Zwischen Generalverdacht und sinnvoller Beobachtung

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Anfang März haben Kanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache die Katze aus dem Sack gelassen, viel mehr als eine Überschrift ist über die geplante "Dokumentationsstelle für politischen Islam" aber noch nicht bekannt. Dabei will die Regierung bereits im Sommer ein entsprechendes Gesetz vorlegen, bevor die Dokumentationsstelle Anfang 2020 die Arbeit aufnahmen soll.

Für grundsätzlich machbar, aber sehr ambitioniert hält diesen Zeitplan Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger von der Universität Wien. "Grundsätzlich ist es legitim und sinnvoll, den politischen Islam strukturiert zu erforschen. Das Um und Auf ist aber qualifiziertes wissenschaftliches Personal, das von der Politik unabhängig arbeiten kann." Kompetente und spezialisierte Wissenschaftler in so kurzer Zeit zu finden, werde eine große Herausforderung.

Als Vorbild für die geplante Stelle nennt die Regierung das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, eine Stiftung, die gemeinsam von Republik, Stadt Wien und einem gleichnamigen Verein getragen wird. Das DÖW, das seit 1963 NS-Verbrechen, Widerstand, aber auch Rechtsextremismus in der Gegenwart dokumentiert und erforscht, reagierte in einer ersten Stellungnahme positiv auf die Regierungspläne. Offen sei aber noch die Frage, wie man Unabhängigkeit gewährleistet, ebenso die Frage der Ausrichtung, ob als Ergänzung zum Verfassungsschutz oder als tatsächliche politikwissenschaftliche und soziologische Forschungsstelle, heißt es in der Stellungnahme von DÖW-Experte Andreas Peham.

Als zweites Vorbild führte die Regierung die 1998 gegründete Bundesstelle für Sektenfragen an, die formal dem Bundeskanzleramt untersteht. Allerdings ist deren Arbeitsweise eine ganz andere als etwa jene des DÖW, sagt Ulrike Schiesser, Psychologin und eine von fünf Mitarbeitern der kleinen Stelle: "Wir sind in erster Linie eine Anlaufstelle für Betroffene und ihre Angehörigen. Für wissenschaftliche Arbeit oder Recherchen im Feld fehlen uns die Ressourcen, wiewohl wir natürlich mitbekommen, welche jeweils aktuellen Problemfelder es im Bereich Sekten, Scharlatanerie und Esoterik gibt." Für gesetzlich anerkannte Religionsgemeinschaften wie eben auch den seit 1912 in Österreich anerkannten Islam ist die Stelle übrigens nicht zuständig.

Unterschiedliche Definitionen

Für grundsätzlich legitim hält die geplante Dokumentationsstelle Gudrun Krämer, Leiterin des Instituts für Islamwissenschaft der Freien Universität Berlin und Verfasserin einer umfassenden "Geschichte des Islam"(2005):"Grundsätzlich ist es sinnvoll, politische Szenen zu beobachten, von denen man befürchtet, dass sie sich verfassungswidrig verhalten und Gewalt propagieren oder gar praktizieren." Problematisch werde es aber, wenn der Begriff "Politischer Islam" überdehnt und der Eindruck erweckt wird, jede Form des Islam sei politisch und bedürfe einer Beobachtung.

Die genaue Differenzierung ist freilich schwierig, ist doch "Politischer Islam" keineswegs ein einheitlich benutzter Begriff. Krämer versteht darunter ein Verständnis von Islam, das diesen als politisches, gesellschaftliches, rechtliches und religiöses System eigener Art versteht, das in Konkurrenz zu anderen Systemen wie dem liberal-aufgeklärten steht. Thomas Schmidinger wiederum definiert ihn in seinem "Handbuch des politischen Islam" (2008) als "Sammelbegriff für alle Bewegungen und Gruppierungen, die den Islam nicht als reine Religion verstehen, sondern ein - wie auch immer im Detail ausgeprägtes - politisches Konzept des Islams verfolgen, den Islam also als Richtschnur politischen Handelns verstehen und eine wie auch immer geartete Islamisierung von Gesellschaft und Politik anstreben."

In der Frage, wie diese Islamisierung erreicht werden soll, gibt es fundamental unterschiedliche Ansätze. So gebe es Männer und Frauen, die einen politischen Islam "von unten" aufbauen wollen und einen Marsch durch die Institutionen anstreben, sagt Krämer: "Ihnen kann man nicht von vornherein vorwerfen, dass sie verfassungsfeindlich seien oder Gewalt propagieren würden." Politischer Islam sei keineswegs automatisch demokratiefeindlich, autoritär und antisemitisch, sagt auch Schmidinger, der die oftmals fließenden Grenzen zwischen Gemäßigten und Extremisten betont.

Gefahr des Generalverdachts

"Der absolute Großteil der Muslime sind vollkommen friedliche Leute. Meine Sorge ist, dass sie unter Generalverdacht gestellt werden, diskriminiert und weiter entfremdet werden", sagt Rudolf Steinberg, emeritierter Rechtswissenschaftler und früherer Präsident der Johann-Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Er hält eine Einrichtung, die sich als Beobachtungsstelle für "politischen Islam" bezeichnet, für verfassungswidrig, weil er eine gesamte Religionsgemeinschaft unter Generalverdacht stellen würde.

"Dass auch muslimische Religionsgemeinschaften oder Verbände politisch tätig werden, um ihre Anliegen etwa in sozialen Fragen zu transportieren, ist vollkommen legitim. Das als politischen Islam abzuqualifizieren ist absurd", sagt Steinberg. Er verweist auf den politischen Katholizismus, der unsere Gesellschaft nach wie vor prägt -mit katholischen Feiertagen, in Form von christlich-sozialen Parteien etc. - und an dem sich niemand stoße. "Wenn es aber um den Islam geht, fällt es den meisten Leuten unglaublich schwer zu differenzieren. Leider machen sich bestimmte Parteien das zunutze, indem sie auf 'den' Islam hauen, um Applaus von einem bestimmten Publikum zu bekommen." Man müsse stattdessen zwischen den friedlichen "Mehrheitsmuslimen" und den Islamisten unterscheiden, die unsere freiheitliche Verfassungsordnung nicht nur ablehnen, sondern oftmals auch bekämpfen. Die Grenzen für politische Aktivitäten von Muslimen wie auch für andere Religionsgemeinschaften ergeben sich aus der Verfassung.

Befürworten würde er deshalb ein Zentrum, das fundamentalistische Strömungen des Islam -insbesondere die stark wachsenden salafistischen Gruppierungen - beobachtet und, unter Einbeziehung der Wissenschaft, auch mit lokalen Einrichtungen, Ämtern und Jugendeinrichtungen zusammenarbeitet. "Dann kann man gefährliche Entwicklungen in den Blick bekommen und präventiv tätig werden."

Beweggründe für Radikalisierung

Vielfach führten aber nicht religiöse Motive zur Radikalisierung, sagt Gudrun Krämer, sondern eine wahrgenommene Ungerechtigkeit und Unterdrückung, gleichgültig ob durch europäischen Kolonialismus, amerikanischen Imperialismus, Zionismus oder auch durch ein Leben in Armut in der Vorstadt. Und ebenso wichtig, so die Islamwissenschaftlerin: das Bedürfnis nach Sinn, Anerkennung, Respekt. Das empfundene Bedürfnis werde mit einem eindeutigen Weltbild, klaren Regeln von Gut und Böse und einem großen, gemeinsamen Ziel vor Augen beantwortet. Radikalisieren könnten sich im Übrigen gerade junge Menschen aus ganz unterschiedlichen sozialen und religiösen Milieus, sagt Krämer: "Keine Gruppe ist hiergegen immun."

Fazit der Experten: Eine Dokumentationsstelle ist sinnvoll, wenn sie unabhängig ist, nicht übers Ziel hinausschießt und tatsächlich wissenschaftliche Forschung betreibt. "Angesichts dessen, was die ÖVP-FPÖ-Regierung bisher zum Thema Islam sowohl propagandistisch als auch legistisch gemacht hat, bin ich allerdings sehr skeptisch", sagt Politikwissenschaftler Schmidinger. Er fürchtet, dass sich die Regierung einen politisch genehmen Stichwortgeber schaffen möchte. Das wäre nicht nur für das gesellschaftliche Klima fatal, sondern auch ein Missbrauch von Wissenschaft. Nun liegt der Ball bei der Regierung, die noch bis zum Sommer Details und einen Gesetzesentwurf zur neuen Stelle vorlegen will.

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