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Die Seele der Kultur

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Mitten im Zeiteugedröhn verkündet die Kirche nicht bloß das ewige Gesetz, vielmehr ertönt aus ihrer Mjtte auch der volle Klang der menschlichen Stimme, des edlen Wortlauts, der von einem harmonischen Menschenbild ausgeht.

Das war der Sinn des dritten, des pädagogischen Themenkreises der Salzburger Hochschulwochen. Schon das Lebenswerk Univ.-Prof. Dr. Friedrich Schneiders, des tragenden Mannes der Veranstaltung, die auch zu einem großen äußeren Erfolg führte (700 Teilnehmer; Referenten aus sechs Nationen), bürgte für die harmonische Ausriditung der erzieherischen Besinnung. Schneider, der die umfangreichen Bestrebungen, die mit seinem Institut für vergleichende Erziehungswissenschaft verknüpft sind, von Köln n;'ch Salzburg verpflanzt hat, hielt auch selbst die Hauptvorlesung.

Die Pädagogik muß sich immer wieder am Ideal entzünden, besonders in Perioden beruflidier Verdrossenheit oder politisdier Beeinflussung. Audi wird dadurch die Routine verbannt. Die Erziehung ist nichts Geringeres als die Mitwirkung an der Ausbildung göttlicher Urideen. Jeder Mensch trägt einen verborgenen Ruf aus der Ewigkeit in sich. Diesen zu erschließen, die Idee, die in ihm keimt, herauszubilden, ist die königliche Kunst der Erziehung. Der wohlverstandene Individualismus ist christlichen Ursprungs; um so abwegiger war es, daß manche Formen des christlichen Bildungswesens in den letzten Jahrhunderten eine sterile Pädagogik der Bewahrung vertraten und das Persönlichkeits ideal dem aufgeklärte:, n i c h gläubigen

Humanismus wie Pragmatismus überließen.' Christliche Anthropologie und Pädagogik klafften auseinander. Die Selbstsicherheit so mancher eingefahrenen pädagogischen Praxis ist vorbei. Die totale Erschütterung im Gefolge der allgemeinen Lebenskrise läßt uns auf die wesentlichen Grundlagen christlicher Menschenbildung zurückkommend Wir erleben heute mitten im Alltag die äußersten Extreme: den Schieber, die Bestie, den Apathischen; und anderseits den Pflichttreuen, den Bekehrten, den Opfernden, den selbstlosen Menschenfreund, den gläubig Hoffenden. Die Möglichkeiten der Tiefe und der Höhe stehen offen. Untersdiätzung wie Überschätzung des Menschen widerlegen sich selbst. Der Mensch, ni bete, ni ange (Pascal) ist eine, ist die Mittelnatur (Franz v. Sales); und die, Selbsterziehung.ist nicht bloß die innewohnende Voraussetzung jeder Fremderziehung, sondern eine für den Bestand des Menschentums unerläßliche Garantie; andernfalls wir sie dem Wesen des Menschen untreu werden und ent-„arten“.

Neben dem kreatürlichen, aber mit einer zeitewigen Idee ausgestatteten Grundcharakter ist es die von der Offenbarung gelehrte Gott-ebenbildlidikeit des Menschen, die dem Erzieher als Lebensideal voranleuchtet.

Noch eine dritte Leitkraft besitzt die christliche Erziehung: die Schule des Meisters. Die besonders vom deutschen Mittelalter gewährte Idee der chrisfusförmigen Nachfolge“ findet'im pädagogischen Denken unserer Zeit besonderen Ausdrude in der christlichen Berufsethik der einzelnen Stände: Christus als Vorbild des Arbeiters, des Arztes, des Lehrers...

Noch manche feine Einzelkomponente erklang in diesem vollen Akkord des christlichen Bildungsgedankens. Die Entartung unserer Zeit äußert sich nicht zuletzt in der Verwilderung der Sprache. Das Zeitungsdeutsch siegt auf allen Sparten des öffentlichen Lebens, in Frankreich steht es nicht besser, und selbst das Land der gepflegten Publizistik — auch darin bislang Insel — klagt über den bad and lost Standard of English. Einer der meist übersehenen Gründe für die Predigtmüdigkeit der Geistlichen und Predigtflucht des Kirchenvolks liegt in der ungepflegten oder blassen Sprache. Wo sind die Männer des Worts, dessen Kraft der Größe des Abfalls und Wucht des Aufstands entspricht!

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Der Lehre muß die Praxis entsprechen. Es traten hiefür einzelne repräsentative Vertreter christlicher Bilidungsbemühung auf. Den wichtigsten Raum nahm hier die Darstellung der benediktinischen Erziehungskunst als der geschichtlich wirksamsten Bildungskräft des christlichen Abendlands ein. Es war zugleich eine Huldigung zur 1400jährigen Jubelfeier. Univ.-Prof. Dr. P. Ildefons Betschart OSB, Salzburg-Einsiedelm, unterzog sich dieser Aufgabe. Durch volle 600 Jahre hindurch stellten die Mönche St. Benedikts die bedeutendste religiöse und zivilisatorische Macht Europas dar, sie missionierten die germanischen und slawischen Völker, und „ihre weise organisierten Gemeinschaften waren für diese Völker ein stiller Anschauungsunterricht eines arbeitsamen und wohlgeordneten Lebens“ (C. Butler).

Dje Ausstrahlung der überkommenen christlichen Bildungsideale in drei führenden Nationen in Vergangenheit und Gegenwart zeigten für England P. J. Leycester — King S. J., Oxford, für Frankreich Staatsminister Prof. Pierre Frieden aus Luxemburg, für USA Lt. Col. Chaplain Roman J. N u w e r, Wien. Ergänzend sprach J. D. C r i c h t o n, Birmingham, über die Kate-chetik in England und P. G. Delcuve S. J., Brüssel, über den internationalen Stand der Methodik des Religionsunterrichts. — Zwei wichtige pädagogische Gegenstände, die Beziehung der Geschlechter im Licht des christlichen Menschenbilds, und die immer neu gestellte Frage nach Autorität und Freiheit, fanden beredte Interpretation durch Prof. Dr. Leopold Prohaska, S. M., Linz, und Dekan Univ.-Prof. Dr. R. Strohal, Innsbruck. — Auch allgemeinmethodische und organisatorische Angelegenheiten wurden berücksichtigt, so die für Österreich wichtige

Einrichtung der Bundeserziehungsanstalten (Min.-Rat Dr. Josef Stur, Wien, der besonders auf Fragen der Internatsreform einging), weiter die Darstellung des söge, nanten Jenaplans, die stärkstes Interesse erweckte (konsequente Vorrangstellung der Erziehung vor dem Unterricht, Auflösung der Jahresklassen in drei Entwicklungs-sammelstufen). Nicht unerwähnt darf der feinsinnige Vortrag Hofrat Prof. Dr. Alfred S t i x', Wien, über Kunst und Kunsterziehung bleiben.

Zwei wichtige Einzelthemen bedürfen gesonderter Herausstellung.

Univ.-Prof. Dr. Michael Pfliegler, Wien, war es, der die Entweder-Oder-Orientierung aller Jugenderziehung am Glauben und die Zentralstellung der religiösen Bildung im gesamten Unterrichtswesen mit ehernem Griffel herausarbeitete. Der Referent sprach aus der Summe seiner Lebenserfahrung gegen jegliches Kompromiß, das in der Religion etwa nur einen willkommenen Beitrag für die allgemeine Erziehung oder im Religionsunterricht ein vorwiegend didaktisches Problem sieht. Das Christentum ist entweder zentral oder es ist überhaupt nicht dNa. Die bloße Duldung der Religion ist schlechter als ihre Unterdrückung. Religion ist kein sittlicher Behelf ,ist überhaupt niemals Mittel, sondern Selbstzweck, ist Gipfelwert. Schon die Infragestellung des Religionsunterrichts ist ein Zeichen hinserer völligen Kulturzerrüttung.

Hiefür trat Pfliegler den g e i s t e s g e-schichtlichen und anthropologischen Beweis an.

Die Seele jeder Kultur ist das Verhältnis zum Ewigen. Selbst Spengler läßt die Blütezeit einer Kultur mit der Höhe und Tiefe ihrer religiösen Kraft zusammenfallen, und der freisinnige Burckhardt sieht im Kult die innerste Wurzel der großen Weltgestaltung und zugleich den führenden Antrieb der künstlerischen Stilformung. Der Positivist Le Bon und der Atheist Feuerbach huldigen, teils wider Willen, der Religion als der unvergleichlichen Massenbildnerin. Auch noch die „in sich ruhende Welt“ des Bürgertums zehrte vom Glaubensgut — bis es in unseren Tagen ausgezehrt ward, mit allem, was daraus gefolgt ist. Selbst die Bannerträger der pragmatischen Lebenskunst, das Amerika Spencers und die glaubensfeindliche Republik Comtes, empfanden und empfinden das Ungenügen des Rationalismus, die Vernachlässigung der inneren Welt' — auch bevor noch die katastrophalen Rückwirkungen eintraten. Nun, nachdem die Dämme gebrochen sind und das positivistische Zeitalter in der Tat das mythische und das metaphysische abgelöst hat, findet man die Prognose Comtes zwar bestätigt, aber mit umgekehrtem Vorzeichen: die inbrünstig vom Monismus einer ganzen Welt herbeigesehnte dritte und endgültige Phase des Fortschritts ist da, aber nicht als Höhepunkt der Entwicklung, sondern als ihr schrecklicher Zerfall.

Der anthropologische Beweis für die religiöse Erziehung als Mutterboden aller, Menschenbildung ist noch zwingender. Denn die Persönlichkeitskultur kann der religiösen Durchblutung ebensowenig entraten wie die Gemeinschaftskultur. Schon im Frühkind ist das religiöse Bedürfnis unausrottbar. Jede unverkümmerte Jugendzeit ist wurzelhaft religiös durchweht. Und erst die Entscheidungszeiten der Erziehung: Pubertät und Jungmannschafts-wie Jungfraucnschaftsalter! Diese fruchtbaren Stadien des „rechten Augenblicks“ bieten ja überhaupt erst unter dem religiösen Einfluß das pädagogische Optimum. Sie sind das förmliche Gegenteil einer schlecht beratenen „religiösen Schonzeit“. Das leidenschaftliche Ringen des Reifenden, seine tastende Ahnung vorgreifender Mündigkeit, das Erlebnis der Selbstverantwortung, das elementar aufbrechende Innenleben, all dies bringt den jungen Menschen unmittelbar vor die Gottesfrage. Dabei soll nicht das Ohnmachtsgefühl im Vordergrund stehen. Der jugendliche Radikalismus ist vielmehr ein überaus köstliches Gut. Das Menschengeschlecht müßte seelisch einfach versumpfen, wenn nicht jede Generation sich selbst unerbittlich vor die letzten Fragen stellte. In der Pubertät findet sich das Mensdienkind erstmalig als Person vor Gott.

Die nicht kinderwichtige Zeit des „fruchtbaren Moments“, das Jungmannschafts- und Jungmädchenalter zwischen 18 und 24 Jahren, ist nicht weniger religiös angelegt — wird aber religionspädagogisch noch mehr vernachlässigt. Hier zeigt sich die ganze Bildungstragödie der Moderne. Die Hochschule versagt in diesem fundamentalen Punkt völlig. Sie überläßt den Menschen gänzlich dem Wirrwarr der allgemeinen weltanschaulichen Aufspaltung und setzt sich sowohl über die geistesgeschichtliche wie die existenzielle Zentralfunktion der Religion im Bildungswesen hinweg. Dabei sprechen alle modernen pädagogischen Autoren von Rang, ob Herbart, Bühler, Stern, ob Willmann, Kerchensteiner, Litt, ob Dilthey, Spranger oder Klatt sich für die religiöse Tiefendimension jeder Bildung aus. Selbst so radikale Schulreformer wie Paul Österreich oder Gustav Wyneken gestehen: „Der Werktag ist Gottes, oder der Teufel lacht hinter der Kanzel“ (Wyneken).

Wozu dieser ganze Beweisaufwand? Pfliegler macht sidi die Sache nicht leicht, um die „antiliberale Arroganz“ des totalen Bildungsanspruchs des Christentums zu erhellen und nun die Folgerung zu ziehen: Das Erziehungsmonopol des indifferenten Staates vermehrt das Übel des Kulturverfalls. Als die Staaten nodi religiös dachten, überließen sie die Erziehung der Kirche. Der säkularisierte Staat muß seine neutralisierte und metaphysisch entkernte Unterrichtssdiule auf die Wissensvermittlung beschränken und die eigentliche Erziehung und Bildung den religiösen Gemeinschaften übertragen, innerhalb und außerhalb der Schule. Darüber hinaus ist es eine seiner vornehmsten und wesentlichsten Pflichten, die religiöse Erziehung mit allen Mitteln und auf allen Schulstufen kräftig zu fördern.

Dabei gehört die Religion auch zentral in die allgemeine Wissensvermittlung des öffentlichen Unterrichtswesens. Die gründliche Kenntnis der christlichen Religion als der größten und geschichtlich bedeutendsten Kulturmacht einer fast zweitausendjährigen europäischen Entwicklung auszuschalten, ist unfaßlich; die Religion als stärksten sittlichen Kraftborn zu vernachlässigen, ist unverantwortlich; sie als oberste Richtschnur des Lebens zu übergehen, ist unmenschlich. Religion als bloße Privatsache zu nehmen, ist eine soziologisch, büdungstheoretisch und kulturbiologisch unhaltbare These und greift an die Wurzel der menschlichen Gesittung. Die Parole von der Religion als Privatsache kann höchstens als Schutz der Gewissensfreiheit verstanden werden; pädagogisch formuliert: Die religiöse Erziehung und Betätigung soll von der Pubertätszeit ab a u f das Prinzip der Freiwilligkeit gestellt werden. Darüber hinaus kann kein Kind von der Religion „dispensiert“ werden. Die religiöse Bildung muß Herzenssache des Staates werden, sie gehört in das Programm aller Parteien, zumal die

Kirche in Österreich keine parteipolitische Anlehnung mehr unterhält. Schon im wohlverstandenen Eigeninteresse wird jeder Staat über kurz oder lang zu einer ähnlichen Haltung kommen müssen. Der Kulturpessimismus, der schon bei Herder leise anklang und bei Burckhardt und Spengler die breite Grundmelodie einnahm, ist allen denkenden Menschen im heutigen Abendland gemeinsam. Die neue Barbarei erheischt gebieterisch die Gegenkräfte der Transzendenz. „Selbst aber wenn es zum äußeren Untergang käme, dann müssen wir die Menschenwürde im Glauben retten, bis zum Tod.“

Bleibt ein Wort über die konfessio-nelle Schule. Ifconsequent verlangt Pfliegler, daß auch hier Axiome nicht mehr schüchtern ausgesprochen werden. Die katholische Schule kann ihren Namen nur rechtfertigen, wenn der Lehrkörper eine Gemeinschaft des Glaubens und Lebens darstellt. Die religiöse Unterweisung ist dort das Rückgrat de ganzen Bildungsvorgangs. In den einzelnen Unterrichtsfächern gilt die saubere Arbeitserkenntnis. Die katholische Atmosphäre bildet den selbstverständlichen Erziehungsraum. Die Freiheit darf nicht unterdrückt, sie muß umgekehrt voll entfaltet werden. Der Erzieher ist wesentlich Helfer, das Ziel ist die Mündigkeit. Ein besonderer Anreiz der katholischen Schule müßte in der Erziehung zur unbedingten Wahrhaftigkeit gelegen sein.

(Ein zweites Thema umfaßte die Versuche einer christlichen Neuformung in Frankreich und ihre Ergebnisse für die Erziehung. — Wir werden darauf zurückkommen.)

Der christliche Humcnisiaus will weder ein blinder noch ein nur ironisch lächelnder Humanismus sein. Er kennt die Tragik dieser Welt, er kennt die Tragik des Menschen und kennt auch seine eigene Tragik. Aber er bleibt nicht in der Tragik stecken, sondern glaubt an eine mögliche Uberwindung. Und diesen Glauben schöpft er aus seiner Einsicht vom Primat des Logos in der Welt. Diese Einsicht ermöglicht es ihm, auch zum Menschen ein letztes Ja sprechen zu können. Dieses Ja gilt dem göttlichen Funken, den er in jedem Menschen spürt. So ist alle Liebe zum Menschen für den christlichen Humanisten immer ein Lieben in Gott, ein cmiare in Deo, nicht nur ein Lieben um Gottes willen. H. Wi Hj Bsel: „Gestalt eines christlichen Humanismus“

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