anschnallen), wird das besonders deutlich. Nur, dass uns das Fasten - im Unterschied zum Anschnallen - paradoxerweise ein Mehr an Bewegungsfreiheit, auch im Zugehen auf den anderen, verheißt.

In der an Brisanz gewinnenden Auseinandersetzung und Begegnung mit dem Islam, in dem der Fastenmonat Ramadan eine wichtige Rolle spielt, könnte die christliche oder christlich geprägte Mehrheitsbevölkerung unserer Gesellschaften wieder ein vertieftes Verständnis der eigenen Fastentradition gewinnen. Es wäre verbunden mit der Einsicht, dass der Mensch nichts ständig "auf's Ganze" (totum) gehen kann, ohne in seinen Ansprüchen, seinem Geltungsbedürfnis, seinem Streben nach Maximierung seiner Lebenschancen totalitär zu werden; dass Selbstbeschränkung, das (freiwillige) Ziehen von Grenzen dem Ich erst Konturen verleiht.

Vielleicht gilt für die Fastenzeit in besonderer Weise, was auch sonst immer deutlicher wird: Im viel beschworenen interreligiösen und interkulturellen Gespräch wird es ganz entscheidend darauf ankommen, ob die Mehrheitsbevölkerung der westlichen Länder ihre jüdisch-christlichen Wurzeln freizulegen bereit und imstande ist. Das gilt nicht nur für 150-prozentige Gläubige, sondern durchaus auch in einem allgemein kulturellen Sinn, den man als "Kulturchristentum" bezeichnen kann, aber nicht vorschnell verunglimpfen sollte.

rudolf.mitloehner@furche.at

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