Evolution der Schöpfung

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Kardinal Schönborns Gastkommentar in der "New York Times" hat einen anachronistisch anmutenden Streit über Evolution versus Schöpfung losgetreten. Dogmatischer Darwinismus wie Kreationismus führen beide in eine Sackgasse.

Die wissenschaftliche Öffentlichkeit ist irritiert, sie reagiert bisweilen schockiert und verärgert über die angemahnten "teleologischen" Defizite eines Neo-Darwinismus in dem kürzlich erschienen Gastkommentar in der New York Times aus der Feder eines hochrangigen Vertreters der Kirche (Kardinal Schönborn). Werden alte Grabenkämpfe zwischen Naturwissenschaften und Theologie heraufbeschworen, die aufgeklärtes Bewusstsein auf beiden Seiten längst hinter sich wähnte? Scharfe Proteste bis höfliches Bedauern über die wissenschaftliche Rückständigkeit des Katholizismus durchziehen die Kommentare. Ignoranz? Borniertheit? Wissenschaftsfeindlicher Dogmatismus?

Eine kritische Theologie freilich fragt auch nach den Hintergründen, nach den eigentlichen Motiven für diesen anachronistisch anmutenden Streit. Kommt die Wortmeldung aus der pseudowissenschaftlichen Polarisierung zwischen Evolutionismus und Kreationismus, wie er in fundamentalistischen Kreisen (vor allem in den usa) die Gemüter immer noch erregt? Kreationismus versus Evolutionismus?

Was heißt "Schöpfung"?

Als Theologe kann man davon ausgehen, dass der Streit zwischen Evolutionstheorie und Schöpfungsglauben spätestens seit den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts beigelegt ist. Naturwissenschaftliche Aussagen folgen einem methodologischen Atheismus, der Gott als Schöpfer, als alles ordnende und lenkende Weisheit aus ihren Perspektiven ausklammern muss. Diese methodische Selbstbeschränkung freilich bedeutet nicht die Widerlegung eines Schöpfungsglaubens, der seine Verbindlichkeit ohnehin nicht aus dem Kompetenzbereich wissenschaftlich-technischer Rationalität beziehen kann. Die Theologie ist aufgefordert, ihre Schöpfungsaussage in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit so zu verantworten, dass sie ohne Verletzung der Standards wissenschaftlicher Aussagen den Sinn ihrer Rede von Schöpfer und Schöpfung erläutert. Sie, die Theologie, darf heute immer weniger ihre Aussagen im Gewande eines religiös-metaphysischen Weltbildes vortragen, deren Prämissen in einer pluralistischen Gesellschaft ihre Akzeptanz verloren haben. Schöpfungsglaube als "Kreationismus" in Konkurrenz zu Evolution und Evolutionstheorie ist ebenso aufklärungsbedürftig wie ein sich gegen den Schöpfungsglauben dogmatisch behauptender Evolutionismus, der sich zu einer universalistischen Theorie des Zufalls hochstilisiert. Mag sein, dass dafür das Bewusstsein innertheologisch noch nicht weit genug gediehen ist. Die Situation ist aber auch die, dass die wissenschaftliche Evolutionstheorie mangels einer metaphysischen Verständigungsbasis einen weltanschaulichen "Evolutionismus" gelegentlich begünstigt, der den Geltungsanspruch streng wissenschaftlicher Aussagen überfordert.

Die Schöpfungsaussage jedenfalls steht unveräußerlich im Kontext der Sinnfrage des Menschen. Mit ihr wehrt sich der Mensch gegen ein anonymes Schicksal, das alles menschliche Ringen um Sinn, um Freiheit und Gerechtigkeit letztendlich zunichte macht. Sie bildet den Hintergrund dafür, dass die hereinbrechenden Schreckens- und Katastrophenerfahrungen der Geschichte, vor allem das Leid unschuldig und ungerecht Leidender dem Zynismus des puren Zufalls entrissen und in eine hoffnungsvolle Frage nach Gott selber verwandelt werden können. Sie verbürgt eine Gerechtigkeit, die alle einschließt und die auch an das Vergangene verändernd rührt. Sie knüpft ein Band der Solidarität zwischen Lebenden und Toten, das in seiner Unaufkündbarkeit auch immer neu die Aufmerksamkeit füreinander zu schärfen vermag. Denn eine ins Universale drängende Verantwortung gibt es nur im Widerstand gegen einen "Naturalismus", der den Sinn für eine Kultur der Freiheit in einer immer auch politischen Gerechtigkeitssuche im Keime zu ersticken sucht.

Sozialdarwinismus

Doch ist "Evolution" nicht längst schon zu jenem modernen Mythos geworden, der tief eingreift in das Lebensgefühl der Moderne. Zerbrechen an diesem Mythos nicht die Sinnerwartungen für unser gemeinsames und nur gemeinsam zu bestehendes Leben? Die Rede von der "Schöpfung" vermag eine Solidarität zu stiften, die vor die Antlitze der anderen drängt, die uns auch Gott im Zerbrechen eigener Gottesbilder überraschungs- und wohl auch verheißungsvoller näher bringt. Solche Hinweise möchten verdeutlichen, dass "Schöpfung" ihren Sinn nur im Horizont der Menschheit als humanisierendes Potenzial freigibt - gegen die Dominanz einer "Logik des Marktes", die durch alle Poren eindringt, aber auch gegen die fortschreitende Naturalisierung des Menschen im biogenetischen oder anthropotechnischen Experiment seiner selbst. Der "Neo-Darwinismus" hat längst die Gestalt eines "Sozialdarwinismus" etwa in jenem wirtschaftlichen Neoliberalismus angenommen, der eine menschenleere Selektionslogik des "Stärkeren" forciert und das Schicksal der Schwächeren besiegelt. Und sind die Zeiten eines "Geschichtsdarwinismus" endgültig gebannt, der die "aufgeklärten" jüdisch-christlichen Werte wie Gleichheit aller Menschen, Solidarität und Fürsorge durch die Herrschaftsprinzipien einer schonungslosen Politik der Stärke - wenn nicht schon wieder durch die Phantasien biologischer Zuchtwahl - auszumerzen trachtet?

Ein heilsneutraler Schöpfungsbegriff, der sozusagen als naturhafter Ordnungsbegriff nichts Rettendes in der vom "Tod des Menschen" bedrohten Lebenswelt einschließt, wäre ein Rückfall in ein vorneuzeitliches Ordnungsdenken naturhafter Provenienz.

Bedrohter Lebenssinn

Die Evolution im neodarwinistischen Sinn als "ein zielloser, ungeplanter Vorgang zufälliger Veränderung und natürlicher Selektion" (Kardinal Schönborn) wird zurückgewiesen. Aber die Berufung auf "die überwältigende Evidenz für einen Plan in der Biologie" (wohl zutreffender: im Bereich des Lebendigen) suggeriert einen naturalistischen Schöpfungsbegriff, der sich dem Raum der Geschichte mit ihren abgründigen Erfahrungen, ihren Kämpfen und Leiden versperrt. Darf die Theologie überhaupt mit einer solchen naturhaften beziehungsweise "naturteleologischen" Transparenz des Schöpfungssinns rechnen, ohne blind zu werden gegenüber der menschlichen Lebenswelt, deren Geist nur im Widerstand gegen die fortschreitende "Kolonialisierung" durch eine wissenschaftlich-technologische Rationalität lebendig bleibt? "Geisteswissenschaften" waren bislang der Versuch, durch Aufklärungsarbeit der Welt ihr spezifisch menschliches Antlitz abzuringen. Der vom inwendigen Nihilismus der Leidenserfahrungen bedrohte Sinn des Lebens sowie die Weigerung des Menschen, sich einem "Universalismus des Zufalls" zu ergeben, kennzeichnen immer noch Geschichte im Unterschied zur Natur. In diesen Irritationen eines "Plans" ersteht schließlich auch die Gottesfrage als nicht verzweifelte Frage nach jener Gerechtigkeit, für die es kein irdisches Äquivalent gibt und geben kann. Nur eine Vernunft, die nicht technisch beschreibt, sondern die Wahrheit und Gerechtigkeit in einem substanziellen Sinn noch vermisst, ist auch gottfähig.

Erst und nur in diesem stets bedrohten Sinn des Lebens gewinnen Widerstandsworte gegen einen Universalismus des Zufalls Kraft und Dignität: "Wir sind nicht das zufällige und sinnlose Produkt der Evolution. Jeder von uns ist Frucht eines Gedankens Gottes. Jeder ist gewollt, jeder ist geliebt, jeder ist gebraucht" (Benedikt XVI.).

Dialektik der Säkularisierung

In einer "postsäkularen" Gesellschaft, die religiöse Neutralität nicht von vornherein als Befreiung von Religion versteht, sondern sich auf eine religiös-weltanschaulich pluralistische Öffentlichkeit einstellt, sind Wissenschaft wie auch Religion in ein kooperatives Verhältnis zueinander gebracht. Religionen können in der offenkundig gewordenen "Dialektik" der Säkularisierungsprozesse mit einer neuen Aufmerksamkeit rechnen. Gewiss. Sie müssen sich aber der Bewährung in einer Öffentlichkeit aussetzen, die um die Grundlagen des menschlichen Zusammenlebens in einer säkularen Gesellschaft ringt. Die wissenschaftliche Nichtwiderlegbarkeit des Schöpfungsglaubens ist noch nicht der Grund für seine Verbindlichkeit. Gefragt sind Ressourcen, die das humane Gedächtnis in einer "Kultur des Vergessens", der grassierenden Geschichtsmüdigkeit und der wachsenden Antlitzlosigkeit des Menschen in den abstrakten Systemen der Ökonomie, der Technik und ihrer Kommunikationsindustrie schärfen. Sie können jene gesellschaftlichen Kräfte verbinden, die sich (noch) nicht dem prognostizierten "Tod des Menschen" ergeben haben.

Dogmatismus blockiert

Darwinismus als (naturalistische) Metaphysik ist ebenso abzulehnen wie ein (metaphysischer) Kreationismus, der dieses praktische Sinnpotenzial des Schöpfungsglaubens eher "dogmatisch" blockiert als freisetzt.

Der Glaube an einen Gott "für alle" drängt in die Nähe zu den anderen, er zielt auf eine gerechtigkeitssuchende Kultur der Freiheit, die ihren treibenden Stachel im Vermissen einer Gerechtigkeit auch für die Toten besitzt. Ein solcher Glaube verträgt sich mit einer Evolutionstheorie, wenn sie nicht im Gewand einer positivistischen Metaphysik "Freiheit" und Veränderbarkeit der Verhältnisse von vornherein als sinnlos erachtet.

Der Autor ist Professor am Institut für Fundamentaltheologie der Universität Wien.

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