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Zweifellos gibt es einen Konsens ethischer Grundwerte in den Religionen, doch können unterschiedliche Begründungen wieder manches in Frage stellen.

Das "Projekt Weltethos", wie es Hans Küng initiiert hat und auf der Ebene der Weltgemeinschaft durchzuführen sucht, geht von der Voraussetzung aus, dass zwischen den verschiedenen Religionen der Erde wenigstens ein Minimalkonsens über die ethischen Grundwerte besteht. Zweifellos gibt es eine Konvergenz der moralischen Vorstellungen bei den bedeutenden Religionen in der Welt. Es geht darin um die Grundwerte im menschlichen Leben und im Zusammenleben von Menschen und menschlichen Gesellschaften. Diese Konvergenz betrifft folgende Grundwerte: Beziehungen zu einer transzendenten Instanz (Gott, dem Göttlichen) bzw. zu einem transzendenten Ziel, - Respekt des Lebens und damit das Verbot, unberechtigterweise Leben zu töten, - Respekt des Eigentums, - Respekt der Sexualität und der Familie und schließlich Respekt der Wahrheit. Die ethischen Normen, die diese Werte durchsetzen wollen, weisen eine deutliche Ähnlichkeit in den verschiedenen Religionen auf. Um diese ethischen Grundwerte kreist auch in der biblischen Tradition der Dekalog, die Liste der zehn Gebote Gottes, die man im Alten Testament (Exodus 20,1-21) und im Neuen Testament (Lukas 18,20) sowie im Koran (Sure 17,22-39) findet.

Gleichwohl gibt es auf verschiedenen Ebenen gravierende Unterschiede, die da und dort die grundsätzliche Gemeinsamkeit der Normen in ihrer tatsächlichen Verbindlichkeit wieder einschränken oder gar außer Kraft setzen können. Dies soll am Beispiel des Christentums und des Islams verdeutlicht werden.

Auf der Ebene der Begründung ethischer Gebote treten Differenzen auf, die manches in Frage stellen können. Für die Orthodoxie des Islams erkennt man das Gute und das Böse nicht an einer internen Qualität der menschlichen Handlung oder durch Heranziehen einer irgendwie gearteten objektiven, der Vernunft des Menschen einsichtigen Norm, sondern durch die Feststellung des positiven Willens Gottes: Gott setze in seiner unbedingten, nicht hinterfragbaren Freiheit die Normen des Guten fest, welche erkennbar sind an den positiven Bestimmungen des Korans, welche in der Tradition des Propheten Muhammads durch seine Aussprüche und Entscheidungen verdeutlicht und durch die Aussagen der islamischen Rechtstradition konkretisiert werden. Dies führt dazu, die Verbindlichkeit sämtlicher ethischer Normen unter den Vorbehalt der positiv und frei gesetzten Bestimmungen der koranischen Offenbarung und der Tradition des Propheten des Islams, Muhammad, zu stellen.

Dieser Vorbehalt kann nun auf der Ebene der Anwendung ethischer Normen zur Einschränkung der Gültigkeit allgemeiner Aussagen führen. Wenn etwa der Koran sagt, dass Gott den Menschen Ehre erwiesen und Würde verliehen hat (Sure 17,70), dann könnte man darin die Wurzel der Anerkennung der allgemeinen Menschenrechte finden. Beim näheren Hinsehen muss man feststellen, dass die islamische Rechtstradition diese Rechte dort einschränkt, wo Aussagen des Korans selbst und die Überlieferung der Aussprüche Muhammads sie abschwächen oder teilweise zurücknehmen, wie etwa im Falle der Verweigerung der Religionsfreiheit für Muslime, der bisherigen Ablehnung der grundsätzlichen Gleichstellung von Mann und Frau im Rechtsbereich oder auch des Widerstandes gegen die Änderung mancher Bestimmungen des Strafrechtes. So werden nach islamischer Auffassung Gottesrechte behauptet gegenüber den Menschenrechten, wie sie in der säkularen Gesellschaft und inzwischen auch in der christlichen Theologie bejaht werden.

Abgestufte Solidarität

Wenn der Koran bekräftigt, dass alle Menschen durch ihre Abstammung von einem Urpaar eigentlich zusammengehören (Sure 4,1), könnte man erwarten, dass damit auch die universale Solidarität aller Menschen mit allen Menschen zur Folge hat. In der Praxis wird den Muslimen gegenüber den anderen Menschen eine abgestufte Solidarität vorgeschrieben: eine volle Solidarität mit den Glaubensbrüdern und -schwestern, eine Teil-Solidarität mit den Andersgläubigen (wie Juden und Christen) und keine Solidarität mit den Ungläubigen, ausgenommen sind hier die Forderungen der Gerechtigkeit, die ja diktiert, dass jedem - also auch dem Ungläubigen - gegeben wird, was ihm zusteht. In der Definition dessen, was den Ungläubigen zusteht, können aber manche Abstriche gemacht werden.

Wenn wir hier einen Blick werfen auf die Lage in der indischen Tradition - um ein weiteres Beispiel zu geben - stellen wir fest, dass die Grundwerte, die auch in Hinduismus denen anderer Religionen entsprechen, bei ihrer Umsetzung in die Praxis auf Grund kultureller Ausformungen manche Abstriche erleiden. Die traditionelle Orientierung am Kastensystem - wenn auch nur in der Theorie - bedingt nicht die Zusammenfügung der Gesellschaftsgruppen, sondern eine gesellschaftliche Segregation und Entfremdung der Gruppen innerhalb der Gesamtgesellschaft.

Das "Projekt Weltethos" stößt neben den bereits erwähnten Aspekten auch auf weitere Schwierigkeiten. Es stellt sich etwa die Frage, ob man heute einem Weltethos Akzeptanz verschafft durch die ausschließliche Konzentrierung auf religiöse Wurzeln, oder ob man nicht doch die Vorstellungen der säkularen Welt stärker mit berücksichtigen müsste. Weiter lässt sich fragen, ob es sich nicht auch lohnt, ein Weltethos nicht auf der Grundlage der traditionell formulierten Pflichten, sondern auf der Grundlage der heute allgemein anerkannten Grundrechte des Menschen aufzustellen, was ja eine große theoretische und praxisorientierte Anstrengung abverlangt.

Das dritte Problem betrifft die Sprache, die bei der Formulierung der Aussagen des Weltethos gebraucht wird. Wenn man sich sprachlich hauptsächlich an der biblischen Tradition orientiert, riskiert man, Miss-verständnisse bei den nicht-biblischen religiösen Traditionen hervorzurufen. Der kulturelle Hintergrund der jeweiligen religiösen Tradition müsste gebührend beachtet werden, damit der inhaltliche Konsens nicht durch sprachliche Formulierungen gefährdet wird.

Trotz aller berechtigten bzw. weniger berechtigten Kritik soll das "Projekt Weltethos" unbedingt weiterverfolgt werden. Kritische Stimmen zeugen vor allem vom positiven Interesse derer, die sie äußern.

Lohnendes Projekt

Die tragischen Ereignisse des 11. September 2001 haben die Welt in Atem gehalten und einmal mehr die Frage aufgeworfen, ob es Sinn macht, einen Konsens unter den Menschen und den Gemeinschaften zu suchen, oder gar ob dieses Unterfangen überhaupt möglich und je zu realisieren ist. Gleichwohl gibt es heute in der Welt keine Alternative zum Versuch, zwischen den Völkern und Gemeinschaften gegenseitiges Verstehen zu fördern, den offenen und ehrlichen Dialog zu pflegen und so dem Frieden eine Chance zu geben. Dazu trägt das "Projekt Weltethos" trotz aller Rückschläge und Unwägbarkeiten bei.

Der Autor ist em. Professor für Religionswissenschaft in Münster und Übersetzer einer vom Islamischen Weltkongress anerkannten deutschen Übersetzung des Koran

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