Wenn Religion zur Politik wird

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Seit den 90er Jahren nimmt religiöse Gewalt weltweit zu. Dabei geht es nicht nur um islamistischen Terror. Ein Streifzug durch politische, kulturtheoretische und journalistische Analysen zum Thema.

Was bringt einen (jungen) Menschen dazu, sich selbst mit anderen in die Luft zu sprengen, wie es fast tagtäglich im Nahen und Mittleren Osten geschieht? Was trieb die Attentäter des 11. September? Ein religiöser Auftrag, ein Töten im Namen Gottes - auch sich selbst: Seit den 90er Jahren ist religiös motivierte Gewalt weltweit im Zunehmen begriffen, eine gewalttätige Mesalliance von Religion und Politik macht sich breit - und verbreitet global Angst und Schrecken.

Ein kosmischer Krieg

Der amerikanische Soziologe Mark Juergensmeyer hat in seinem Buch "Terror in Gottes Namen" jahrelang religiösen Attentätern nachgespürt, hat sie getroffen und versucht, ihre Motive zu verstehen: Religion helfe das Morden moralisch zu rechtfertigen, sie biete "Bilder eines kosmischen Krieges, die den Aktivisten vorgaukeln, Bestandteil eines göttlichen Planes zu sein". Dabei will Juergensmeyer keineswegs behaupten, dass Religion Gewalt auslöst, aber: "...die Religion [bietet] ein Reservoir an Regeln und Symbolen, das ein Blutvergießen ermöglicht - selbst katastrophale Terroranschläge."

Juergensmeyer hat Interviews mit religiösen Gewaltbefürwortern bzw. -tätern aus aller Herren Länder geführt, darunter auch mit Prominenten wie dem im März 2004 von der israelischen Armee "gezielt" getöteten Hamas-Führer Scheich Yassin und dessen Nachfolger Rantisi, der kaum einen Monat später auf gleiche Weise zu Tode kam.

Dabei geht es bei weiten nicht nur um islamistischen Terror, der die Welt zur Zeit medial in Atem hält. Es gibt, so Juergensmeyer, keine Religion, die nicht als Rechtfertigung für politische Gewalt dient: Neben El Kaida, Hamas & Co geht er jüdisch-religiösen Extremisten, welche die Palästinenser wegbomben wollen, ebenso nach wie der Aun-Sekte, die 1995 für den Giftgas-Anschlag auf Tokios U-Bahnverantwortlich war, oder militanten Sikhs in Indien.

Das Christentum bleibt nicht ausgespart: In Nordirland begegnet Juergensmeyer Gewalttätern auf beiden Seiten, und in den USA beschreibt er das Konglomerat fundamentalistischer Gewalt-Christen von Abtreibungsgegnern, die vor Mord an Abtreibungsärzten nicht zurückschrecken, bis zu Timothy McVeigh, der 1995 mit dem Bombenanschlag von Oklahoma City 168 Menschenleben auf dem Gewissen hat (vgl. Bild oben) - der größte Terroranschlag auf dem Boden der USA vor dem 11. September 2001.

Juergensmeyers Landsmann Jon Krakauer hat zu letzerem Thema die beklemmende Reportage "Mord im Auftrag Gottes" verfasst, wo er dem in wahrster Wortbedeutung menschenfressenden Wahnsinn des nordamerikanisch-christlichen Fundamentalismus nachgeht und schildert, wie fundamentalistische Ableger der Mormonen ihr Unwesen treiben.

Januskopf der Religion

Religion und Gewalt sind ein - geschichtlich schon lange - aneinander gekettetes Paar. Der deutsche katholische Kulturphilosoph Hans Maier hat in einem Büchlein dieses "Doppelgesicht des Religiösen" neu analysiert; er zeigt dort auch die kulturtheoretische Diskussion auf, die sich im Gefolge des Ersten Weltkriegs entwickelte - etwa mit dem evangelischen Theologen Rudolf Otto, der das Heilige mit den gegensätzlichen Attributen "tremendum et fascinosum" (Angst einflößend und faszinierend) charakterisierte und so den Januskopf der Religion beschrieb: In der gegenwärtigen Diskussion um die dunkle Macht der Religion hilft diese Auseinandersetzung ebenso wie die aus christlicher Perspektive kommende Theorie der Politischen Religion von Eric Voegelin (siehe unten) oder die liberale Totalitarismus-Kritik von Raymond Arons (1939), nach der totalitäre Systeme insofern "religiös" sind, als sie die "moderne Scheidung der zwei Gewalten Religion und Politik rückgängig zu machen" streben.

Hans Maier will dem Unterfangen, die Totalitarismen auch mit religiösen Kategorien zu beschreiben, wieder Geltung verschaffen: Er zitiert dazu auch die Totalitarismus-Analyse der jüdischen Denkerin Hannah Arendt ("totalitäre Bewegungen arbeiten mit Fiktionen") sowie den katholischen Relgionsphilosophen Romano Guardini, der offenlegte, wie sehr der nationalsozialistischen Rede von Blut, Rasse und Erde eine religiöse Dimension innewohnt.

Heißes Eisen Polit-Islam

Die Auseinandersetzung um Religion und Gewalt ist seit dem 11. September 2001 eine Welt-Diskussion geworden, der sich keine Gesellschaft entziehen kann. Großideologien des 20. Jahrhunderts (Nationalsozialismus, Kommunimus, Faschismus) in Bezug auf Religion zu analysieren, kann dabei hilfreich sein, wenn dann - was Hans Maiers Büchlein vermissen lässt - auch die aktuellen Situationen in den Blick kommen.

Ein Schweizer Sammelband zum Thema "Politische Religion" (auch Hans Maier trägt darin seine Thesen vor) versucht dazu eine Perspektive von der Antike bis in die Gegenwart. Der in Deutschland lehrende Islam-Soziologe Bassam Tibi analysiert dort das heiße Eisen politischer Islam: Tibi geht von der Definition des US-Soziologen David Bell aus, nach der Politische Religion dadurch charakterisiert ist, dass diese einer an sich säkularen Ideologie den Charakter eines Glaubens aufdrückt. Beim politischen Islam ist das, so Tibi, genau umgekehrt: "Eine Religion wird verweltlicht, wenn auch nicht im Sinn von säkularisiert'". Tibi argumentiert, dass der Islamismus, die islamische Spielart Politischer Religion, zwar neu ist, aber nicht außerhalb der Geschichte stehe, wobei der Islamismus aber "viele neue Inhalte fälschlich als historische Tradition" darstelle.

Tibi schließt sich der, schon in einem früheren Buch von Mark Juergensmeyer geäußerten These von einem "Neuen Kalten Krieg" an: Dieser drohe, sollte es nicht gelingen, die säkularen und islamisch-religiösen Zivilisationen in einen Dialog zu bringen. Tibi meint, "dass es zu einem Wettkampf zwischen Staatsordnungen kommen wird. Konkret geht es darum, ob der säkulare Nationalstaat sich gegen die ihn herausfordernden alternativen Ordnungen - so zum Beispiel die Gottesherrschaft des politischen Islam - behaupten wird."

Wertschätzung der Religion

Und Mark Juergensmeyer kommt in seinem wichtigen Buch "Terror in Gottes Namen" zu einer alle Religionen betreffenden Konklusion: "Religiöse Gewalt kann also nur dann enden, ... wenn sich die Religion zur Mäßigung ihrer Leidenschaft verpflichtet, und wenn sie als wichtige Instanz zur Steigerung spiritueller und moralischer Werte im öffentlichen Leben anerkannt wird. Seltsamerweise scheint gerade das Mittel gegen religiöse Gewalt letztlich nur eine neuerliche Wertschätzung der Religion selbst zu sein."

Übrigens: Der Politikwissenschafter Michael Ley kommt im nebenstehenden Furche-Gespräch zu einem ganz ähnlichen Ergebnis.

* Terror im Namen Gottes

Ein Blick hinter die Kulissen des gewalttätigen Fundamentalismus

Von Mark Juergensmeyer. Verlag Herder, Freiburg 2004. 384 Seiten, geb, e 27,70

* Mord im Auftrag Gottes

Eine Reportage über religiösen Fundamentalismus

Von Jon Krakauer. Piper Verlag, München 2003. 448 Seiten, geb., e 23,60

* Das Doppelgesicht des Religiösen

Religion - Gewalt - Politik.

Von Hans Maier. Verlag Herder, Freiburg 2004. 160 Seiten, TB, e 10,20

* Politische Religion - Geschichte und Gegenwart eines Problemfeldes

Hg. von Georg Pfleiderer und Ekkehard W. Stegemann. Theologischer Verlag Zürich, 2004. 356 Seiten, kt., e 30,90

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