Geplänkel um den "Gotteswahn"

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"Neuer Atheismus" formiert sich jenseits des Atlantiks. Europa schaut fasziniert zu, braucht die Debatte jedoch nicht zu fürchten: Es hat größere Sorgen. Eine neue Welle der Religionskritik setzt aber der von ihr konstatierten "Theologisierung" von Politik und Gesellschaft die Gott-Losigkeit entgegen - unterschiedlich akzentuiert, wie das furche-Dossier exemplarisch darstellt. (Redaktion: Otto Friedrich)

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"Neuer Atheismus" formiert sich jenseits des Atlantiks. Europa schaut fasziniert zu, braucht die Debatte jedoch nicht zu fürchten: Es hat größere Sorgen. Eine neue Welle der Religionskritik setzt aber der von ihr konstatierten "Theologisierung" von Politik und Gesellschaft die Gott-Losigkeit entgegen - unterschiedlich akzentuiert, wie das furche-Dossier exemplarisch darstellt. (Redaktion: Otto Friedrich)

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Der Atheismus", so schrieb der Philosoph Ludwig Feuerbach 1843, "ist der umge-kehrte Pantheismus". Der Pantheismus jedoch, so Feuerbach weiter, ist "die Negation der Theologie auf dem Standpunkt der Theologie". So unverständlich philosophische Klassiker auf den ersten Blick oft daherkommen mögen, so treffend sind doch - selbst im Zeitalter unverhohlener Geringschätzung der Geisteswissenschaften - mitunter bis heute ihre Diagnosen.

Die Evolutionskriege

Zumindest im Blick auf die USA; denn was sich in den dortigen Feuilletons seit einigen Jahren unter dem Schlagwort der "Evolution wars" ("Evolutionskriege") als Kampf zwischen einem überwiegend religiös imprägnierten und einem bekennend-atheistischen Bevölkerungsteil abspielt, kann in seiner Vehemenz und ungehemmten Aggressivität durchaus mit den ideologischen Grabenkämpfen des 19. Jahrhunderts verglichen werden, in die sich Feuerbach mit dem obigen Zitat einmischte.

Es bedarf dabei nur einer kleinen begrifflichen Verschiebung, um das Zitat für die heutige Debatte zwischen den "Evolutionskriegern" anschlussfähig und für eine theologische Ortsbestimmung aus europäischer Sicht fruchtbar zu machen.

Versteht man nämlich unter "Pantheismus" eine Form unbestimmter Naturreligiosität, die in der staunenden Betrachtung der Komplexität der Welt einen Hinweis auf den göttlichen Schöpfer erkennt (was zugegebenermaßen eine begriffliche Verkürzung darstellt), so drängt sich eine modernisierte und zugleich provokante Lesart des Feuerbach-Zitats auf, die eine durchaus auf den amerikanischen Diskurs passende Anfrage formuliert: Was ist nämlich die Lehre der amerikanischen "Kreationisten" und "Intelligent Design (ID)"-Verfechter anderes als eine in Wissenschaftssprache gekleidete Form eben dieses Pantheismus', als der verklausulierte Ausdruck eben jenes naturreligiösen Staunens vor der Komplexität der Welt?

Und was ist diese reanimierte Form der Naturreligiosität anderes als die "Negation der Theologie auf dem Standpunkt der Theologie", also als eine sich theologisch gebärdende Absage an die Verknüpfungen von Glauben und Vernunft, von "Fides" und "Ratio", wie sie u. a. von Papst Benedikt XVI. immer wieder so vehement reklamiert wird?

Europa ist anders

Aus Europa verfolgt man die amerikanische Debatte teils mit Amüsement, teils mit der Sorge, dass der von beiden Seiten geschürte, feuilletonistische Flächenbrand auch auf Europa überspringen könnte. Dass diese Sorge unberechtigt ist, da die Debatte am Kern der europäischen Krisensituation vorbeigeht, soll im Folgenden anhand eines Blicks auf die sozio-religiöse Landkarte der USA und die Bedingungen ihres Entstehens ebenso aufgezeigt werden, wie durch einen Blick in das jüngste Werk des streitbaren Wortführers des "neuen Atheismus", das seit Herbst auf allen Bestsellerlisten weit oben angesiedelte Buch des Evolutionsbiologen Richard Dawkins, The God Delusion (Der Gotteswahn).

Hinsichtlich der sozio-religiösen Landkarte der USA weisen mittlerweile zahlreiche Intellektuelle, darunter so bekannte Stimmen wie der deutsche Soziologe Hans Joas oder der amerikanische Philosoph José Casanova, darauf hin, dass es eine gravierende religiöse Ungleichzeitigkeit zwischen der amerikanischen Variante gesellschaftlicher Modernisierung und jener in Europa gibt. War die europäische Aufklärung nämlich getrieben von a-religiösen und a-theistischen Kräften, von leidenschaftlichen Gegnern einer wahrhaft "katholischen", weil alle Lebensbereiche umfassenden Kirche, und beförderte sie so einen Säkularisierungsprozess, der bis heute zu einer weitgehenden Marginalisierung der öffentlichen Bedeutung von Religion und zu einer Privatisierung alles Religiösen geführt hat, so kennt die amerikanische Sozialgeschichte diese Kämpfe - bislang - nicht.

Im Gegenteil, verweist doch das Zentrum des amerikanischen Frei-heitsmythos' in Gestalt der Pilgrim Fathers auf eine bis heute weitgehend unbestrittene Verquickung von Religion und Politik, wie es der Blick auf politische Legitimationsstrategien ("God bless America") ebenso zeigt wie der schlichte Blick auf eine amerikanische Banknote ("In God we trust").

Religion ist in den USA weder Privatsache noch marginalisiert. Sie ist ein gewichtiger Player der Zivilgesellschaft mit deutlich hervortretenden Ambitionen der konkreten Beeinflussung politischer Entscheidungsprozesse.

Religiös imprägnierte Lobby

Von der Gesundheitsvorsorge bis zur Bildungspolitik besetzt eine religiös imprägnierte Lobby dabei geschickt all jene sozialpolitischen Leerstellen, die vom institutionalisierten politischen Betrieb nicht ausreichend bedient werden. Ein feinmaschiges Netz von Stiftungen, privaten TV-Kanälen, Buch-und Internetprojekten sorgt zugleich für eine stete Präsenz in der Arena medialer Öffentlichkeit. Mit Erfolg, wie eine Newsweek-Umfrage unlängst zu Tage förderte: So zeigen sich derzeit 92 Prozent der Amerikaner von der Existenz Gottes überzeugt, stolze 53 Prozent sind laut Gallup-Institut gar überzeugt, die Erde sei vor rund 6000 Jahren entstanden.

Wen wundert's, dass sich angesichts dieser Situation mittlerweile eine Gegenbewegung formiert hat, welche sich dem Kampf gegen jede Form religiöser Einflussnahme auf politische Prozesse verschrieben hat. Dabei geht es den "neuen Atheisten", wie der Blick in Dawkins Buch zeigt, ebenso wenig um eine tiefschürfende theologische Argumentation wie den Kreationisten und ID-Verfechtern. Es geht um "Stimmungsmache" und Stimmenfang nicht nur bei jenen, die unter den Formen öffentlicher Religion leiden, sondern insbesondere bei jenen, denen die eigene Sozialisation ein mittlerweile schmerzendes religiöses Mal eingebrannt hat.

Anders gesagt: Dawkins wendet sich an all jene, denen der Psychoanalytiker Tillmann Moser in seinem gleichnamigen Bestseller bereits 1976 eine "Gottesvergiftung" diagnostizierte. Wie Moser vor über 30 Jahren, so beschreibt auch Dawkins das kindliche Urvertrauen in die Autorität der Erwachsenen als das zentrale Einfallstor der Religion. Es ist dieses enge Zeitfenster, durch welches das Virus der Religion vererbt wird. "Ich werde niemals jene schreckliche Predigt vergessen, die ich als Kind in meiner Schulkapelle hörte" - aus diesem persönlichen Ressentiment speist sich die Aggressivität, mit welcher Dawkins auf die Religion losmarschiert, mit welcher er sich und den Leser aus ihren Fängen befreien will: "If you are one of them, this book is for you". - Allein, es sind jene, die es in Europa kaum mehr gibt.

Der Kein-Gott-Beweis

Im zentralen Kapitel seines neuen Buches The God Delusion bemüht sich Dawkins um den Nachweis, "warum es mit größter Wahrscheinlichkeit keinen Gott gibt". Sein Hauptargument ist dabei so simpel wie effektiv: Er dreht einfach das Argument all jener Verfechter der "Gottes-Hypothese" um, die in der natürlichen Komplexität der Welt den Rockzipfel des göttlichen Designers zu erkennen glauben. Demnach müsse ein Gott, der in der Lage sei, das Leben in dieser überschäumenden Komplexität zu planen und zu designen, noch komplexer sein als seine Schöpfung - eine Feststellung, die mit steigender Bewunderung weltlicher Komplexität die Wahrscheinlichkeit der Existenz Gottes schwinden lasse.

Doch belässt es Dawkins nicht bei dieser argumentativen Spitzfindigkeit. Vielmehr geht es ihm ums Ganze, um die Frage nach der Wurzel, die das religiöse Verlangen speist und antreibt. Diese Wurzel gilt es auszureißen - zu lang erscheint Dawkins das Sündenregister, zu groß das Gewaltpotential der Religion, als dass sie weiterhin eine so hervorstehende gesellschaftliche Position verdient.

Es ist der alte, klassische anti-monotheistische Affekt, dem Dawkins folgt, jener auch im europäischen Diskurs mit steter Regelmäßigkeit wiederkehrende Vorwurf an die monotheistisch konzipierten Religionen, allen voran das Juden-und Christentum, sie legitimierten und beförderten Gewaltexzesse und Vernichtung im Namen des einen Gottes.

Wird im europäischen Kontext diese Kritik äußerst elaboriert und mit feiner Klinge vorgetragen, so hält sich Dawkins mit Feinheiten der Unterscheidung nicht lange auf. Wie sähe eine Welt ohne Religion aus, fragt er. Es wäre eine Welt "ohne Selbstmordattentate, ohne 9/11, ohne 7/7 (die Terroranschläge von London, Anm.), ohne Kreuzzüge, ohne Hexenverbrennung, ohne Anschläge, ohne israe-lisch/palästinensische Kriege, ohne serbisch/ kroatisch/muslimische Massaker, ohne Verleumdung von Juden als ,Christus-Mörder', ohne Nordirlandkonflikt, ohne Ehrenmorde und ohne Fernsehprediger, die den Leuten das Geld aus der Tasche ziehen." So lautet das simple und zugleich verlockende Angebot eines vermeintlich modernisierten Atheismus a la Dawkins.

Modernisierter Atheismus

Was er konkret "anzubieten" hat, sind verschiedene "bewusstseinserweiternde Botschaften", die allesamt darauf hinauslaufen, die "spektakuläre Schwäche" der Argumente für eine Existenz Gottes aufzuzeigen. Dabei schießt sich Dawkins nahezu ausschließlich auf das Gottesbild des Schöpfergottes als "Designer" ein und bringt gegen diesen die simple (darwinistische) Botschaft in Stellung, dass jede schöpferische Intelligenz allein durch den Prozess gradueller Evolution in die Welt kommt. Auch hier scheint daher wieder durch, dass der vermeintlich neue Atheismus amerikanischer Prägung nichts anderes ist als eine inneramerikanische Autoimmunreaktion gegen die Selbstverständlichkeit der Verquickung von Religion und Öffentlichkeit.

Kein Gespenst in Europa

Mag in den USA auch das Gespenst des Atheismus umgehen - Europa braucht es nicht zu fürchten, denn Europa hat - anders als Klaus Taschwer im Standard vom 20. Jänner vermutet - nicht mit einer "weniger radikalen Variante" dieses "Virus" zu kämpfen, sondern mit einer weitaus heimtückischeren und gefährlicheren Variante: jener der ,Gottlosigkeit'. Es ist keine laute und polternd in Szene gesetzte Ablehnung, kein "Kreuzzug gegen Gott" (Taschwer), der Europas Kirchen und die Theologie bedroht. Es ist die Lethargie der "Restherde", die Schicksalsergebenheit, mit der sich das europäische Christentum in seinem Randgruppendasein einrichtet, hier und da wach geküsst durch eine spirituelle Eventkultur, die sich selbst feiert, um gleich danach wieder in Sprachlosigkeit zu versinken. Kurz gesagt: Religiöser Analphabetismus taugt nicht einmal zum Atheismus.

Im Blick auf die amerikanische Debatte und das Dawkins-Projekt mag dies vielleicht etwas Tröstliches haben - würde dahinter nicht eine Gefahr lauern, die selbst den Atheismus als Geplänkel erscheinen lässt: Es ist dies die Gefahr einer tiefgreifenden moralischen Erschöpfung, die ihren Kern in der Privatisierung der Religion und in der damit einhergehenden Verdunstung letzter Sinnressourcen, ja dem Verschwinden der Frage nach dem Sinn überhaupt hat.

Keine ideologische Elektrisierung, kein revoltierender Geist scheint das moderne Ich mehr aus seiner Ermüdung und Entleerung, aus seiner "Prozessmelancholie" (Peter Sloterdijk) reißen zu können. Man muss kein Psychologe sein, um in den "Volkskrankheiten Nr. 1", in Autoaggression und Depression, die Symptome dieser grassierenden gesellschaftlichen Lethargie auszumachen.

Dabei gibt sich die Vision vom gottlosen Europa gerade nicht anti-religiös - im Gegenteil! Sie gibt sich religionsfreundlich, religionsplural und offen für die vielen Götter der Privatheit. Ein florierender Markt an religiösen Antidepressiva hat sich um das ermüdete Ich gebildet, um es - nicht selten mit zwinkern-der Selbstdistanz und Ironie - zumindest für einige Stunden die Woche in eine andere Welt zu entführen und in spirituelle Watte zu packen - nur um es dann erneut in den Gleichklang seines Alltags zu entlassen.

So sehr Religion in diesem Sinne wiederkehrt, so sehr versinkt das Christentum als Vision eines biblischen Monotheismus, der Menschen nicht unter dem Joch des Immergleichen belässt, sondern die Idee der Befreiung - seelisch wie materiell! - in sich trägt.

Ein "garstiger Graben"

Gewarnt sei daher vor einer kirchlichen Neo-Pastoral, die sich - geblendet von den Erfolgen anderer Menschenfischer - ins spirituelle Rennen begibt und darüber vergisst, dass zwischen religiöser Bedürfnisbefriedigung und christlicher Nachfolge ein "garstiger Graben" (Karl Barth) besteht. Bis vor kurzem lautete der heimliche Schlachtruf kirchlicher Basis-und Reformbewegungen "Gott ja, Religion nein". Im "postsäkularen" (Jürgen Habermas) Europa sind diese Zeiten längst vergessen und vorbei. "Religion ja, Gott nein", lautet die Devise.

Im Vergleich mit den USA könnte daher die Diagnose paradoxer nicht sein: Das Europa der Religion-zersetzenden Modernisierung, des kämpferischen ,Nein' zur Religion, erlebt eine Religions-Renaissance, während die USA in ihrer Verquickung von Politik, Gesellschaft und Religion nun ihren antireligiösen, "atheistischen" Affekt zu entdecken scheinen. Mit dem langsamen Niedergang katholischer Milieus und mit dem Schwinden einer lange Zeit selbstverständlichen Kirchlichkeit verlor in Europa auch der Atheismus als kämpferischer Gegenentwurf seine Speerspitze. Selbst die heutige moderne Theologie mit ihren Zugeständnissen an Pluralismus, Religionsfreiheit und einem wohlverstandenen Säkularismus als staatstragendem Prinzip bietet einem kämpferischen Atheismus kaum mehr Angriffsfläche.

Der Alarmismus, mit dem die Kirchen hierzulande auf den amerikanischen, kämpferisch-naturalistischen Atheismus reagieren, scheint vor diesem Hintergrund nicht nur übertrieben, vielmehr scheint er vom eigentlichen europäischen Problem, der bis ins metaphysische Mark der europäischen Gesellschaften reichenden "Gotteskrise" (Johann Baptist Metz) ablenken zu wollen.

Christliche Gottesrede

Wollen Theologie und Kirche auf diese Krise eine Antwort geben, so bedarf es zuallererst einer theologischen Selbstbesinnung auf den Ausgangspunkt theologischen Nachdenkens über Gott. Denn ihren Ausgang nimmt die Gottesrede (als spezifisch-christliche Disziplin) nicht zuerst im Staunen, nicht in der Anschauung der Natur und ihrer komplexen Schönheit; vielmehr ist es ein Schrei, der den Beginn des Christentums markiert. - Es ist der Schrei des Gottesknechtes in seiner leidvollen Gottverlassenheit am Kreuz, der Schrei jenes Menschen, von dem Christen im Glauben sagen: Dieser ist Gott für uns.

So verstanden ist christliche Theologie geradezu die Negation natürlicher, pantheistischer Religiosität (das bedeutet freilich keine Absage an eine eigene Theologie der Schöpfung, im Gegenteil: Eine solche christliche Schöpfungstheologie ist erst "komplett", wenn sie nicht beim anfänglichen biblischen Schöpfungsakt staunend verharrt und stehen bleibt, sondern die Geschichte des Falls und die drängende Hoffnung auf Neuanfang und Erlösung, d. h. die Eschatologie, mit einbezieht).

Eine solche Selbstbesinnung liefert freilich noch keine pastoralen Konzepte gegen die europäische Lethargie. Sie könnte aber das Rüstzeug bilden, um den Verlockungen einer (krypto-theologischen) Naturalisierung des Glaubens in Zeiten der "Gotteskrise" zu widerstehen und eben jenen erschöpften Subjekten eine Stimme zu geben, deren Schrei im Rhythmus dahinplätschernder Alltäglich-und Gleichgültigkeiten gänzlich zu verstummen droht.

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