6557375-1948_29_11.jpg
Digital In Arbeit

Ein Wort zur wichtigsten Frage

Werbung
Werbung
Werbung

Niemand, der am Ringer um unser religiöses, geistiges, kulturelles, soziales Schicksal innerlich Anteil nimmt, kann an den Fragen Vorbeigehen, die in der Zuschrift „Von den Aufgaben des Laienchristen” (vergleiche die „Furche” Nr. 22 vom 29. Mai 1948) als Vorwurf und als Anruf formuliert worden sind. Jeder wird sie von dem Gesichtspunkt seines Berufes und aus den Kräften und Schwächen seiner Veranlagung für sich selbst zu beantworten haben. Dabei ist es sicherlich nicht allzu wesentlich, jene Gründe in der Vergangenheit aufzuzeigen, die sich der tatsächlichen Wirksamkeit christlicher Geisteshaltung gegenüber einzelnen Menschen oder Menschentypen entgegenstellten. Es sind dies Gründe, die in der allgemeinen Situation der abendländischen Geistesgeschichte und in der besonderen Situation einzelner Länder liegen.

Zunächst werden wohl jene Lebensprobleme, die vom religiösen, also vom eigentlich christlichen Bereich her allein beantwortet werden können, erst in der allerjüngsten Zeit in dem Maße als solche empfunden, als sich die öffentliche Meinung mit ihnen zu beschäftigen beginnt — aber eben leider nicht mehr als das: beginnt. Sicherlich hat, was kaum geleugnet werden kann, der Laienchrist seine Aufgabe, einzelnen Suchenden die Kraftquellen lebendigen Glaubens zu eröffnen, oft nicht erfaßt. Sicherlich haben es auch manche Sehende versäumt, auf all das hinzuweisen, was von der hohen Warte der Kirche seit Jahrzehnten als die drohende Zukunft abendländischen Kulturverfalls vorausgesagt worden ist und das heute in Anarchie und Gewalt furchtbare Gegenwart geworden ist. Ebenso gewiß aber ist es, daß es bis vor kurzem nicht allzu viele waren, die sich als solche Suchende der Botschaft des Christentums geöffnet hätten. Das Christentum mußte im verborgenen leben, abseits und in der Stille seine Kräfte wahren, in der Stille in einer Weise wirken, die nur der Christ verstehen kann.

Noch in der unheilschwangeren Zeit zwischen den beiden Weltkriegen sprach Reinhold Schneider in einem seiner schönsten Sonette von der

…Zeit, da sich das Heil verbirgt

Und Menschenhochmut auf dem Markte feiert,

Indes im Dom die Beter sich verhüllen.”

Hier ist eine Seite der Christenpflicht aufgezeigt, deren Wirksamkeit zu keiner Zeit vergessen werden darf, wenn man von christlicher Aktivität spricht. Welcher Christ sieht heute nicht ein, daß es nur mehr ein Gnadenakt der göttlichen Barmherzigkeit sein kann, wenn es gelingen soll, der Anarchie und der Gewalt in der Ordnung der Welt zu entgehen? Und wer vermag es zu sagen, ob es nicht da Werk der Beter im Dom war, wenn bei diesem oder jenem die Augen sich öffneten, um zu sehen, und die Ohren, um zu hören?

Was Reinhold Schneider mit der Kraft dichterischen Wortes aufzeigt, war tatsächlich die Situation des Christentums, ist es auch in unseren Tagen und bleibt es weiterhin. Das bedeutet nun sicherlich keine einfache Entschuldigung dafür, daß einem Suchenden kein Licht oder einem Horchenden kein Wort geboten wird. Und darum geht es hier. Wohl aber bedeutet es ein Aufzeigen des Problems, mit dem wir es zu tun haben, ein Aufzeigen der Aufgabe, deren Schwierigkeit nicht übersehen werden kann. Es kann wohl kaum bezweifelt werden, daß — wie es für unsere Zeit besonders aktuell ist — ‘gerade an den orthodoxen Marxisten christ- liches Denken gnd christliche. Haltung am schwersten herankommen. Das kann sicherlich ein Marxist am besten beurteilen. Denn der Marxismus verbindet den Glauben an ein proletarisches Paradies auf Erden mit dem Verstandeshochmut des bürgerlichen Zeitalters. Er kennt den Menschen nur als Ausdruck der sozialen Situation, das heißt er kennt ihn im tiefsten nicht. So bricht er die Brücken ab, die von Mensch zu Mensch führen, und preist den Abgrund, der sich auftut. Denn die Brücken sind Brücken des Geistes und gerade er wird geleugnet. Darum ist es ja heute das eigentümliche Merkmal des am orthodoxen Marxismus haftenden Denkens und seiner von der politischen Taktik geprägten Geistigkeit, daß es an den Errungenschaften der Wissenschaft vorbeigeht, daß es die längst erkannten Verirrungen des Materialismus vor einem halben Jahrhundert auch heute noch immer als „Fortschritt”, die längst erfolgte Entdeckung des geistigen Prinzips in den Naturwissenschaften und die Entdeckung des Menschen in seiner Eigenständigkeit und Geistigkeit in der Geschichte und im sozialen Leben nach wie vor als „Reaktion” brandmarkt. In solcher und ähnlicher Geisteshaltung — die gewiß nicht auf den orthodoxen Marx- Glauben beschränkt ist — liegt mancher objektive Grund für das, wa$ am Laienchristen der jüngsten Vergangenheit gerügt wird. Konnte und kann der Christ in eine Welt eindringe n, die nichts von all dem sucht, was er zu bieten vermag?

Hier aber ist, wohl mehr durch den Druck der Geschichte als durch Fortschritte der Erkenntnis, heute eine Wandlung eingetreten, die sich überall, in der ganzen Breite geltend macht, wo immer Menschen die Last der Geschichte zu tragen und geistig zu bewältigen haben. Heute beginnt solches Suchen, geboren aus der Sehnsucht, die in geistiger Unerfülltheit erwächst, aus dem Drang nach Freiheit inmitten der Befangenheit in den Netzen allseitiger, an das Irdische gefesselter Lebensplanung, aus d r Ungewißheit, die nach dem Sinn des Lebens Ausschau hält; heute beginnt solches Suchen zum Merkmal unserer Zeit zu werden. Das aber ist der verpflichtende Augenblick für jene Aktivität, die den christlichen Laien auf den Plan ruft, für jene Aktivität, die in der eingangs erwähnten Zuschrift so schmerzlich vermißt wird.

Da aber muß auf das hingewiesen werden, was im Grunde für eine persönliche und gemeinschaftliche Lebensgestaltung aus christlichem Geiste das Entscheidende ist und den Grundgedanken in der „Aufgabe des Laienchristen” darstellt: die lastende und verpflichtende Erkenntnis der Mitverantwortung für das Heil des Nächsten. Aus ihr ergibt sich alles andere, ergibt sich auch die tragende Grundlage für jenen Soüdaris- mus, der der Ausdruck christlicher Haltung im Aufbau der sozialen Ordnung ist — ein Solidarismus nicht allein als Verpflichtung, sondern tiefer: ein Solidarismus des Heiles oder Unheiles, des Aufbaues oder Zerfalls, des Friedens oder der Vernichtung, des Segens, der Schuld, der Sühne.

Man wird vorsichtiger werden mit der Verurteilung und der Selbstverherrlichung im sozialen und im zwischenvölkischen Leben, wenn man diesen Solidarismus als Realität erkennt. Man wird sich hüten — das sei nach der einen wie nach der anderen Seite gesagt —, im „Solidarismus” als Sozialprogramm ein bloßes Organisationsprinzip zu sehen, wenn man zu erkennen beginnt, wo der Gedanke des Solidarismus seine Wurzeln hat. Aus diesem realen Solidarismus des Bruderseins und der Bruderliebe soll die Aktivität des Laienchristen erwachsen.

Noch ein anderer Punkt aber scheint vielleicht gerade für unsin Österreich in diesem Zusammenhänge erwägenswert. Es liegt in der Geschichte der Kirche in unserem Vaterlande begründet, daß ihre Existenz bis vor kurzem vielfach mehr in den Armen des Staates als in den Herzen der Gläubigen begründet schien. Das Familienhafte des kirchlichen Lebens war zu sehr hinter dem Behördenhaften verborgen. Daher kommt es, daß der Katholik bei uns — das gilt in allen Belangen bis hinab zu den notwendigen materiellen Erfordernissen lebendiger und zeitgemäßer kirchlicher Wirksamkeit — die Kirche nicht so ganz als seine Kirche erfaßte, daß er die Aufgabe der Kirche nicht als die seine empfand, daß die Verantwortung für sie, ihre Größe und Herrlichkeit nicht in seinem Herzen brannte. Ihre Größe aber besteht Zumal in unseren Tagen nicht zuletzt darin, daß sie in einer Welt der Erbarmungslosigkeit die Barmherzigkeit und Liebe des Vaters kündet und im Werke offenbart, und ihre Herrlichkeit darin, daß sie den Glanz des Königs der Könige in den Düsternissen dieser Zeit auf- , leuchten läßt. Hier’ liegt nun auch die erschütternd schwere Aufgabe für den katholischen Laien unserer Tage, die jeder an seiner Stelle, in seinem Kreise, nach dem Maße seines Berufes erfassen muß. Seien wir dankbar, wenn einer, der ein Suchender war, sie uns an den Erfahrungen seines Lebensweges aufzeigt, wenn seine Erfahrungen für uns Anlaß zur Besinnung werden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung