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Was ist Fundamentalismus?

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Das Verhältnis von Religion und Politik behandelte vorige Woche ein Symposion in Mürzzu-schlag. Einen Schwerpunkt bildete der Fundamentalismus.

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Das Verhältnis von Religion und Politik behandelte vorige Woche ein Symposion in Mürzzu-schlag. Einen Schwerpunkt bildete der Fundamentalismus.

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Der Begriff „Fundamentalis-mus” wird heute recht undifferenziert verwendet. Man versteht darunter Radikalismus, reaktionäre Haltungen, Fanatiker. Den einen ist Karl Marx, den anderen der Papst ein Fundamentalist, und die Grünen in Deutschland haben sich in „Fundis” und „Realos” gespalten. Am häufigsten verbindet man den Fundamentalismus mit politischen Entwicklungen im islamisch-arabischen Raum. Seine Geschichte aber erweist ihn als Phänomen christlichprotestantischen Ursprungs.

Vorläufer waren die protestantischen Pilgerväter, die 1608 aus England nach Holland und später nach Amerika emigrierten, um nach ihrem Glauben zu leben, der sich mit der offiziellen Religion ihrer Heimat nicht vereinbaren ließ. Dieser radikale Separatismus war der Anfang des Fundamentalismus. In den USA richtete sich die 1910 gegründete Zeitschrift „Fundamentals” gegen religiösen, politischen und kulturellen Liberalismus, gsgen Ökumene, Synkretismus, ja sogar gegen den Völkerbund.

In der Entfaltung des Fundamen-talismus während des 20. Jahrhunderts spielte das Versagen der politischen Heilsversprechen eine wesentliche Rolle. Angstvoll die bedrohlich erscheinenden Entwicklungen der immer permissiver werdenden Haltungen - und wohl auch der immer weniger verständlichen Entwicklungen in der Wissenschaft - betrachtend, suchte der Mensch Halt im heiligen Ruch, in festen, verständlichen Vorschriften. Der Fundamentalismus unserer Zeit war geboren. Er ist also keine Rückwendung in die Vergangenheit, sondern der Versuch einer neuen Antwort auf die Probleme einer neuen Welt.

Neben der historischen Wurzel gibt es auch eine philologische: Das Wort „Fundament” hängt zusammen mit Festigkeit, Verläßlichkeit, aber auch mit Härte, Verhärtung und Ver-stockung. Die Gefahr der Verhärtung ist schon in der Bibel angesprochen, wo es etwa im 95. Psalm heißt: „Verhärtet eure Herzen nicht”. Von dieser Verhärtung führt ein direkter Weg zum Fundamentalismus, dem Gegenteil der Liebe im Glauben. Aus dem Fundament des Glaubens und der Liebe wird die Fehlentwicklung des Fundamentalismus.

Christlicher, jüdischer und islamischer Fundamen talismus unterscheiden sich in manchem, einige Merkmale sind aber gemeinsam: Da ist zunächst der Widerstand gegen liberale Entwicklungen und den Verfall der Moralität. Was aber „Moral” ist, wird dem jeweiligen heiligen Buch entnommen, ungeachtet der realen Verhältnisse in der Gegenwart. Dieses Buch ist Garant für die Bichtigkeit der Entscheidungen und entlastet somit den Menschen vom Risiko der Eigenverantwortung.

Die Moral wird als Bollwerk gegen das Böse betrachtet, das in jedem Menschen lauert. Schließlich nimmt es so stark zu, daß ein großer Krieg ausbricht, ein letzter Kampf des Guten gegen das Böse. Diese apokalyptische Vision kommt aus der Bibel, erlangte aber in Europa durch den Ma-nichäismus des dritten Jahrhunderts große Bedeutung. Aus Persien nach Born gekommen sah diese Beligion die Welt als Kriegsschauplatz zwischen Licht und Finsternis mit Endsieg des Lichtes, ein einfaches, bipolares Deutungsschema, das dem Bedürfnis des Menschen nach Begreifbarkeit der Welt entgegenkam.

Wesentlich für den Fundamentalismus ist die wörtliche Interpretation des heiligen Buches. Dabei entstehen Spannungen zu wissenschaftlichen Erkenntnissen, wobei die Entscheidung immer gegen die Wissenschaft gefällt wird. Ein Beispiel dafür ist die Evolutionstheorie, die im Fundamentalismus zugunsten der Genesis abgelehnt wird.

Hier besteht auch der wesentliche Unterschied des Christen- und Judentums zum Islam. Der Talmud wurde und wird immer ausgelegt und interpretiert, ebenso wie die Bibel. Der Koran aber ist jeder solchen Untersuchung entzogen.

Seine Brisanz erhält der Fundamentalismus dort, wo er politisch wirksam wird. Im christlichen Europa und Amerika ist dies durch die Trennung zwischen Kirche und Staat kaum von Bedeutung. Im orthodoxen Judentum hat die Rückkehr in das Land der Väter politische Konsequenz.

Am schärfsten tritt das Problem in der Forderung nach einem islamischen Gottesstaat zutage, der notfalls mit radikalen Mitteln erreicht werden muß. Diese politischen Bestrebungen sind immer mit der Gestalt ei - nes charismatischen Führers verbunden, eines Demagogen, der kunstvoll mit den Emotionen seiner Anhänger zu spielen weiß.

Was also ist das Ergebnis der Überlegungen zum Fundamentalismus? Er ist christlichen Ursprungs, versteht sich als Gegenbewegung zum Sittenverfall der Gegenwart, stützt sich auf ein heiliges Buch, das die absolute Wahrheit enthält und nicht interpretiert werden darf. Er bringt charismatische Führer hervor, die immer auch politische Ziele verfolgen. An die Stelle der offiziell gepredigten Menschenliebe tritt der verhärtete Kampf um die absolute Herrschaft der eigenen Ideologie.

Dagegen steht, wie das Symposion in Mürzzuschlag vor Augen führte, das Christentum mit der Aufforderung zur Nächstenliebe, zum Mitleid und seinem Verzicht auf irdische Heilsversprechungen.

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