"Ich liebe dich" und Punkt

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Auch wenn es in Rom um die katholische Lehre und Pastoral geht, ist der Blick auf andere religiöse Realitäten sinnvoll: Was sagt der Islam zu Ehe, Familie, Sexualität?

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Auch wenn es in Rom um die katholische Lehre und Pastoral geht, ist der Blick auf andere religiöse Realitäten sinnvoll: Was sagt der Islam zu Ehe, Familie, Sexualität?

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Im Islam gilt die Familie als ein Wert an sich. Sie wird in keiner Weise lediglich als funktionaler Bestandteil der Gesellschaft bzw. des Lebens des Einzelnen gesehen, vielmehr ist Familie der nächste Ort, an dem sich die bedingungslose Liebe entfalten kann. Daher erhob der Prophet Mohammed den Umgang innerhalb der Familie zum obersten Kriterium von Religiosität: "Die besseren Menschen sind die, die besser zu ihren Partnern sind". Bedingungslose Liebe soll sich zwischen den Ehepartnern, aber auch zwischen den Eltern und Kindern entfalten.

Ehe und Scheidung im Islam

Wenn zwei Menschen heiraten wollen, dann beschreibt die islamische Lehre zwei Bestandteile des Ehevertrages: Einerseits die Zustimmung der beiden Personen und andererseits die Bezeugung der Zustimmung durch mindestens zwei Zeugen. Diese Regelungen dienten zur Entstehungszeit des Islams im siebten Jahrhundert vor allem der Bewahrung der materiellen und nicht materiellen Rechte der beiden Ehepartner. Daher argumentieren einige muslimische Gelehrte heute, dass eine standesamtliche Heirat reichen würde, um die Ehe zu schließen. Auf eine religiöse Heirat könne ruhig verzichtet werden. Sie sehen eben im Ehevertrag einen juristischen Vertrag, der Rechte und Pflichten beider Vertragsparteien regeln soll.

Dies könne man heute standesamtlich genauso gut leisten. Der Koran spricht an dieser Stelle aber eine andere Sprache, denn auch wenn rechtliche Aspekte von den Menschen in optimaler Form geregelt und an den jeweiligen Kontext angepasst werden sollen, geht es dem Koran vielmehr um Liebe und Barmherzigkeit zwischen den Partnern als Grundpfeiler einer Ehe: "Und zu seinen Zeichen gehört es, dass er euch aus euch selber Partner geschaffen hat, damit ihr Frieden bei ihnen findet. Und er hat bewirkt, dass ihr einander in Liebe und Barmherzigkeit zugetan seid. Darin liegen Zeichen für Leute, die nachdenken" (Koran 30:21). Seinem Partner das "Ja"wort vor Gottes Angesicht zu geben, heißt, dass sich die Liebe zwischen zwei Personen unter der "Schirmherrschaft" der göttlichen Liebe entfalten und aus dieser schöpfen soll. Gottes Liebe und Barmherzigkeit sind bedingungslos, das heißt, es geht hier keineswegs um einen Vertrag im Sinne, "Ich liebe dich, wenn ", bzw. "Ich liebe dich, weil ich dies oder jenes von dir brauche", sondern "Ich liebe dich" und Punkt. Wenn Menschen im religiösen Sinne heiraten, gehen sie damit auch einen Bund mit Gott ein. Aus einer vertraglichen Beziehung im juristischen Sinne wird so eine Liebesbeziehung im spirituellen Sinne, in der Gott mit seiner bedingungslosen Liebe ein permanenter Begleiter der beiden Eheleute ist.

Der Islam beschreibt den idealen Zustand einer Partnerschaft in einer innigen Beziehung der Liebe und Barmherzigkeit, sieht allerdings die menschliche Entwicklung sehr nüchtern. Dazu gehört auch, dass sich Partner aus unterschiedlichen Gründen auseinander leben können. Wenn keine Mediation hilft, dann sieht der Islam in der Scheidung die bittere Pille. Der Prophet Mohammed beschrieb die Scheidung als das verpönteste Erlaubte im Islam. Es macht jedoch keinen Sinn, Menschen zu zwingen, ihr Leben in einer Beziehung fortzuführen, die beiden oder einem der beiden Unglück bereitet. Dann ist ein Auseinandergehen in Frieden das letzte Mittel. Allerdings ist die Scheidung im Islam so geregelt, dass für die beiden Personen ausreichend Zeit und Raum bleibt, um die Beziehung in all ihren Höhen und Tiefen in Ruhe zu reflektieren.

Wenn sich beide Partner für die Scheidung entscheiden und dies symbolisch angehen durch das Aussprechen des Scheidungswortes "Wir sind geschieden", tritt die Scheidung erst nach Ablauf von drei Monaten ein. In dieser Frist dürfen beide den gemeinsamen Haushalt nicht verlassen, um Raum zu haben, die Beziehung gemeinsam neu zu strukturieren und zu reflektieren, mit der Hoffnung, sich wieder zu vertragen. Entscheiden sich beide für die Fortführung der Ehe, dann gilt die Scheidung nicht als vollzogen. Erst wenn nach Ablauf der drei Monate beide auf der Scheidung bestehen bleiben, gilt diese als vollzogen. Beiden steht dann nichts im Wege, wieder zu heiraten und nach Glück in einer neuen Beziehung zu suchen.

Sexualität ist im Islam zwar nur innerhalb der Institution Ehe erlaubt, sie gilt aber als Wert für sich. Sexualität dient nicht lediglich dem Zeugen von Kindern, sondern zugleich der Entfaltung sexueller Bedürfnisse. Der Koran geht sogar sehr progressiv und offen damit um, legt den Männern zum Beispiel nahe, den Sexualakt mit einem Vorspiel zu beginnen (Koran 2:223).

Auch der Prophet Mohammed ging offen mit dem Thema um. Er verglich Männer, die über ihre Frauen einfach herfallen mit Tieren und befahl den Männern erst dann mit dem Sexualakt aufzuhören, wenn auch die Frauen befriedigt seien. Daher hat der Islam auch keine Probleme mit Verhütung, auch durch die Pille. Die Menschen sollen ihre Sexualität auf legale Weise innerhalb der Institution Ehe ausleben können. Die spätere eher patriarchalische Theologie, die sich etabliert hat, verdrängt solche Berichte und betont mehr die Sexualität des Mannes und versucht die Sexualität der Frau zu verdrängen. Das unislamische Vergehen an Mädchen durch abscheuliche Praktiken wie Beschneidung ist ein zugespitztes Beispiel dafür.

Keine Unterdrückung der Sexualität

Der Islam verdrängt nicht, dass der Mensch neben spirituellen und geistigen auch körperliche Bedürfnisse hat. Diese gilt es keineswegs zu unterdrücken, sondern lediglich so zu lenken, dass sich der Mensch auf gesunde Weise entfalten kann. Als drei Mystiker zum Propheten Mohammed kamen und meinten, sie würden alle ihre körperlichen Bedürfnisse unterdrücken, um fromm zu leben, verbot ihnen der Prophet dies, denn Frömmigkeit kann idealerweise erreicht werden, wenn Harmonie zwischen Körper, Seele und Geist herrscht. Die Unterdrückung körperlicher Bedürfnisse widerspricht der Natur des Menschen, diese dürfen jedoch nicht den Menschen beherrschen, sondern müssen von ihm so gelenkt werden, dass sie ein gesundes Maß an Entfaltung erreichen. Gerade das muslimische Fasten im Ramadan, in dem die Menschen einen Monat lang etwas von ihren körperlichen Bedürfnissen Abstand nehmen, ist ein guter Anlass, um an ihrer Selbstbeherrschung zu arbeiten und ihre Bedürfnisse bewusst zu lenken lernen.

Die in vielen islamischen Ländern herrschende patriarchalische Mentalität führte in den letzten Jahrzehnten zu mehreren Frauenbewegungen in diesen Ländern. Man erinnere sich vor allem an den jüngsten Beitrag muslimischer Frauen im sogenannten arabischen Frühling. Auch in der islamischen Theologie mischen immer mehr Frauen mit. Namen wie Fatima Mernissi oder Amina Wadud sind inzwischen auch in nicht islamischen Ländern bekannt. Beide stehen in einer Reihe muslimischer Theologinnen, die sich ebenfalls in der Koranexegese stark einbringen. Diese Entwicklungen stehen zwar noch am Anfang und werden von nicht wenigen männlichen Gelehrten zum Teil heftig bekämpft, die Tatsache aber, dass diese ersten Schritte schon geschehen sind, lassen hoffen, dass eine islamische feministische Theologie, die etwas Gleichgewicht innerhalb der Theologie bringen wird, auf dem besten Weg der Etablierung ist.

Der Autor leitet an der Uni Münster das Zentrum für Islamische Theologie

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