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Pfingsten, orientierungsloses Fest

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Unsere Kirche feiert verschiedene Feste, welche zum Herzen dringen, darunter drei sogenannte hohe; aber während Weihnachten durch den heiligen Nikolaus, Maria Empfängnis und die Adventszeit, Ostern dagegen durch Aschermittwoch, Fastenzeit und Karwoche entsprechend angekündigt, vorbereitet und gewissermaßen eingeläutet werden, ist Pfingsten ohne jeden klerikalen Countdown ganz plötzlich einfach da, und wenn man nicht gut aufpaßt und sich beeilt, ist vor einem schon die ganze Autobahn verstopft.

Während Weihnachten und Ostern die ganz großen und ganz argen Ereignisse eines Menschenlebens, Geburt und Tod behandeln, spielt Jesus Christus in Pfingsten gar nicht persönlich mit, hat sich sozusagen auf die Produzentenebene zurückgezogen; es fehlt ein bühnenwirksamer Hauptdarsteller, mit dem man sich identifizieren oder den man so richtig anschwärmen kann, und der spirituelle Normalverbraucher weiß oft gar nicht so recht, worum es eigentlich genau geht.

Genau geht es eigentlich nämlich darum, daß den verzagten und von der Osterliturgie völlig erschöpften und ausgelaugten Aposteln nach einer fünfzigtägigen Durststrecke der Geist Gottes kam, was sie daran erkannten, daß Zungen wie von Feuer angeblich über ihren Köpfen schwebten. Mit einer zeitgemäßen Floskel könnte man sagen, ihnen ist ein Licht aufgegangen oder: Es hat gefunkt. Solchermaßen mit dem Heiligen Geist erfüllt fingen die Apostel laut Apostelgeschichte an, in anderen Sprachen zu predigen und vollbrachten das sogenannte Mundartenwunder. Rein inhaltlich hatten die Apostel in ihren Predigten natürlich nicht mehr viel Neues zu bieten, die Message selbst war nicht mehr sensationell, mit einem zeitgemäßen Schlagwort könnte man von einer Konserve sprechen.

Pfingsten ist also im Grund das Fest der Simultanübersetzungen, das Fest des Motivationsschubs und das Fest des Sölf-Managements der Apostel, ein psychosoziales, gruppentherapeutisches, sprachwissenschaftliches oder interlinguistisches und im weitesten Sinn das intellektuelle unter den christlichen Festen, das Fest des Geistes, im Vergleich mit so üppigen und spektakulären Festivitäten wie Weihnachten und Ostern also doch eine eher magere Angelegenheit. Außerdem fehlt es an manifesten zeremoniellen Ingredienzien an allen Ecken und Enden, und seien sie bloß symbolisch gemeint. Da ist das Bühnenbild jeder profanen Promotion opulenter. Keine Krippe, kein Christbaum, keine Kekse, kein Tannenzweig mit Duftkerze, keine Palmbu-schen, keine Ausstellungsgräber, keine Krapfen, keine Eier, kein Schin-keneine Selchwürste, keine Gali-onsfiguren wie Christkind oder Osterhase, kein Weihrauchgeruch und keine Fackelzüge, das Fernsehen bringt keine Papstübertragung aus Rom, und sogar die Kinder gehen leer aus, für die Wirtschaft natürlich Jahr für r Jahr ein enormer Flop. Und während zu Weihnachten und Ostern immer wieder mahnende Moralisten auftreten und eindringlich appellieren, man solle doch bei all dem Konsumrausch, bei den kostbaren Geschenken und den Delikatessen den eigentlichen Sinnhintergrund des Festes nicht vergessen und übrigens auch an die Dritte Welt und an all jene denken, denen es nicht so gut geht wie uns, hat sich noch kein Prediger gefunden, der appelliert hätte, den Sinnhintergrund des Pfingstfestes nicht verwahrlosen zu lassen, und der zu Pfingsten eine Pfingstscheinheiligkeit und Pfingst-verlogenheit festgestellt hätte. Da fehlt es ganz einfach am Marketing. Nicht einmal die Christen rennen mit Feuerzeugen herum. Vielleicht wäre es günstig, ein paar Universitäten als Co-Veranstalter zu engagieren.

Gerade weil aber Pfingsten als Fest des Geistes das unterschätzte, anonyme, öde und orientierungslose Fest ist und niemand genau sagen kann, wie man sich abgesehen von der routinemäßigen Befolgung der Gebote Gottes anläßlich Pfingsten konkret zu verhalten hat und was zu tun ist, ist Pfingsten mitsamt seinem dramatischen Brauchtumsdefizit mit Abstand mein Lieblingsfest, und ich versuche immer auch, ein bißchen was für die Einkleidung des Geistes zu tun, der drei Feiertage lang brachliegt. Während ich das kitschige Weih-nachtskartenverschicken und Oster-kartenverschicken an die Verwandten aus Prinzip boykottiere, verschicke ich an alle Geistesmenschen, die ich kenne, jedes Jahr selbstgebastelte Pfingstkarten (serienmäßig werden die ja nicht erzeugt) mit allen lieben Pfingstgrüßen, aber noch nie ist eine beantwortet worden. Es gibt auch weniger Geistesmenschen als Menschen, die sich Geistesmenschen nennen. Und auch in der Öffentlichkeit, im Postamt, im Supermarkt und am Bankschalter im wesentlichen, wünscht man mir stets bloß unverbindlich Schöne Feiertage, worauf ich trotzig Frohe Pfingsten und ein erfolgreiches neues Kirchenjahr entgegne.

Wer wie ich um ein konturiertes Pfingstimage bemüht ist, der darf nicht leicht zum Verzweifeln und Resignieren neigen. Das einzig wirklich einschlägig bekannte Kompositum zu Pfingsten ist das Wort Pfingstreise-verkehr, und alle Jahre wieder im Sinn einer gewachsenen Tradition kommt nur der Fernsehbericht am Ende der Feiertage mit der Message, daß dieser heurige Pfmgstreiseverkehr wiederum mehr Todesopfer und mehr Schwerstverletzte gefordert hat als der letztjährige Pfingstreisever-kehr, im Vorjahr acht Verkehrstote auf Österreichs Straßen, heuer bereits vierzehn, dabei scheiden die Vorjahrsverkehrstoten für heuer von vornherein aus, ganz am Schluß ist meistens von einer sogenannten traurigen Bilanz die Rede. Man kann also am Geist durchaus auch zugrunde gehen. Diese Steigerung der Pfingstreiseverkehrstodesopfer kommt als gewissermaßen fester Bestandteil der Liturgie wie das Amen im Gebet. Das Kuratorium für Verkehrssicherheit predigt in allen Sprachen, und es richtet im großen und ganzen auch genauso viel aus wie die Apostel.

Ein paar Philologen assoziieren zu Pfingsten wohl noch die Gelage von König Artus und das „liebliche Fest" Goethes im Schönwetterfall, aber das Adjektiv „lieblich" ist schon eine Verdünnung und Verwässerung des Adjektivs „lieb", und im Vergleich mit Weihnachten und Ostern ist Pfingsten auch literarisch noch eher schlecht durchackert und aufgeforstet. Alle meine Verleger, die sich zu jeder Weihnachtsanthologie und selbst zu jeder Vorweihnachtsanthologie fromm bekennen, zeigen mir, wenn ich ihnen wieder einmal mit meiner Idee von der Pfingstantholo-gie komme, kalkulatorisch den Vogel.

Wie mich bezüglich Weihnachten immer am meisten die Stefanitage und bezüglich Ostern am meisten die Ostermontage faszinieren, so geht mir natürlich auch zu Pfingsten nichts über den Pfingstmontag, den rätselhaftesten Feiertag des rätselhaftesten Hochfestes. Wenn man sich nach der Mythologie der Pfingstmontage erkundigt, bringt man auch den hartgesottensten Christen in Argumentationsnotstand, und selbst die Apostelgeschichte schweigt sich aus. Selig die, die am Pfingstmontag erwachen und bereits in aller Herrgottsfrüh sofort wissen, was das bedeutet. Zum Pfingstmontag ist nicht einmal Goethe etwa Zitierbares ausgekommen. Aber so ist die Welt: Wir feiern und wissen eigentlich nicht warum, und deshalb feiern wir gleich weiter. Und ganz am Ende, wie gesagt, die traurige Bilanz.

Ich erwähne all diese Dinge, weil ich gerade an zwei Essays arbeite, „Verhaltensmaßregeln für den Pfingstmontag" und „Lob des Pfingstmontags", bitte bei dieser Gelegenheit um zweckdienliche Hinweise aus der Bevölkerung und gelobe, nicht eher zu ruhen, als bis ich wenigstens einen Redakteur aufgetrieben habe, dem meine beiden Elaborate solche Overhead-Feuerzungen verursachen, daß er sie umgehend setzen läßt und publiziert.

Alles Irre unterwegs ljflj Unmögliche Geschichten von Rei-sSJl senden und Daheimbleibern. Von eh Egyd Gstättner, Amalthea Verlag, Wien 1997, 221 Seiten, öS 218,-

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