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Wahrscheinlich am 1. August beginnt 2011 für die Muslime der Fastenmonat Ramadan - zwischen Fasten, Feiern, Frömmigkeit und Politik.

Vor ein paar Tagen hat mich mein zwölfjähriger Sohn gefragt: "Warum fasten wir Muslime eigentlich, was bringt das, wenn jemand den ganzen Tag nicht isst und nicht trinkt, was hat Gott davon? Warum will er das von uns?“

Die einfachste Antwort auf solche Fragen ist, dass man damit den Anordnungen Gottes folgt. Und wer gehorcht kommt ins Paradies. Das Endziel des Fastens sei also die Belohnung mit dem Paradies.

Diese Antwort überzeugt jedoch nicht und widerspricht dem Koran. Denn dort heißt es in Sure 2,183: "Euch ist vorgeschrieben zu fasten, so wie es auch denjenigen, die vor euch lebten, vorgeschrieben worden ist, damit ihr fromm werdet.“ Es heißt nicht: "damit ihr Gott gehorcht“ oder "damit ihr ins Paradies kommt“. Es geht also um das "fromm Werden“ (arab. taqwa).

Prophet Mohammed sagte: "Seid einander nicht neidisch, streitet nicht, hasst euch nicht, wendet euch nicht voneinander ab, betrügt einander nicht, seid alle wie Geschwister, der Mensch ist dem anderen Menschen ein Bruder, er ist nie ungerecht zu ihm, er macht ihn nie nieder und lässt ihn nie im Stich. Frömmigkeit ist doch hier.“ Dabei zeigte er aufs Herz und wiederholte den letzten Satz drei Mal.

Frömmigkeit ist gelebte Tugend

Frömmigkeit ist also kein theoretisches Konzept, sondern eine gelebte Tugend. Genau hier liegt ein Ziel des Fastens. Was hat jedoch das Nichtessen und Nichttrinken mit Frömmigkeit zu tun? Sich des Essens und Trinkens zu enthalten ist nicht das Ziel des Fastens, es geht nicht um eine Diät oder um eine körperliche Übung, sondern darum, für einige Stunden von seinen körperlichen Bedürfnissen wegzukommen, damit Raum geschaffen wird für das Reflektieren anderer Werte. Es geht darum, eine Reise in sich zu machen, um sich selbst, seine Charaktereigenschaften, seine Handlungen und seinen Werdegang kritisch zu reflektieren. Es geht also um eine Abrechnung mit sich selbst, um neue Vorsätze zu fassen und neu zu beginnen. Mit anderen Worten: Es geht um die Vervollkommnung des Menschen. Diese Vollkommenheit ist ein paradiesischer Zustand, den der Mensch auf Erden erlangen kann und soll. Die muslimischen Mystiker sprechen vom Zustand der Begegnung mit Gott. Das Fasten ist eine Hilfestellung zur Erlangung dieses Zustandes. Das Hintanstellen körperlicher materieller Bedürfnisse soll andere Aspekte und Werte im Leben ins Bewusstsein rufen. Damit lässt Gott den Menschen nicht im Stich. Er hat den Menschen aus seiner Barmherzigkeit erschaffen und will, dass dieser in Freiheit vollkommen wird. Natürlich hätte Gott den Menschen gleich vollkommen erschaffen können, er wollte jedoch dieses Geschöpf würdigen: Vollkommenheit soll eine freiwillige Entscheidung sein und ein Zustand, den der Mensch durch den eigenen Willen erlangt.

Indem Gott den Menschen erschuf, machte er den ersten Schritt auf ihn zu. Er erschuf den Menschen aus seiner Barmherzigkeit und machte damit dem Menschen schon durch den Schöpfungsakt eine Liebeserklärung. Nun gibt es zwei Möglichkeiten, mit Gott in einen Dialog zu treten und ihm auf seine Liebeserklärung eine Antwort zu geben. Die erste durch die Liebe und Barmherzigkeit zu seiner Schöpfung. So antwortete Mohammed, als jemand ihn fragte, wo Gott sei, nicht indem er auf den Himmel oder auf den Koran zeigte, sondern indem er auf einen armen Menschen zeigte und dabei sagte: "Geh zu dem armen Mann, dort findest du Gott.“ Und die zweite Möglichkeit besteht durch die Kommunikation mit Gott im Gebet, aber auch im Fasten. Dort hat man die Möglichkeit, sich vom Alltagsleben zurückzuziehen und sich intensiver Gott zuzuwenden, mit ihm zu reden, sich bei ihm für seine Liebe und Fürsorge zu bedanken und ihn zu lobpreisen.

Das Fasten ist somit nicht nur eine Möglichkeit der Vervollkommnung des Menschen, sondern auch die des Dialogs mit Gott.

In den meisten islamischen Ländern wird heute die Fastenzeit als Anlass zu feiern genutzt. Spezielle Speisen werden nur im Ramadan aufwendig vorbereitet. TV-Sender produzieren für Ramadan Spezialprogramme und konkurrieren stark miteinander, um die Menschen, die bis spät in der Nacht wach bleiben, zu locken.

Rauschende Feste statt Einkehr

Ich stehe dieser Deutung der Fastenzeit skeptisch gegenüber. Denn dadurch geht die ursprüngliche Intention des Fastens, die Erlangung von Frömmigkeit, verloren. Das Fasten wird zu einem Warten auf den Sonnenuntergang, um schließlich die Feierlichkeiten zu begehen. Nicht selten wird der Tag zur Nacht und die Nacht zum Tag gemacht. Und so wird oft am Tag geschlafen und die Nacht "durchgefeiert“. Das Fasten wird dadurch ausgehöhlt. An die Stelle des kritischen Reflektierens über sich und sein Leben kommt ein verschwenderischer Lebensstil, der den Menschen trotz Fastens, bzw. in diesem Fall gerade wegen dieser Form des Fastens, nur von sich selbst und von Gott entfernt.

Der diesjährige Ramadan ist für viele Menschen in der arabischen Welt anders. Er ist der erste Ramadan unter nicht diktatorischen Regimen. Von Demokratien kann man jedoch noch nicht reden. Viele Menschen spüren noch keine Veränderungen und sind noch frustriert. In Libyen droht die NATO mit weiteren Angriffen im Ramadan, in Syrien gehen die Proteste und Demonstrationen weiter und in Ägypten und Tunesien beginnt man sich auf die bevorstehenden Wahlen vorzubereiten. Dennoch darf der Ramadan nicht als politischer Anlass genutzt werden, um Wahlkämpfe im Namen des Islam zu starten und somit eine weitere Aushöhlung des Fastens zu betreiben.

Das Besondere am Ramadan 2011

Die zurzeit von Al Azhar in Kairo, der wichtigsten religiösen Institution in der islamischen Welt, ausgehenden Signale für eine Trennung zwischen Staat und Religion müssen ernst genommen werden.

Heuer findet das Fasten im August statt, im heißesten Monat des Jahres, wo die Sonne erst gegen 21 Uhr untergeht. Und da häufen sich Fragen nach Sonderregelungen, gerade für Sportler/innen, für junge Menschen und für diejenigen, die körperlich anstrengende Berufe haben. Es gibt viele innerislamische Diskussionen dazu, grundsätzlich gilt aber: Der Körper darf nicht durch das Fasten zu Schaden kommen.

In einer modernen, aber sehr schnell gewordenen Welt braucht der Mensch, vielleicht mehr als je zuvor, solche Anlässe, um auf die Bremse zu treten, um in sich zu gehen und andere Werte im Leben wiederzuentdecken. Werte wie ehrenamtliche Arbeit, Nächstenliebe, aber auch Familie geraten immer mehr in den Hintergrund. Vielleicht trägt ein richtig verstandenes Fasten, ob islamisch oder christlich, dazu bei, diese wieder in den Vordergrund zu rücken.

* Der Autor ist Prof. f. Islam. Religionspädagogik an der Uni Münster

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