Menschen - wie Zähne eines Kammes geschaffen

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Wer oder was ist ein Muslim? Ein Muslim ist jemand, der an den einen Gott glaubt, der alles erschaffen hat und an Muhammad, seinen Propheten. Wer das glaubt, ist eigentlich schon Muslim. Islam kennt nur eine vertikale Beziehung zwischen Mensch und Gott. Es gibt keine religiösen Personen wie Priester, die uns lehren, was die Religion ist. Die Religion "erlernt" man in der Familie.

Ich bin in Kairo geboren und in einer sehr religiösen Familie aufgewachsen. Mein Vater war Anwalt für internationales Recht, meine Mutter Universitätsprofessorin für Dolmetsch. Von meinen Eltern habe ich das über den Islam erfahren, was mir heute noch wesentlich erscheint. Ich möchte an einigen Beispielen aufzeigen, was ich damit meine.

Ich kann mich nicht erinnern, dass ich als Kind je am frühen Morgen aufgewacht wäre, ohne meinen Vater beim Morgengebet zu sehen. Das Gebet in der Dämmerung des Tages ist das erste von fünf Gebeten, die ein Muslim an jedem Tag beten soll. Das Morgengebet dauert etwa fünf Minuten - es ist etwas kürzer als die anderen Gebete - anschließend sind noch einige Zeilen aus dem Koran zu lesen. Für einen gläubigen Muslim ist es ein besonderes spirituelles Erlebnis, Gottes Wort in der absoluten Stille dieser Tageszeit zu vernehmen.

Als Kind bin ich dann manchmal aufgestanden und habe gemeinsam mit meinem Vater gebetet. Ich meine, dass ich hier meine erste Lektion über den Islam gelernt habe: und zwar, dass der Islam als Religion, als Lehre und in seiner praktischen Realisierung völlig frei gewählt sein muss und nicht aufgezwungen werden darf. Die Religion bleibt im letzten immer eine Sache zwischen Gott und dem Einzelnen. Denn wer als Gott sieht mich um diese Zeit beten?

Es ist die Pflicht eines jeden Muslims seinen Kindern die Lehre des Islam einsichtig zu machen, dies soll aber ohne Zwang und Druck geschehen. Zum Glück war mein Vater ein sehr gutes Vorbild - in vielen anderen Fällen aber ist genau das Gegenteil der Fall, die Religion wird hier als reine Pflichterfüllung aufgefasst, die religiösen Gebote werden nur aufgrund der angedrohten (diesseitigen oder jenseitigen) Strafen erfüllt.

Meine Eltern haben niemals Alkohol getrunken, obwohl ihnen oft auf Empfängen oder Partys Alkohol serviert wurde. Ich habe als Kind beobachtet, dass sie stets sehr diplomatisch abgelehnt haben, und ihre Ablehnung ist eigentlich immer respektiert worden. Wenn ich heute dagegen Muslims sehe, die Geschäfte, in denen Spirituosen verkauft werden, niederbrennen oder Leute, die Alkohol trinken, verprügeln, dann hat das nichts mehr mit Islam zu tun. Denn Islam lehrt, die Sichtweise Andersdenkender zu respektieren, selbst wenn sie mit meiner eigenen Position völlig konträr ist.

Ich selbst kam bereits sehr früh in Kontakt mit andersgläubigen Menschen, da ich eine katholische Schule in Kairo besucht habe. Alle unsere Lehrer waren katholische Priester. Die Mehrheit der Schüler waren Christen. Wir hatten aber unseren eigenen Religionsunterricht und mussten hierfür immer das Klassenzimmer verlassen und einen eigenen Raum aufsuchen. Das war für mich selbstverständlich, ich hatte auch gar nicht den Eindruck, dass ich einer Minderheit angehörte, die von den anderen ausgelacht oder unterdrückt wurde. Meine Lehrer haben in mir einen bleibenden Eindruck hinterlassen, sie waren stets freundlich im Umgang mit uns, hilfsbereit über alle Maßen und sehr offen für alles Fremde. Mir ist damals überhaupt nicht bewusst gewesen, dass ich eigentlich unter Fremden aufwuchs, denn meine islamische Erziehung daheim bei der Familie und die christlich inspirierte in der Schule waren letztlich beide gekennzeichnet von ein und demselben Grundsatz: Toleranz.

Die Lehre des Islam achtet die Christen als Brüder. Das wissen allerdings viele Muslims nicht oder sie wollen es nicht wissen. Ein Beispiel: Als Muslims ist es uns verboten, Fleisch zu essen, dass nicht "halal" ist (das heißt rein, erlaubt). Der Schlächter muss daher beim Akt des Schlachtens den Namen Gottes aussprechen, dann gilt das Fleisch als "halal". Diese strenge Regel, die im Koran grundgelegt ist, kennt allerdings eine einzige Ausnahme: Wer bei Christen zu einem Mahl eingeladen ist, kann das Fleisch auch essen, wenn es nicht "halal" ist. Dieses Gebot hat seine Begründung darin, dass zwischen Christen und Muslimen immer ein gutes Verhältnis herrschen soll, es gilt die Bräuche des anderen zu respektieren.

Ramadan ist für uns Muslims immer ein Monat des Fastens und des Feierns. Zwischen Morgendämmerung und Sonnenuntergang wird nichts gegessen und getrunken. Diese strikte Regel ist nicht dazu da, um die Menschen "leiden" zu lassen, sondern jeder, der genug zum Leben hat, soll wenigstens in dieser Zeit des Fastens selbst an Leib und Seele spüren, was ein armer Mensch, vielleicht jeden Tag erleiden muss. An den Abenden des Fastenmonats ist der Tisch reich gedeckt, auch für die Armen ist in dieser Zeit gesorgt. In Kairo sind zahlreiche Tische im Freien aufgestellt, wo jeder essen und trinken kann soviel er will, ohne dafür zu bezahlen. In den meisten Familien gibt es auch Bekannte, die sehr arm sind, und die speziell von den wohlhabenderen Familien versorgt werden.

Alle Menschen: gleich

Fetar, so nennt sich das Festessen im Ramadan (vergleichbar mit dem Weihnachtsabend), wird gewöhnlich im engsten Familienkreis gefeiert. Meine Eltern, meine Schwester und ich haben diesen Tag bei der besten Freundin meiner Mutter gefeiert - einer Christin! Als meine Mutter einmal ernstlich krank war, wurde ihr von den Ärzten verboten, zu fasten. Sie wollte aber nicht darauf hören, sondern weiterhin fasten. Mein Vater hat mit ihr lange darüber diskutiert. Schließlich meinte er: Glaubst du wirklich, dass Gott etwas davon hat, wenn du dir deine Gesundheit ruinierst? Glaubst du, dass dies Gott möchte? Kranke sind von den Fastenregeln ausgenommen! Islam sieht aber für diesen Fall folgendes vor: Was du in dieser Zeit selber genießt, genau das gib weiter an die Armen. Wenn du also fastest und deine Gesundheit zerstörst, dann raubst du damit den armen Leuten ihre Nahrung, die Gott ihnen zugeteilt hat. Dieses Argument hat damals meine Mutter überzeugt, sie fastete nicht mehr, versorgte aber arme Leute auf der Straße mit den feinsten und besten Speisen.

Ein sehr wichtiges Ereignis im Leben eines Muslims ist die die Hadsch nach Mekka. Mehr als vier Millionen Menschen sind über eine Woche lang in den heiligen Stätten in und um Mekka versammelt, um zu beten und zu meditieren. Die Männer tragen alle das gleiche Gewand, zwei weiße ungesäumte Tücher, das Haar ist kurz geschoren. Den Frauen ist es in Mekka verboten, ihr Gesicht und ihre Hände zu bedecken. Wenn du betest, weißt du von deinem "Nachbarn" nicht, ob er ein König ist oder ein armer Mann, der vielleicht sein ganzes Leben lang für diese Reise gespart hat. Der Prophet Muhammad tat den Ausspruch, dass Gott die Menschen wie die Zähne eines Kammes geschaffen hat, alle gleich. Und das ist auch mein Glaube als Muslim.

Der Autor ist Dozent für Anästhesiologie in Graz.

Glaubensquellen

Primäre Glaubensquelle der Muslime ist der Koran, das heilige Buch, das nach ihrem Glauben Gott dem Propheten Muhammad offenbarte. Der Koran hat für Muslime in Glaubens-, Lebens- und Sittenfragen absolute Autorität. Ein Muslim versucht, das heilige Buch in laut vorgetragener Rezitation zu verstehen. Zweite Quelle, deren Autorität unter der des Koran steht, ist die Sunna, der Glaubensweg Muhammads, der in Erzählungen (Hadiths) überliefert ist. Sind Glaubens- und Rechtsfragen nicht direkt aus Koran oder Sunna zu klären, versucht ein Muslim das Problem anhand analoger Fälle in Koran und Sunna zu lösen. Solch ein Qiyas (Analogieschluss) gilt im Allgemeinen aber nicht als unumstößliche Wahrheit. Theoretisch müssen alle Schriftgelehrten der Welt eine theologische Frage übereinstimmend beurteilen (Idschma), damit diese Entscheidung als unfehlbar gilt. ofri

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