Dialog reicht nicht aus

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Führen Muslime und Christen den Dialog nur deswegen, um sich gegenseitig anzuerkennen? Eine muslimische Position vor dem Treffen mit dem Papst in Berlin am 23. September.

Muslimisch-christlicher Dialog wird meist damit begründet, dass der Dialog einen Beitrag zur friedlichen Gestaltung des Zusammenlebens in einer pluralen Gesellschaft leistet. Religiöse Wertvorstellungen sollen dabei mehr oder minder utilitaristisch genutzt werden, um den Frieden in der immer enger werdenden Welt gewähren zu können.

Es ist keine Frage, dass dies ein wichtiger und wünschenswerter Nebeneffekt des Dialogs ist. Die alleinige Begründung in seinem Beitrag zum Frieden reduziert jedoch diesen Dialog, aber auch Religionen auf Funktionalität und Nützlichkeit. Die Anerkennung und die Würdigung des "Anderen“ muss vielmehr als Teil des eigenen religiösen Selbstbewusstseins wahrgenommen werden, als Teil des eigenen Wahrheitsanspruchs. Diese Anerkennung und Würdigung muss also auch dann gewährleistet werden, wenn daraus kein Nutzen für die Gesellschaft erzielt wird. Die Würdigung des "Anderen“ muss als Wert für sich hochgehalten werden.

Erst dann, wenn nicht nur gesellschaftspolitisch, sondern vor allem theologisch argumentiert wird, öffnen sich andere Perspektiven. Sowohl der Koran als auch die Bibel lassen in der Frage nach dem Umgang mit anderen Religionen einen großen Raum für Interpretationen, sodass unterschiedliche, zum Teil sich widersprechende, Positionen abgeleitet werden können. Betrachtet man etwa die koranischen Aussagen über Juden und Christen, stößt man auf keine einheitliche Position: Sie werden das eine Mal gelobt (z.B. Koran: 3:113ff.) und ziehen das andere Mal Kritik auf sich (z.B. 3:70).

Klares Kriterium aus der Innenperspektive

Daher benötigen wir ein klares Kriterium aus der christlichen und islamischen Innenperspektive das als Leitlinie bei der Begegnung mit Menschen aus anderen Kulturen bzw. mit anderen Weltanschauungen dient.

Im Christentum würde man Jesus selbst als Kriterium nennen, denn Jesus gilt nach dem christlichen Selbstverständnis als die Offenbarung Gottes. Der Islam kennt den Begriff der Offenbarung Gottes im Sinne einer Selbstmitteilung nicht. Dennoch ist die Frage gerade im interreligiösen Dialog berechtigt: Hat sich Gott nach islamischem Selbstverständnis offenbart? Viele Muslime würden sagen, Gott hat sich im Koran offenbart. Die Annahme, Gott habe sich nur im Koran offenbart, macht die Offenbarung lediglich zu einem Brief, den Gott an uns Menschen geschrieben hat, in dem er uns mitteilt, er sei barmherzig. Auch wenn es ein Liebesbrief ist, so bleibt es doch nur ein Brief. Die Offenbarung Gottes und seine Barmherzigkeit bedeuten jedoch mehr als nur eine Mitteilung, sie bedeuten, dass diese Barmherzigkeit Gottes für den Menschen zugänglich, also erlebbar und erfahrbar wird, dass Gott erfahrbar wird. Seine Barmherzigkeit hat Gott nicht nur im Wort, im Koran, offenbart, sondern in der Schöpfung selbst. Jeder Akt der Barmherzigkeit in dieser Welt ist eine Manifestation der Offenbarung der Barmherzigkeit Gottes, denn die Barmherzigkeit Gottes umfasst, wie der Koran in Sure 7, Vers 156 betont, alle Dinge.

Folgende Erzählung des Propheten Mohammed erinnert an das Matthäus-Evangelium: "Im Jenseits wird Gott einen Mann fragen: ‚Ich war krank und du hast mich nicht besucht, ich war hungrig und du hast mir nichts zu essen gegeben und ich war durstig und du hast mir nichts zu trinken gegeben‘, der Mann wird daraufhin erstaunt fragen: ‚Aber du bist Gott, wie kannst du krank, durstig, oder hungrig sein?‘, da wird ihm Gott antworten: ‚An jenem Tag war ein Bekannter von dir krank und du hast ihn nicht besucht. Hättest du ihn besucht, hättest du mich dort bei ihm gefunden. An einem Tag war ein Bekannter von dir hungrig und du hast ihm nichts zum Essen gegeben und an einem Tag war ein Bekannter von dir durstig und du hast ihm nichts zum Trinken gegeben.‘“ Dort, wo man eine Hand der Barmherzigkeit und der Güte ausstreckt, dort ist Gott, dort veranlasst man die Offenbarung der Barmherzigkeit Gottes, dort macht man Gott erfahrbar.

Der dialogische Charakter der Offenbarung

Somit erhält die Offenbarung einen dialogischen Charakter, denn der Mensch selbst kann sie hervorrufen und veranlassen, indem er barmherzig und gütig handelt. Dies ist auch der Auftrag an den Menschen. Die Würdigung und Anerkennung des "Anderen“ ist nichts anders als Ausdruck des Glaubens an Gott. Denn der Glaube an Gott bedeutet den Glauben an die Liebe und Barmherzigkeit. Anders ausgedrückt: Wer den "Anderen“ nicht würdigt, wird seinem eigenem Glauben nicht gerecht.

Dieses dialogische Verständnis der Offenbarung, das Liebe und Barmherzigkeit im Hier und Jetzt anstrebt, öffnet sowohl für den Islam als auch für das Christentum weitere Perspektiven. Mohammed sagte, dass das Leben im Jenseits nahe sei, auch Jesus sprach davon, dass das Reich Gottes nahe sei. Das islamische "Paradies“ und das christliche "Reich Gottes“ sind nach diesem dialogischen Verständnis der Offenbarung ein Zustand, der nicht "dort“, sondern hier in uns ist. Der Mensch hat den Auftrag, diesen Zustand zu veranlassen und anderen zu helfen, ebenfalls möglichst viel Liebe und Barmherzigkeit zu erfahren und zu veranlassen. Es geht also nicht um die Überschrift "Christ“ oder "Muslim“, sondern um den Inhalt und dieser ist Gott, also Liebe und Barmherzigkeit. Der christlich-muslimische Dialog darf nicht zu einem egoistischen Selbstgespräch der Religionen werden. Er muss auch seine Früchte in die Gesellschaft tragen. Heute stellen sozialethische Fragen, aber auch Fragen nach Spiritualität und Sinnsuche in der modernen Gesellschaft eine große Herausforderung an beide Religionen dar. Der christlich-islamische Dialog muss Antworten darauf aus unterschiedlichen Perspektiven geben.

Eine gemeinsame Suche nach Antworten

Mir ist klar, dass es im interreligiösen Dialog nicht darum geht, unbedingt auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, bzw. eigene religiöse Grundsätze und Wahrheiten zu relativieren oder sich aneinander anzupassen. Immer wieder wird als Ziel des interreligiösen Dialogs genannt, in der Begegnung die jeweils andere Religion in ihrer Andersartigkeit zu akzeptieren und durch Auseinandersetzung und Austausch zu einem besseren Verständnis zu gelangen. Ich hinterfrage jedoch, ob der Dialog zwischen Islam und Christentum nur diese Ziele verfolgen soll. Müssen wir, Muslime und Christen, einen Dialog inszenieren, um uns gegenseitig zu akzeptieren, anzuerkennen und zu würdigen? Sind wir wirklich auf dieser Stufe stehen geblieben? Vielleicht bin ich zu optimistisch, aber meine Antwort ist ein klares "Nein!“. Denn ich gehe, wie oben ausgeführt, davon aus, dass die Würdigung des "Anderen“ sowohl im Islam als auch im Christentum ein Bestandteil des eigenen Selbstverständnisses ist. Wer dies nicht einsieht, muss sich zuerst mit seiner eigenen Religiosität kritisch auseinandersetzen.

Was wir heute mehr als inszenierte Dialoge brauchen sind ein offener Austausch und gemeinsame Arbeitskreise, in denen gemeinsam nach Antworten gesucht und Strategien entwickelt werden, wie wir aktuelle Herausforderungen, die sich an beide Religionen stellen, bewältigen können.

* Der Autor ist Professor für Islamische Religionspädagogik an der Universität Münster

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