Respektloser Gesetzesentwurf

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Scharfe Kritik am neuen Islamgesetz: Wenn der Gesetzesentwurf so beschlossen wird, wie er vorliegt, dann wird ein "Islam österreichischer Prägung" nicht gefördert, sondern begraben.

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Scharfe Kritik am neuen Islamgesetz: Wenn der Gesetzesentwurf so beschlossen wird, wie er vorliegt, dann wird ein "Islam österreichischer Prägung" nicht gefördert, sondern begraben.

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Religionspolitische Debatten sind in Österreich selten. Die Anerkennung der Zeugen Jehovas als Religionsgemeinschaft 2009 oder das Israelitengesetz 2012 haben kaum Anlass zu öffentlichen Diskussionen gegeben. Wenn diese aber aufkommen, wird von Politikern und Religionsvertretern auf das gute Zusammenleben der Religionen in Österreich und seine Grundlage im wertschätzenden und kooperativen Umgang des Staates mit ihnen verwiesen.

Im Unterschied zu anderen Staaten ist der Islam in dieses kooperative Verständnis miteinbezogen. Er ist als Religionsgemeinschaft ebenso wie die christlichen Kirchen oder das Judentum anerkannt. Das war aber weniger politische Entscheidung als der Umstand, dass das Islamgesetz 1912 auch nach dem Untergang der Monarchie in Geltung geblieben ist und "reaktiviert" werden konnte.

Jetzt ist plötzlich alles anders. Die Bundesregierung hat einen Entwurf für ein neues Islamgesetz vorgelegt, der eine religionspolitische Wende darstellen könnte. Die Ungleichbehandlung der Muslime gegenüber Angehörigen anderer Religionen, über die seit einer Woche heftig diskutiert wird, stellt die bislang vertretenen Auffassungen der staatlichen Nicht-Identifikation mit und Gleichbehandlung von Religionen in Frage. Rechtsexperten, die Islamische Glaubensgemeinschaft und betroffene Verbände werden nicht müde zu wiederholen, dass der Entwurf diskriminierend sei. Der Versuch, Organisationsfragen einer Religionsgemeinschaft zu regeln wird damit zumdemokratiepolitischenProblem und macht deutlich, wie schwer sich österreichische Politik mit Pluralismus und Differenzen tut.

Religionsfreiheit missachtet

Mit Gesetzen über die "äußeren Verhältnisse" von Religionsgemeinschaften wird das Menschenrecht auf Religionsfreiheit konkretisiert. Wie jedes Menschenrecht trägt es den Anspruch diskriminierungsfreier Gewährleistung in sich. Wäre dem nicht so, bliebe es bei bloßer Toleranz. Der Religions- und Weltanschauungsfreiheit aber kommt ein besonderer Rang im modernen, religionsneutralen Staat zu. Denn dieser hat sich zu einem fairen Umgang mit religiöser und weltanschaulicher Pluralität verpflichtet. Ein solcher Staat kann eine bestimmte Kultur, Sprache oder Werte fördern. Er darf aber nie Partei für eine Religion ergreifen.

Der Staat trägt die politische Verantwortung dafür, dass die gleiche Freiheit aller möglich wird. Freiheit, in der Menschen in Gemeinschaft Sinn und einen umfassenden Wahrheitsanspruch suchen können. Nur deshalb beansprucht staatliches Recht einen praktischen Geltungsvorrang, der sich unter Umständen auch gegen andere, etwa religiöse Ansprüche durchsetzen muss. Es geht dabei um einen praktischen Vorrang, nicht um eine Höherwertigkeit oder die Einforderung eines Bekenntnisses zur Verfassungsordnung.

Nur für Muslime soll jetzt diese Selbstverständlichkeit in einem eigenen Gesetz festgeschrieben werden. Nur sie werden darin erinnert, sich an geltende Gesetze halten zu müssen, und dass österreichische Gesetze Vorrang gegenüber religiösen Bestimmungen haben. Nicht zu Unrecht fragen sie sich: Warum will man extra für mich eine solche Forderung formulieren? Was für ein Islambild hat unsere Regierung?

Rechte gestalten Beziehungen zwischen Menschen, die in einer Rechtsgemeinschaft zusammenleben. Rechtsnormen und Rechtsansprüche definieren diese Beziehungen. In pluralistischen Gesellschaften, in denen oft nur wenig Überzeugungen geteilt werden, kommt Rechten eine besondere Bedeutung zu. Sie vermitteln Anerkennung, aber sie bewirken auch soziale Kategorisierungen. Daher kommt jenen, die über Definitionsmacht verfügen, eine hohe Verantwortung zu. Ihr Standpunkt bestimmt die Beziehungen zu jenen, die anders scheinen.

Österreichische Identität in Gefahr

Gesetze entfalten Wirkungen, die übers Recht hinausreichen. So, wie das Islamgesetz vorgeschlagen ist, beeinflusst es die Wahrnehmung von Muslimen in Österreich und stellt deren "österreichische" Identität in Frage. Durch den Entwurf zieht sich ein Generalverdacht, der kommuniziert: Der Staat meint, dass ihr Muslime dazu tendiert, illoyal zu sein und Gesetze zu übertreten. Ihr und eure Religion bleiben fremd, müssen besonders geregelt werden. Der Staat sieht euch als potenzielle Gesetzesbrecher, womöglich gar als Terroristen.

Hinter dem Entwurf mögen bestimmte Sorgen stehen. Der demokratische Verfassungsstaat wird nach dem Philosophen Jürgen Habermas seinen Ansprüchen aber erst dann gerecht, wenn auch bei noch so guter Absicht Beurteilungsstandpunkte offen gelegt und begründet werden, wenn sie kritisch hinterfragt werden können, und wenn Lösungen gesucht werden, die alle Betroffenen miteinbeziehen. Freiheit und Gleichheit, demokratische Gestaltung des Zusammenlebens sind auf den gleichen Respekt für alle angewiesen - Respekt, der ohne die Wahrnehmung der sozialen, religiösen und kulturellen Lebenszusammenhänge nicht möglich ist.

Dieser Respekt wird jetzt vor allem jungen Muslimen, die hier aufgewachsen sind, und für die es nicht um Integration sondern um aktive Partizipation geht, verwehrt. Vorverurteilungen in Gesetzen, dem zentralen Instrument der Demokratie, können gerade bei ihnen ein Gefühl von ungerechter Behandlung und Zurückweisung auslösen. Sie können in einer sensiblen Lebensphase das Vertrauen in Demokratie und Rechtsstaat in Frage stellen und damit gerade jenen in die Hände spielen, deren Aktivitäten durch das neue Gesetz zurückgedrängt werden sollen. Was in den letzten Wochen als Anweisung der Unterrichtsministerin, muslimische Schüler besonders zu beobachten, begann, würde damit institutionalisiert. Wenn schon in Schulen muslimischen Schülern mit Misstrauen begegnet, wird "österreichische Prägung" von Beginn an in Frage gestellt.

Staat muss religiös neutral sein

Der Menschenrechtsexperte Heiner Bielefeldt erkennt den Sinn staatlicher Neutralität in religiösen und weltanschaulichen Fragen darin, dass sie die Möglichkeit schafft, die diskriminierenden Konsequenzen bewusster oder nichtbewussterIdentifikationdesStaates mit bestimmten Religionsgemeinschaften aufzudecken. Mit jeder auch subtilen Identifizierung des säkularen Rechtsstaats mit religiöskulturellen (heute auch: wertebezogenen) Traditionen, würde diese kritische Funktion und die Fairness, die sie garantiert, eingeschränkt. Im Ergebnis, so Bielefeldt, würden "fremden" Menschen - im Klartext: muslimischen Minderheiten - Toleranzräume gegeben, aber gleichberechtigte Partizipation würde ihnen streitig gemacht.

Das Islamgesetz und die Anerkennung des Islams samt allen damit verbundenen Rechten ist eine Besonderheit in ganz Europa. Es vermittelt Anerkennung, die im europäischen Vergleich zu einer außergewöhnlich hohen Identifikation junger Muslime als Österreicher geführt hat. Wird der Entwurf in der vorliegenden Form beschlossen, dann wird dieser "Islam österreichischer Prägung" aber nicht gefördert, sondern begraben.

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