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Grüne Welle — aus christlicher Quelle ?

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Wer die Welt als freie Gabe Gottes deutet, wird ihr in Dankbarkeit, Ehrfurcht und realistischer Selbstbescheidung begegnen und den Auftrag des Schöpfers verstehen:

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Wer die Welt als freie Gabe Gottes deutet, wird ihr in Dankbarkeit, Ehrfurcht und realistischer Selbstbescheidung begegnen und den Auftrag des Schöpfers verstehen:

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Die ethische Sensibilisierung im Umweltbereich wurde nicht von christlichen Kirchen und Theologen, sondern von der praktischen Vernunft gesellschaftlicher Kräfte unterschiedlichster Herkunft vorangetrieben. Bald meldeten sich sogar Stimmen aus verschiedenen Richtungen — auch theologischer Provenienz —, die das Christentum selbst zum Hauptverantwortlichen für die unverantwortliche Umweltzer-

Störung machen. Der radikale An-thropozentrismus der Bibel selbst sei die tiefste geschichtsmächtige Wurzel. Immerhin wurde so, wenn auch auf negative Weise, den Quellen des christlichen Glaubens und den Christen, die sich darauf berufen, Relevanz für die Ökologie bescheinigt.

Das Christentum soll seine historische Mitschuld an der verhängnisvollen Entwicklung nicht bestreiten. Aber diese liegt in der Neuzeit nicht darin, daß sie die autonome Freiheitsgeschichte zuviel gefördert hätte, sondern daß sie sich zuwenig ernsthaft mit dieser auseinandergesetzt hat. Diese Unterlassungssünde wirkt sich dahingehend aus, daß die christliche Botschaft zu sehr im Getto verblieb und zuwenig - allerdings ohne Kompetenzüberschreitungen — in ihrer ganzen Breite offensiv iri den gesellschaftlichen Dialog eingebracht wird. Denn wer zuviel beweisen will, beweist gerade im Bereich der Ethik gar nichts. Kompetenzüberschreitungen bewirken zwangsläufig den Verlust an Glaubwürdigkeit, wie man aus anderen Bereichen weiß.

Wie steht es also mit dem Vorwurf, daß Christen schuld sind an der Zerstörung der Natur, weil sie den Menschen für die Krone der Schöpfung halten? Worin liegt die ökologische Relevanz des christlichen Glaubens?

Tatsächlich erscheint in Genesis 2 der Mensch als die Mitte, um die herum Gott seine Welt aufbaut, in Genesis 1 als der Zielpunkt, auf den die Schöpfungsgeschichte Stufe um Stufe sich zielstrebig hinbewegt. Im ganzen Alten Testament gilt Gottes Anspruch und Gebot nur dem Menschen als Gottes Ebenbild, und nur ihm ist die Welt zu verantwortlicher Pflege anvertraut (Genesis 2,15). Die Menschheit soll sich über die ganze Erde verteilen und diese in Besitz nehmen (Genesis 1,28). Die Sprache ist eindeutig. Der Mensch besitzt als einziges Geschöpf die Möglichkeit; seine Umwelt zu pflegen, zu entfalten oder sie zu zerstören. Der Mensch als einziger ist fähig, Verantwortung zu übernehmen für sein Verhältnis zur Umwelt und für deren Gestaltung.

In der ökologischen Debatte meldet sich auf vielfache Weise verborgen ein weitverbreiteter „Pantheismus“ zu Wort, der wohl der Natur auf den ersten Blick eine pseudoreligiöse Weihe und Würde vermitteln kann (Tierrechte, Baumrechte usw.), sich aber als unfähig erweist, mit der

Ambivalenz der Natur gegenüber dem Menschen fertig zu werden. Erst recht kann man in einer pantheistischen Weltanschauung der Vielfalt der Einzeldinge und ihrem Eigenwert nicht gerecht werden, da diese ja im Einheitsbrei einer pantheistischen Allnatur unterzugehen drohen. Pantheismus läuft zudem auf die waltenden Zwänge in der Natur hinaus. Aufgrund dieser Voraussetzung kann auf lange Sicht auch der Ausbeutung der Natur kein überzeugendes Argument entgegengesetzt werden, weil ja alles determiniert ist.

Wenn aber eine theologische Begründung der Ethik überhaupt fehlt, wird das Soziale zum Höchstwert und diesem innerweltlichen Höchstwert alles geopfert - auch die Umwelt. Zur Bezeichnung des Menschen als Gottes Ebenbild in' der Bibel gehört die Einsetzung des Menschen gleichsam als Statthalter Gottes auf Erden. Der Mensch ist aufgefordert, in der Geschichte Gottes Absichten in der Schöpfung aufzufinden und durchzusetzen. Damit der Mensch aber verantwortlich diese Welt pflegen kann, muß er um den Sinn von Schöpfung wissen.

Wer die Welt als Schöpfung und damit als freie Gabe Gottes deutet, wird ihr in Dankbarkeit, Ehrfurcht und realistischer Selbstbescheidung begegnen. Er wird aber auch den Auftrag verstehen: die in der Anfangsgestalt der Welt eingeschlossenen sinnvollen Möglichkeiten mit seiner Vernunft zu erforschen und soweit wie möglich durchzusetzen.

Die Fortschritte von Wissenschaft und Technik haben zu einer größeren Tragweite menschlicher Verantwortung und zu einem größeren Bewußtsein seiner Selbständigkeit und der Bedeutung seines Handelns auch für die Umwelt geführt. Die bisweilen erhobene Forderung nach Reintegration des Menschen in die Natur ist nicht nur naiv und illusionär, sie würde auch eine Verweigerung des Menschen gegenüber dem mit der Schöpfung gegebenen Auftrag bedeuten. Die Umweltproblematik ist nicht dadurch zu lösen, daß der Mensch sich auf solche Weise seiner Verantwortung entledigt.

Das Thema Schöpfung wird in der Heiligen Schrift aber gleichsam erst sekundär von der geschichtlichen Erfahrung des Gottesvolkes her thematisiert. Die Sinnbestimmung der Schöpfung ist daher erst von dem höchsten heilsgeschichtlichen Ereignis her voll zu deuten. Die neutestament-lichen Schriften betonen durchgängig Ursprung und Zielbestimmung der Schöpfung in Jesus Christus (Johannes 1, Kolosser 1, Epheser 1, Hebräer 1 usw.), der als die Mitte der Geschichte verstanden wird.

Die innergöttliche Ursprungsund Liebesbeziehung zwischen Vater und Sohn ist die letzte Voraussetzung dafür, daß Gott eine Welt schafft und in ihr Eigenes hinein freigibt. In Christus ist das ganze Universum geschaffen und gleichsam zu Hause. Als alles tragender Bezugspunkt der Welt kann nun eine Person und personale Beziehung im Glauben erkannt werden. Christus ist aber auch das Ziel der Schöpfung. Die

Erreichung dieses Zieles wird ermöglicht und eingeleitet durch den Tod und die Auferstehung Jesu Christi. Auch im Neuen Testament ist die Schöpfung also auf den Menschen bezogen, jetzt aber, weil der Mensch das unmittelbare Ziel des heilschaffenden Handelns Gottes in Jesus Christus ist.

Die Vollendung, die in der Auferstehung Jesu angebrochen ist, kann aber nicht im Hinblick auf die materielle Welt als solche, sondern nur im Hinblick auf personale Freiheitsgeschichte sinnvoll angewendet werden. Diese personale Freiheitsgeschichte begreift allerdings das materielle Geschehen als inneres und äußeres Moment mit ein. Auferstehung des Leibes, auf den die Christen hoffen, bedeutet Vollendung der konkreten Existenz eines jeden Menschen und des konkreten Werkes, das Menschen vollbracht haben, durch Gott selbst. .

Die Liebe und ihre Werke bleiben (vgl. Pastoralkonstitution des II. Vatikanums Nr. 39). Dieser Glaube des Christen auch an die Vollendung des technischen Werkes in der Weltverklärung bedeutet eine letzte Intensivierung der Verantwortung des Menschen für diese Welt und ein Offenhalten dieser Welt für diese letzte Sinnbestimmung.

Aber auch die biblische Botschaft von der Sünde, in der der Mensch sich gegen den göttlichen Schöpfungs- und Heilswillen sperrt, darf in ihrer ökologischen Bedeutung nicht übergangen werden. Sosehr die Sünde in der Freiheit der Person entspringt, erfaßt sie in ihren Folgen auch die naturhafte Dimension menschlicher Existenz und gleichsam auch den „Großleib“ des Menschen, seine Umwelt. Gerade in diesem Bereich bewahrheitet sich heute besonders deutlich, daß durch die Sünde des Menschen die ganze Schöpfung mitbetroffen ist und auch die ethische Einsicht, daß die sittliche Schuld ihre Sanktion in sich selber hat.

Aus dieser christlichen Sinnbe-stimmüng des Handelns des Menschen in der Welt lassen sich aber keine detaillierten ethischen Normen ableiten und Entscheidungsfragen lösen. Es gibt auch hier eine legitime Vielfalt von Auffassungen unter Christen, da das sittliche Urteil nur in ständiger Auseinandersetzung mit den Sachgesetzmäßigkeiten in der Welt erarbeitet werden kann. Als ethisches Kriterium für die Findung konkreter Normen und Entscheidungen, bis hin zu den staatlichen Gesetzen, kann gelten: Ansprüche, die sich aus dem umfassenden Ökosystem Mensch-Erde ergeben, haben unter sonst gleichen Voraussetzungen Vorrang vor Ansprüchen, die sich bloß aus den Sozialsystemen der Menschen ergeben.

Als vorrangiges nächstes Ziel muß eine realistische Ethik fordern, daß die vernünftigen Gesetze des Umweltschutzes, die sich von diesem ethischen Kriterium her legitimieren können, auch wirklich eingehalten werden. Es verbietet sich für ein christliches Gewissen, diese Gesetze zu übertreten oder irgendwie dort mitzuwirken, wo man sich über diese Gesetze hinwegsetzt.

Literatur dazu: W. Korff, Kernenergie und Moraltheologie Suhrkamp 1979; A. Auer, Umweltethik, Patmos 1984.

Der Autor ist Professor für Moraltheologie an der Universität Salzburg.

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