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Ringen um ein Gegenüber

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Gibt es gottlose Religiosität, gottlose Moral? Welche Folgen hat ein Verzicht auf Gott in Bildung und Erziehung, in der Wissenschaft? Was vermittelt eine „höhere” Art der Erfahrung ohne Gott?

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Gibt es gottlose Religiosität, gottlose Moral? Welche Folgen hat ein Verzicht auf Gott in Bildung und Erziehung, in der Wissenschaft? Was vermittelt eine „höhere” Art der Erfahrung ohne Gott?

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Innerhalb des deutschsprachigen Katholizismus gibt es wohl kaum eine akademische Veranstaltungsreihe, die mit den Salzburger Hochschulwochen auch nur annähernd vergleichbar wäre. 1931 als Vorstufe einer späteren katholischen Universität gegründet, haben sie durch die mit Nationalsozialismus und Zweiten Weltkrieg bedingte Unterbrechung ihre geistige Kontinuität nicht verloren. Sie haben immer wieder Themen zur Diskussion gestellt, die die geistige, gesellschaftliche und politische Entwicklung des Nachkriegskatholizismus mitgeprägt haben.

Darüber hinaus gaben die Hochschulwochen jenseits aller vordergründigen Aktualitäten aber immer wieder auch Raum für eine Besinnung auf das Wesentliche — auf das eine, das nottut, nämlich auf Gott.

Das Leitthema der diesjährigen Veranstaltung lautete: Gott. P. Paulus Gordan, der Obmann des Direktoriums, hatte wohl nicht so unrecht, als er meinte, dieses Wort sei Aufforderung und Herausforderung zugleich. Wer dächte hier nicht unwillkürlich an den Ausruf Martin Bubers: „Gott... ja, es ist das beladenste aller Menschenworte. Keines ist so besudelt, so zerfetzt worden. Gerade deshalb dürfen wir darauf nicht verzichten. Die Geschlechter der Menschen haben die Last ihres geängstigten Lebens auf dieses Wort gewälzt und es zu Boden gedrückt. Es liegt im Staub und trägt ihrer aller Last.”

Diese Sätze aus Martin Bubers „Gottesfinsternis” signalisieren so etwas wie einen existentiellen Notstand. Dieser äußert sich heute weniger in dramatischen Formen als vielmehr in einem verlegenen Umschweigen Gottes. Der Name Gott ist — so scheint es — auch für viele Christen zu einer einzigen großen Verlegenheit geworden. Mag es anfangs Ehrfurcht gewesen sein oder Gehorsam gegenüber der biblischen Weisung „Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht mißbrauchen”, so wurde Gottes Name und Wesen allmählich im buchstäblichen Wortsinn totgeschwiegen bis hin zu einer „Theologie nach dem Tod Gottes”, die freilich inzwischen selbst eines stillen Todes verblichen ist. Das bedeutet noch lange nicht eine „Wiederbelebung Gottes” oder des Fragens nach ihm.

Ist dieser Befund zu negativ, zu pessimistisch? Alle kirchliche und theologische Betriebsamkeit kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß zumindest in unserer westlichen Gesellschaft die Vitalität des Gottesglaubens stark angekränkelt ist. In Polen oder in Lateinamerika mag dies anders sein, wir hier im Westen hingegen leben in einer Situation, die weit mehr durch die Abwesenheit Gottes, als durch seine Präsenz gekennzeichnet ist.

Ein Blick auf eine Reihe von Spezialthemen dieser Hochschulwochen mag dies verdeutlichen: da ist die Rede von einer „Gottlosen Religiosität”, von einer „Gottlosen Moral”, von „Verzicht auf Gott in Bildung und Erziehung”, vom methodischen Verzicht auf Gott in der Wissenschaft usw. Fast hat man den Eindruck, daß wir es hier mit einer Art geistiger Lähmung zu tun haben und die Frage liegt nahe, welche Gründe dafür verantwortlich sind.

In einer Vorlesungsreihe über das Thema „Der unbekannte Gott: Gott in der Ahnung der Völker” gab der Bonner Fundamentaltheologe und Religionsphilosoph Hans Waidenfels eine treffende Beschreibung unserer gegenwärtigen Lage, die weniger durch einen ausdrücklichen und offenen Atheismus, als durch einen alles durchdringenden Agnostizismus gekennzeichnet ist. * Heute gibt es darüber hinaus nicht wenige, die die Wurzel des Übels in dem religiös-weltanschaulichen Pluralismus unserer westlichen Gesellschaft sehen wollen und daher einen stärkeren gesellschaftlichen und politischen Einfluß der institutionalisierten Religion fordern.

Ganz abgesehen davon, daß dieser Einfluß zumindest der Möglichkeit nach nirgendwo so sehr gegeben ist wie in einer frei-heitlich-pluralistischen Ordnung, übersehen diese Verfechter eines integralistischen Modells, daß die Wiederherstellung der alten Einheit von Religion, Gesellschaft, Kultur und Politik, selbst wenn sie möglich wäre, keineswegs zu einer Revitalisierung des Glau-

Versuchung Theokratie bens führen würde, wie gerade historische Beispiele staatskirchlicher Systeme zur Genüge beweisen. Nichtsdestoweniger stellt die Theokratie, wie sie heute vom islamischen Fundamentalismus mehr und mehr durchgesetzt wird, keine geringe Versuchung dar. Adel Theodor Knoury, Religionswissenschaftler und Islamist an der Universität Münster, sprach in diesem Zusammenhang treffend vom „Traum des Mittelalters”, um den Anachronismus solcher Bestrebungen darzulegen. In seinem Buch „Der Zwang zur

Häresie” hat der austroamerika-nische Religionssoziologe Peter L. Berger eine Erneuerung der theologischen Grundthematik gefordert und sich wie folgt gegen eine Rückkehr zu Fragestellungen der liberalen Theologie des 19. Jahrhunderts ausgesprochen. In der Tat ist heute die eigentliche Alternative nicht mehr jene zwischen Gottesglauben und Atheismus, sondern die zwischen Gottesglauben und den verschiedenen Formen „gottloser Religiosität”, mit denen sich der Jesuitentheologe Bernhard Grom aus München eingehend auseinandersetzte.

Schon immer bewegte sich menschliche Religiosität zwischen den Polen einer vordialogischen Einstellung. Tatsache ist, daß sich gerade heute nicht wenige füreine vordialogische Einstellung, für eine Religiosität ohne Gott entscheiden, die ihnen vermeintlich eine „höhere” Art von Erfahrung vermittelt als sie ihnen der christliche Glaube zu geben vermag.

„Wenn wir nach einer umgreifenden Wirklichkeit fragen, wenn wir nach dem Bleibenden fragen bei all* dem Unbeständigen und Unvergänglichen, das wir unablässig um uns herum erfahren, immer geht es um die Frage nach Gott. Auch wenn wir meinen, es genüge, getragen und gehalten zu sein von einer unpersönlichen, aber verläßlichen Wirklichkeit, so ist es doch zutiefst das Ringen um ein Gegenüber, was mehr Gewißheit schenken kann als alles, was nur den Charakter des Apersonalen hat.” Diese Sätze des evangelischen Theologen Ferdinand Hahn verdienen, bedacht zu werden. Die Gotteserfahrung ist, wie die Benediktinerin Corona Bamberg vor mehr als tausend Hörern eindringlich ausführte, zur Schicksalsfrage der Christen heute geworden.

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