"Den Diskurs entwaffnen"

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Am 25. März hat die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) zu einer Fachtagung ins Wiener Hotel Hilton eingeladen. Grund: die Auseinandersetzung um den "politischen Islam" in der österreichischen Innenpolitik. Es sei "leichtsinnig", wenn Politiker den Vertretern der Islamischen Glaubensgemeinschaft vorwerfen, sie seien "islamistisch", sagte Ümit Vural, Vorsitzender der IGGÖ in seiner Begrüßung. Die Tagung sei ein erster Schritt, eine sachliche Debatte zu initiieren und die Beiträge erscheinen als Buch.

Ein deutliches Signal, dass die Islamische Glaubensgemeinschaft das heiße Thema nicht nur intern diskutieren will, war die Einladung von Erhard Busek, Vizekanzler und Bildungsminister a. D., als Eröffnungsredner. Über den Islam werde zurzeit emotional und mit gefährlicher Irrationalität diskutiert, sagte Busek und empfahl einen "vernünftigen Umgang" mit dieser Religion. Aus der historischen Erfahrung des politischen Katholizismus im Ständestaat ist höchste Vorsicht geboten, wenn die Politik versucht, Glauben, Religion und Religionsgemeinschaft zu instrumentalisieren, sagte Busek. Islam heißt "Hingabe", jedoch könne man "die Hingabe an Gott nicht zum politischen Konzept machen", auch wenn Gläubige -nicht nur Muslime, auch Christen und Juden -aus "Weltverantwortung" in der Gesellschaft handeln und sich dafür gemäß ihrem Glauben im Tod vor Gott verantworten müssen.

Stereotype des Islam in den Medien

"Der politische Islam ist ein Phantom, das nicht existiert", konstatierte John Esposito in seiner Keynote. Esposito, Professor für internationale Beziehungen und Islamwissenschaft an der Georgetown University, stellte fest, dass in den USA in Artikeln über den Islam sehr oft "muslimisch" durch "schwarz" oder "jüdisch" ersetzt werden könne. Stereotype gibt es auch in Cartoons -was früher als "typisch jüdisch" untertitelt wurde, gilt heute als "typisch islamisch", so die Sprachwissenschaftlerin Sabine Schiffer (Institut für Medienverantwortung Berlin). Anhand von Titelbildern deutscher Zeitschriften wie Die Zeit oder Spiegel zeigte sie, wie sich seit 1993 ein Stereotyp des Islam als gewaltbereit, frauenfeindlich, unterdrückerisch und rückschrittlich etabliert hat. Ein Umstand, auf den der Kabarettist Hagen Rether schon 2006 in einem sehenswerten Auftritt im deutschen Fernsehen hingewiesen hat ("Der Islam -im ARD", im Internet).

Dreh-und Angelpunkt der Debatte ist, wie das Verhältnis von Religion und Politik verstanden wird. Religionen sind unvermeidlich politisch, meinte der Regensburger Politologe Oliver Hidalgo, denn sie finden nicht im luftleeren Raum statt, sondern in einer konkreten Gesellschaft, zeitund ortsgebunden. Das jahrhundertelange enge Verhältnis von christlichen Kirchen und Politik wird meist als selbstverständlich hingenommen, so Hidalgo. Die Rolle anderer Religionen dagegen wie z.B. des Islam werde in politischen, gesellschaftlichen Prozessen kritisch gesehen.

Fazit: Religionen sind nicht Privatsache. So vertritt jede Muslima, jeder Muslim als Mitglied der Res publica -der "öffentlichen Angelegenheit" - legitimerweise die eigenen Interessen, konstatierte Rüdiger Lohlker, Professor für Islamwissenschaft an der Universität Wien, und wendet sich etwa gegen Rassismus oder soziale Ungleichheit. Insofern sei Islam immer politisch. Doch zeigt ein Blick in die Geschichte, dass es weder "die islamische Politik" noch "die islamische Herrschaftsform" gibt. Historisch lassen sich für den Islam weder eine "Theokratie" noch "islamische Dynastien" nachweisen, sagte Lohlker. Loblieder wurden auf Herrscher gesungen, aber nicht wegen religiöser Themen. Herrscher mussten gerecht sein, also für ihre Untertanen sorgen.

Dies stammt aber ebenso wie das Prinzip der Beratung (schūrā) aus der Zeit vor dem Islam. Erst als Reaktion auf den europäischen Kolonialismus entwickelten ab Ende des 19. Jahrhunderts kleine Gruppen von Intellektuellen Theorien idealer "islamischer Herrschaft", wonach religiös-moralische Vorstellungen soziale Normen sein sollten. Darüber bestehe heute Diskussionsbedarf.

Doch der Begriff "politischer Islam" ist als Nachfolgebegriff von "Fundamentalismus und "Islamismus" ebenso wie diese als Kategorie unbrauchbar, betonte Lohlker. Menschen muslimischen Glaubens beteiligen sich an der Polis -am Gemeinwesen. Was also soll das Phantom "politischer Islam" sein, dem das Regierungsprogramm von Türkis/Blau einen eigenen Abschnitt widmet?

Gesprächsbedarf auf allen Seiten

Tarafa Baghajati erzählte in einer Wortmeldung, dass ihm aufgrund seines Aufrufs an Muslime, bei den Bundespräsidentenwahlen 2016 wählen zu gehen, Heinz-Christian Strache, damals Opposition, politische Agitation vorwarf. Dass Muslime ihr Recht auf politische Partizipation wahrnehmen, wurde als radikale religiöse Position denunziert. Nadim Mazarweh, Leiter der Deradikalisierungsstelle und Extremismusprävention der IGGÖ, fragte nach, ob vonseiten der Regierung ein "muslimischer Quietismus" gewünscht sei. Die Minarett-Debatten in Telfs und anderswo legen dies nahe -nach historischem Vorbild. Unter dem "Toleranzpatent" 1781 wurden Protestanten toleriert, solange sie als Protestanten unsichtbar blieben, so die evangelische Theologin Susanne Heine. Bedeute Integration also, dass Muslime ihre spirituelle und religiöse Identität aufgeben müssen, fragte Mazarweh. Dass sich muslimische Jugendliche der dritten Generation sehr häufig als von der Gesellschaft zurückgewiesen erleben, sei ernst zu nehmen.

Notwendig ist eine "Entwaffung des Diskurses", so Erhard Busek in seinem Schlusswort. Wie die Beiträge von Podium und Publikum bei der Tagung zeigten, gibt es mehrfachen Diskussions-und Gesprächsbedarf: zur Selbstverständigung innerhalb der islamischen Gemeinden, zur Öffnung der islamischen Gemeinden in Richtung Gesellschaft und zwischen Bundesregierung und islamischer Religionsgemeinschaft. Muslimische Bürgerinnen und Bürger Österreichs, die ihren Glauben sichtbar leben, sind kein Sicherheitsrisiko und "unterwandern" auch nicht die Gesellschaft. Diversität ist eine Stärke.

Deutliches Signal, dass die Islamische Glaubensgemeinschaft das heiße Thema nicht nur intern diskutieren will, war die Einladung von Erhard Busek, Vizekanzler a. D., als Eröffnungsredner.

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