Das Fest der Nüchternheit

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Gedanken rund um Ostern.

Ostern - das ist Verkehr und Wetter: Wieviele Tote mehr oder weniger als im Vorjahr (das hat das Fest mit Pfingsten gemeinsam)? Und: Wird es endlich frühlingshaft? Ansonsten nicht viel: Keine emotionale Aufladung wie zu Weihnachten, keine Klagen über Kitsch und Kommerz, die Schattenseiten der Konsumwelt, überzogene Erwartungen und programmierte Desillusionierungen, über Familienkrachs und Einsamkeit - oder auch Erklärungen, warum das alles doch so schlimm nicht ist.

Zwar sind aus den Schoko-Bischöfen und -Teufeln mehr oder weniger niedliche Hasen, die eigentlich wie Kaninchen ausschauen, geworden, und die zart umhüllten köstlichen Füllungen des Christbaumbehangs gibt es jetzt in Form von Eiern - aber sonst ist dieses Fest zu Frühlingsbeginn doch so ganz anders als jenes "mitten im kalten Winter", wie es in einem Lied heißt.

Große Dramaturgie

Das liegt wohl in den beiden Festen selbst begründet: Ostern ist von einer großen Nüchternheit und Klarheit - wie das ein Fest, bei dem es um die Geburt eines Kindes geht, nie sein kann. Weihnachten dreht sich um ein punktuelles Ereignis, das Geschehen der Heiligen Nacht; der Stefanitag fügt sich nur bedingt inhaltlich dazu. Ostern aber erzählt eine Geschichte, welche die christliche Tradition in eine große Dramaturgie vom Palmsonntag bis zum Ostermontag eingebettet hat: wie nahe Anerkennung, Ruhm, Ehre und Scheitern beieinander liegen, von der Abgründigkeit des Menschen, davon, wozu sie fähig sind, von letzter Einsamkeit und tiefster Hoffnung...

Der vor knapp 20 Jahren verstorbene Theologe Karl Rahner hat einmal den Karsamstag als den unserer irdischen Existenz entsprechenden Tag ausgemacht. In der Tat: Wir sind keine österlichen Menschen, wer wollte das bestreiten - der letzte, befreiende Jubel ist uns verwehrt. Aber jene Art von innerer Unruhe und Verunsicherung, von Skepsis und Zweifel ("Gottferne"), die den Karsamstag kennzeichnet, die ist dem Menschen wesentlich. Freilich haben wir uns in dieser karsamstäglichen Existenz auch ganz behaglich eingerichtet, so will es bisweilen scheinen. - Oder aber warten wir doch im Innersten auf etwas, vielleicht auch nur, weil es einfach "mehr als alles geben muss", wie die evangelische Theologin Dorothee Sölle das einmal formuliert hat?

Ein Kommentator hat sich dieser Tage in einer Glosse über das ach so schick gewordene Fasten mokiert: Kaum jemand, der mit einem auf ein Bier geht, vermerkte er süffisant. Nun ist gewiss, wie bei vielen Trends, manches an diesem Fasten-, Entschlackungs- und Gesundheitsboom verdächtig, weil es halt gar so gut zum Schlankheits-, Flexibilitäts- und Effizienz-Dogma passt. Aber man kann es, ohne dass jemand oder etwas vorschnell religiös vereinnahmt werden soll, auch anders sehen: eben als Ausdruck einer Sehnsucht nach diesem "Mehr als alles", einer vagen Ahnung, dass Reduktion auch ein Zurück-Führen auf Essenzielles, Existenzielles bedeuten könnte. Nochmals: Hier soll nichts vordergründig christlich bemäntelt werden, was sich ganz anders, profan verstehen will. Doch ebenso evident ist, dass es parallel zur Krise institutionalisierter Religiosität Formen "frei vagabundierender" (© P. M. Zulehner) Spiritualität gibt - die behutsam aufzuspüren die Kirchen übrigens gut beraten wären.

Neben dem Karsamstag verdiente auch der Ostermontag mehr Aufmerksamkeit als ihm für gewöhnlich zuteil wird: weil seine Protagonisten, die sogenannten Emmaus-Jünger, uns Heutigen sehr nahe sind: ein wenig ziel- und orientierungslos wirken sie, überfordert mit dem, was rund um sie geschieht; auch hier haben wir es mit einer unbestimmten Sehnsucht ("Brannte uns nicht das Herz...?") zu tun, dem Suchen nach Wegweisung und Halt in turbulenten Zeiten.

Die Illustration auf dieser Seite veranschaulicht ungemein eindrucksvoll, dass das Geschehen der Karwoche als Ganzes erst Ostern ausmacht: Der Gekreuzigte ist der Auferstehende; christlicher Glaube bleibt weder beim Karfreitag stehen, noch lässt sich dieser überspringen oder ausblenden. Genauso wie die Figur des Südtiroler Bildhauers finden wir uns selbst vor: nackt, hilflos - und doch uns streckend, versuchend, die Arme auszubreiten und zu öffnen.

Vorgriff auf die Zukunft

Der lichtdurchflutete Ostersonntag selbst ist in der Perspektive des Glaubens ein Vorgriff auf die Zukunft, ein Überschuss an Hoffnung als Angebot für gelingendes Leben. So sehr diese Hoffnung durch die Jahrhunderte bis heute Menschen beflügelt hat, so sehr wurde sie - individuell wie kollektiv - triumphalistisch missverstanden. Diese Gefahr ist auch heute noch nicht ganz gebannt, doch hat die aus geschichtlichen Erfahrungen gewonnene Einsicht in die Bedrohtheit und Fragilität des Humanen auch neuer, menschengerechterer Bescheidenheit den Weg bereitet.

Auf dieser Basis haben Christen im Lauf der Jahre und Jahrzehnte wieder gelernt, Ostern zu feiern - nüchterner und ehrlicher, unabhängig von Verkehr und Wetter.

rudolf.mitloehner@furche.at

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